1913 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Autor: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
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Warum ist er aber gerade heute, am Sonntag, zur nächsten Stadt
gegangen und schleppt sich jetzt trotz Staub und Hitze mit seinem Zwerch-
sack auf dem Heimweg? Das sind nicht die nichtigen Habseligkeiten
allein, die ihn in die Stadt getrieben. Die hätte er wohl noch manchen
Tag missen mögen! Nein, es schwirrt etwas in der Lust, das ihn
bedrückt und um seinen Besitz fürchten läßt, ihn mehr als „die andern";
denn die haben ja nichts zu verlieren. Aber er — der reiche Bauer!
Das ist was andres!
Und es ist so schwül jetzt im Völkerleben und so drückend, wie auf
seiner staubigen Landstraße, die er dahinzieht. In der Natur zwar zeigt
sich kein Wölkchen, soweit er zu blicken vermag; kein Lufthauch streicht
durchs Maintal — aber am Völkerhimmel, da braut sich was zusammen,
da droht's gewitterschwer. Denn man schreibt den Juli 1870, und die
Gerüchte alle und die Kriegsahnung, die haben den roten Hannes
nicht zu Hause gelassen. Er muß sich Gewißheit verschaffen; er will
wissen, wie es steht, wenn „die andern" draußen auf dem Dorfe träumen
und schlafen.
Deshalb ist er in die Stadt gegangen. Und sein scharfes Auge, dort
hat es deutlich gesehen: die Menschen sind nicht wie sonst, ruhig und
gelassen, nein, sie tragen etwas in sich, wie vom Fieber ergriffen, sind
erregt und doch nicht mitteilsam. Denn im stillen fürchtet jeder etwas
für sich: die Frau für den Gatten, die Mutter für den Sohn!
Und wer weiß, wie bald der Krieg beginnt, vielleicht noch heute,
und wenn heute nicht — morgen! Um Frankreich handelt sich's — und
so ein Franzose ist hitzköpfiger Natur. „Hitzköpfig, ja, das sind sie, die
Franzosen — die könnten am Ende anfangen!" sagt sich der rote Hannes
und vergißt dabei, daß ihn selbst trotz seiner Jahre oft der grimmigste
Jähzorn packt.
Wenn die Franzosen wirklich kämen! — Dieselbe Beklemmung, die
er drinnen in der Stadt, an jedem Ort und an jedem Menschen verspürt,
drückt auch auf ihn. Aber — wenn die Franzosen kämen — das ist's ja
zunächst gar nicht, was ihn beklemmt. Da gibt's zuvor noch andere
Fragen! Mit wem gehen wir denn eigentlich, wir Franken, wir Bayern,
wenn's wirklich losgehen sollte? Die Sorge beschäftigt ihn jetzt. Mit
den Preußen? Mit den Franzosen? Daß dich der Teufel — am End'
gar mit den Preußen? Und mein Lennert? So nennen sie seinen ein-
zigen Sohn Leonhard im Dorfe. Mein Lennert? Wird der auch mit-
müssen? Auch ausrücken? In den Krieg ziehen? Er ist zwar schon bei