1913 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Autor: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
gleichlichen Talent zu würdevoller Repräsentation auch jetzt bei
dem denkbar feierlichsten Anlaß glänzend Gebrauch machen sollte.
König Wilhelm hätte in Versailles das prachtvolle Schloß König
Ludwigs Xiv. beziehen können, in dessen Giebelfeld die Worte
stehen: A toutes les gloires de la France. Er zog es vor, dies
Schloß als Lazarett für deutsche und französische Verwundete ein-
zurichten, selbst aber in der kaiserlichen Präfektur abzusteigen, in
der er seit dem 3. Oktober seinen Wohnsitz hatte, und in dem
großen Saale dieses Gebäudes fand am Sonntag, dem 18. Dezember,
der feierliche Empfang der Kaiserabordnung des Reichstags statt.
Die Verlesung der Adresse leitete der Präsident durch eine
kurze Ansprache ein, in der er hinwies auf zwei Verfassungs-
änderungen, mittels deren dem künftigen deutschen Staat und seinem
höchsten Oberhaupt Benennungen gesichert würden, „auf denen
die Ehrfurcht langer Jahrhunderte geruht, auf deren Herstellung
das Verlangen des deutschen Volkes sich zu richten nicht aufgehört
habe". Er erinnerte daran, daß der Empfang der Abgeordneten
des Reichstags stattfinde in einer Stadt, in welcher mehr als ein
verderblicher Heereszug gegen unser Vaterland ersonnen und ins
Werk gesetzt worden sei, und an die Nachbarschaft der Hauptstadt,
in der unter dem Druck fremder Gewalt die Verträge geschlossen
worden waren, in deren unmittelbarer Folge das Reich zusammen-
brach. Und dann verlas er die Adresse selbst mit solcher Wärme,
solchem Nachdruck, daß allen Hörern die Tränen ins Auge traten.
Am tiefsten bewegt war der König selbst. In beständigem Kampf
mit der Rührung, die ihn mehr als einmal übermannte, las er die
Antwortrede, in der er seinem Dank gegen die göttliche Vorsehung
Ausdruck gab für die Wunder ihrer Führung, seine Freude ausdrückte
darüber, daß die für das gemeinsame staatliche Leben der Deutschen
neu gewonnenen Grundlagen „von den süddeutschen Bundesgenossen
aus freier Entschließung nach Maßgabe ihrer eigenen Würdigung
des nationalen Bedürfnisses bemessen und dargeboten" seien, und
schließlich sich bereit erklärte, dem Rufe zu folgen, der an ihn ergehe,
aber unter einem Vorbehalt: „Nur in der einmütigen Stimme der
deutschen Fürsten und freien Städte und in dem damit überein-
stimmenden Wunsche der deutschen Nation und ihrer Vertreter werde
ich den Ruf der Vorsehung erkennen, dem ich mit Vertrauen auf
Gottes Segen folgen darf."