1913 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Autor: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
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lichkeit, mir den Betrieb zu zeigen. Zuerst führte er mich in die Tischlerei,
wo die Holzarbeit 'besorgt wurde. Die dort beschäftigten Leute waren
gelernte Tischler, die mit der Bearbeitung des Holzes gründlich vertraut
waren und nun, nachdem sie sich jahrelang nur der Bürstensabrikation
zugewandt hatten, eine ganz besondere Fertigkeit in diesem Arbeitszweige
erreicht hatten. Aus der Tischlerei wanderte die Ware zur Bohrmaschine,
die mit Dampf getrieben und stets von denselben Arbeitern bedient wurde.
Auch diese Leute hatten bereits eine große Sicherheit in ihrer Arbeit
erreicht. Jetzt wurde ich in einen großen Arbeitsraum geführt, in dem
Frauen und Mädchen die Borsten sortierten. Aus großen Haufen suchten
sie die feinen und groben, die weißen und schwarzen Haare heraus und
legten die gleichartigen in Häufchen vor sich auf Tische. Von da wanderten
sie weiter, um in wohl noch 20 Unterabteilungen sortiert zu werden. Diese
Arbeit wurde ebenfalls von weiblichen Arbeitern ausgeführt; denn es
gehörten ja nur flinke Hände und scharfe Augen dazu, und die haben
die Frauen. Der nächste Raum beherbergte die eigentliche Bürsten-
binderei, in der die Borsten eingesetzt wurden. Aber auch hier verfertigte
nicht jeder Arbeiter alle Bürstensorten; sondern es waren Abteilungen
gebildet für die groben, mittleren, feinen und feinsten Sorten, und jeder
Abteilung waren dafür besonders geschickte Arbeiter zugewiesen. Diese
blieben meistens dauernd in ihrer Abteilung und nur, wenn man merkte,
daß ein Arbeiter an Geschicklichkeit zu- oder abnahm, versetzte man
ihn in eine andere. Aber auch in der Binderei wurden viele Bürsten
noch nicht ganz fertig, sondern ein großer Teil ging noch einmal in die
Tischlerei zurück, wo die Oberblätter aufgeleimt, verschraubt und die
Politur vervollständigt wurde.
Als ich später wieder einmal zu dem alten Bürstenbinder kam,
schilderte ich ihm, was ich in der Fabrik gesehen hatte. „Es ist kein
Wunder," sagte der alte Meister nachdenklich, „daß ich mit denen nicht
mehr mitkommen kann; denn eine solch geschickte Arbeitsteilung
ist in meiner Werkstatt gar nicht ausführbar, weil ein Handwerker so
viele Gehilfen gar nicht haben kann. Ich muß eben alle Arbeit selber
machen, und deshalb geht sie nicht so schnell vonstatten. Ich glaube
wohl nicht, daß meine Bürsten schlechter sind, als die in der Fabrik
hergestellten; aber ihre Herstellung kostet mich weit mehr, und da ich
sie zu gleich niedrigem Preise verkaufen muß, so verdiene ich weniger
daran als der Fabrikant. Das ist der Grund, weshalb ich und so
mancher Handwerker heute nicht mehr vorwärts kommen kann."