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1. Teil 5 = 7. - 9. Schulj - S. 213

1911 - Hannover [u.a.] : Carl Meyer (Gustav Prior)
213 171. Aus Ernst Rietschels Jugendzeit*). i. 1. Acht Tage nach meiner Konsirmalion trat ich in die Lehre ein. Ich litt vom ersten Tage an am Heimweh. Der Prinzipal war ein gewiß braver, doch etwas unfreundlicher Mann, der, was ich auch tat, stets mit seinen Augen verfolgte und jeden Augenblick kritisierend dreinfuhr, wo- durch meine Befangenheit nur ^ermehlt. wurde. Ich mußte mit dem Markthelfer mehrmals acht Tage lang von früh bis abends in der Haus- flur stehen und Schnupftabak rappieren, d. h. die großen Karotten klein und zum fchnupfbaren Tabak schneiden. Ich durfte meine Eltern nicht besuchen, des Sonntags nicht ausgehen, außer in die Kirche, und wenn am Sonntagnachmittag mir einige Erholungsstunden vergönnt waren, so mußte ich sie dazu anwenden, mich im Rechnen, das ich ohnehin nicht leiden mochte, zu üben. Begegnete ich meinem Vater zufällig, so konnte ich vor Tränen nicht aus den Augen sehen. 2. Die öfteren Äußerungen des Prinzipals: „Junge, du hast keinen Kaufmannsgeist; aus dir wird in deinem Leben nichts; du bist ein Stroh- kopf!" feuerten meinen Mut auch nicht an. Der Kommis war ein kleines Männchen mit dicker, roter Nase und schielend, er war gut und duldsamer als der Prinzipal, doch äußerte er auch einmal: „Hör' Er, Er sollte Maler werden, zum Kaufmann taugt Er nichts; in Dresden ist eine Akademie, wo man unentgeltlich studieren kann, sprech' Er doch mit seinem Vater!" — Ich teilte dies meinem Vater mit, sobald ich ihm begegnete, doch er- wies mich ab — mit scheinbar strengen Worten; allein ich fühlte an seinem Tone doch, daß ihm meine stete Niedergeschlagenheit leid tue: „Wie soll dies möglich sein, ich dich erhalten? Lehrjahre sind keine Herrenjahre, es geht andern auch nicht besser, drum Geduld, die Zeit vergeht schnell." Traurig kehrte ich an meinen Ladentisch zurück, und jeden Abend und Morgen fiel mir der Gedanke beängstigend auf die Seele, daß ich sechs Jahre so aushalten müsse. 3. Ich war acht Wochen da, als ich mich eines Tages unwohl fühlte; zu meiner Freude mußte ich zu meinen Eltern gehen, um mich dort pflegen zu lassen, und als ich genesen war, bat ich meinen Vater dringend, mich nicht wieder dahin zu lassen, ich wolle alles lernen, ja jedes Handwerk, welches er wünsche, nur Kaufmann möchte ich nicht werden. Es war nicht schwer, meine Eltern zu bewegen, und von Seiten meines Prinzipals wurde ebensowenig zur Rückkehr gedrängt. Ich blieb zu Hause und be- *) Der berühmte Bildhauer Ernst Rietschel, der Sohn armer, sehr kümmerlich leben- der Eltern, wurde 1804 in Pulsnitz bei Dresden geboren und starb als Professor an der Akademie in Dresden im Jahre 1861. Er ist der Schöpfer des Lessingdenkmals in Brannschweig, des Schiller- und Goethedenkmals in Weimar, des Lutherdenkmals in Worms und anderer herrlicher Kunstwerke.
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