1915 -
Leipzig [u.a.]
: B. G. Teubner (Theodor Hofmann)
- Autor: Götze, G., Hellmuth, E., Dietlein, Rudolf, Dietlein, Woldemar, Schrader, Hermann
- Hrsg.: Jenetzky, F. W.
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Paritätische Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
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lichkeit, und die Gewaltherrschaft der Goldenen Horde befestigte, wie
sehr sie auch sonst alle Entwicklung hemmte, in den Unterdrückten den
Glauben an ihre Religion, die Treue gegen ihre Beherrscher und die
Liebe zum gemeinsamen Vaterlande.
4. Diese Züge bezeichnen noch heute das Volk, und wenn man be-
denkt, daß der Kern dieser Nation, die Großrussen, sechsunddreißig
Millionen Menschen einer Abstammung, eines Glaubens, einer Sprache,
die größte gleichartige Masse in der Welt bilden, so wird man nicht
zweifeln, daß Rußland eine große Zukunft vor sich hat.
Man hat gesagt, daß bei zunehmender Bevölkerung das unermeßliche
Reich in sich zerfallen müßte. Aber kein Teil desselben kann ohne den
andern bestehen: der waldreiche Norden nicht ohne den kornreichen Süden,
die industrielle Mitte nicht ohne beide, das Binnenland nicht ohne die
große, gemeinsame Wasserstraße der vierhundert Meilen schiffbaren
Wolga. Mehr noch als dies hält aber das Gemeingefühl aller auch die
entferntesten Teile zusammen.
Und für dies Gefühl nun ist Moskau der Mittelpunkt nicht nur
des europäischen Kaisertums, sondern des alten, heiligen Zarenreiches,
in welchem die geschichtlichen Erinnerungen des Volkes wurzeln.
Helmut Graf v. Moltke. (Gesammelte Schriften.)
246. Nus Konstantinopel.
1. Nach dem Frühstück mache ich bei gutem wie bei schlechtem Wetter
eine Promenade, gewöhnlich durch die Hauptstraße von Pera nach dem
großen Begräbnisplatz. Begleite mich nun auf meiner Wanderung die
steile Höhe, die der Begräbnisplatz krönt, hinab an das Ufer des Bosporus!
Wir bleiben ein Weilchen stehen und sehen den Wellen zu, die sich mit
Macht an den steinernen Kais brechen und schäumend weit über die ver-
goldeten Gitter bis an den Kiosk des Großherrn spritzen. Griechen sammeln
die Austern, welche die bewegte See ans Ufer wirft, und ganze Herden
von Hunden verzehren die Reste eines gefallenen Pferdes. Wir wenden
uns nun rechts an einem prachtvollen Marmorbrunnen vorüber und treten
in eine lange Reihe von Kaufläden, deren Dächer oben fast zusammen-
stoßen Dort sind es vor allem die Eßwaren und Früchte, die meine
Aufmerksamkeit erregen; wüßte ich nur ein Schiff, so würde ich Euch einen
schönen Korb füllen. Da gibt es Datteln, Feigen, Pistazien, Kokosnüsse,
Manna, Orangen, Rosinen, Nüsse, Granatäpfel, Limonen und viele andere
gute Sachen, von denen ich die Namen nicht einmal weiß. Da gibt es
Honigbrei, Reisspeisen, Ziegenrahm und Traubengelee, alles aufs rein-
lichste und beste bereitet; dann kommt der Gemüsemarkt mit Blumen,
Kohl, Artischocken, ungeheuern Melonen und Kürbissen. Gleich daneben