1912 -
Halle a.S.
: Schroedel
- Autor: Steger, August, Wohlrabe, Wilhelm, Warncke, K.
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): offen für alle
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so wenig kann ein guter, gesunder Essig aus chemischer Essigsäure
und aus Gewürzessenzen hergestellt werden. Es besteht ein großer
Unterschied zwischen dem einen und andern. Der durch die natürliche
Essigsäuregärung entstandene Essig enthält neben der chemisch reinen
Essigsäure und den gewürzhaften Bestandteilen des Weines oder des
Bieres, aus dem der Essig durch die Bazillen gegoren wurde, noch
andre aromatische Bestandteile, welche als Stoffwechselerzeugnisse
der Essigsäurebazillen aufzufassen sind, und welche den natürlichen
Gärungsessig wohlschmeckend und wohlbekömmlich machen.
Auch der Reifungsvorgang der verschiedenen Käsearten ist der
Entwickelung der an der Oberfläche der Käse angesiedelten niederen
Pilze, unter denen namentlich Spaltpilze auftreten, zuzuschreiben.
Noch zu mancherlei anderen wirtschaftlichen Zwecken arbeiten
die Bakterien für den Menschen: bei der (technischen) Herstellung man-
cher Farbstoffe — Indigo — bei der Loslösung von Pflanzenfasern zu
den Zwecken der Textilindustrie — Seide, Hanf — bei der Gärung
der Tabak- und Teeblätter, bei der Düngung der Ackererde. Mehr
als sich mancher träumen läßt, sind wir Menschen abhängig von
den kleinsten Mitbewohnern der Erde.
3. Diesen geradezu nützlichen Spaltpilzen stehen nun allerdings
eine große Anzahl solcher Arten gegenüber, welche giftig sind octer
welche im Innern des Körpers durch ihre sonstige Lebenstätigkeit
krankmachend und tödlich wirken. Entweder in der Art, daß
sie — wie die Cholerabazillen — Gift hervorbringen, welches von
dem Darmrohr, der inneren Körperfläche, aufgesogen wird, oder
daß — wie bei den Pestbazillen — die Spaltpilze selbst in die Gewebe-
und in die Blutbahn eindringen und den Körper überschwemmen.
4: Aber selbst von den krankmachenden Spaltpilzen, den eigent-
lichen Krankheitsverbreitern, sind viele — vielleicht mehr, als selbst
von Fachleuten heute noch angenommen wird — für ihr Leben gar
nicht unbedingt auf den menschlichen oder tierischen Körper ange-
wiesen, sondern benutzen denselben nur unter dem Zwange der Not-
wendigkeit als Wirt, oft genug nicht nur zum Nachteil des letzteren,
sondern mehr noch zum eignen Schaden. Ein besonders lehrreiches
Beispiel dafür bietet der Milzbrand.
Unter den Herden der nomadisierenden Hirtenvölker Sibiriens,
in den Niederungen der Wolga und der Donau tritt die Milzbrandkrank-
heit nicht selten bei Renntieren, Pferden, Schafen und Rindern als
verheerende Seuche auf und fordert sogar Opfer unter den sonst wenig
für Milzbrand empfänglichen Menschen. Die Ursache der Krankheit
sind Bakterien, die Milzbrandbazillen, deren Lebensbedingungen genau,
wohl am besten von allen Spaltpilzen bekannt sind.