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1. Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1 - S. 271

1911 - Bielefeld [u.a.] : Velhagen & Klasing
4. Das nächste Jahr brachte die erste Ernte, neue Ansiedler und der entstehenden Ortschaft einen Namen; denn da der erste Bebauer den Namen Walter führte, so nannte man nach ihm den Platz Waltersrode, und also heißt das Dorf bis auf den heutigen Tag. Im Laufe der Zeit verschwand nun der Urwald bis auf einige wenige alte Riesenbäume, die man zum Wahrzeichen stehen ließ, ganz aus der Ebene des Tales, und nur von den Bergen und steilen Hängen schaute er noch finster hin auf den einstigen Schauplatz seiner Größe und alleinigen Herrschaft. Anstatt seiner breitete sich dort ein bunter Teppich verschiedenfarbiger Felder und saftig grüner Wiesen aus. An dem Bache entlang zog sich die Dorfstraße, und an dieser lagen saubere Häuser, mit hübschem Schnitzwerk verziert, umgeben von Gärten, in denen Raute, Lavendel, Salbei und andere Würz- pflanzen dufteten, in denen Mohn und Lilien, brennende Liebe und Gelb- veigelein blühten und sich strotzende Küchengewächse üppig ausbreiteten. Hinter den Häusern aber im Grasgarten schimmerten im Frühling silbern und rosig die Obstbäume und standen im Herbste gebeugt von goldenen und blauen Früchten. Am höchsten Punkte des Dorfes streckte nun aus dem Schatten uralter Eichen eine Kirche ihr spitzes Türmlein hervor, und an den stillen Sommerabenden hörte man statt des rauhen Gebrülls der wilden Tiere ein friedliches Läuten, das Dengeln von Sensen und das fröhliche Geschrei spielender Kinder. Nur der Bach blieb bei diesem Wechsel der Dinge immer derselbe und rauschte durch Dorf und Wiesen mit demselben Geplätscher dahin, wie einst durch den unberührten llrwald. Er sah die endlose Kette mensch- lichen Daseins an sich vorübergleiten und dahinfließen wie seine eigenen Wellen, die ewig neu und ewig dieselben waren. Er sah die Kinder an seinen Ufern spielen, wie sie Kanäle und Mühlen bauten mit) Krebse und Forellen griffen. Er sah gebräunte Männer auf die Arbeit ziehen, in- des sich die Frauen in Haus und Garten fleißig regten. Er sah an seinem Rande gebrechliche Greise träumend in der Sonne sitzen, zu deren Füßen neue Kinder die alten Spiele übten, und so flössen die Wellen und die Jahre unablässig dahin. Dieses friedliche Leben ward nur unter- brochen durch solche Ereignisse, für deren Fernbleiben allsonntäglich auf der Kanzel gebetet wird, und denen das Menschengeschlecht doch nie und nimmer entrinnen kann. Es kamen Kriegsläufte, in denen sich die kristall- klaren Wellen des Baches mit Blut färbten; es kam eine Feuersbrunst und verzehrte die Häuser des halben Dorfes; eine Pestilenz, ausgebrütet in den Sümpfen der Länder gegen Sonnenaufgang, wanderte herbei, leerte die Häuser und füllte den Kirchhof; Mißwachs und sein scheußliches Kind, Hungersnot, zehrten an den Gebeinen der Dorfbewohner — doch alles über- wand die unverwüstliche Kraft des Lebens, und so blüht und gedeiht der freundliche Ort Waltersrode bis auf den heutigen Tag.
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