1911 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Porger, Gustav, Wolff, Karl
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
Spalte, und im Verein mit dem Frost, im Wechsel der Wärme und
Kälte trennt es Felsen. Es löst Bestandteile auf und bildet Rinnen;
was es nicht löst, führt es als Sand mit sich. Der Sand schleift und
höhlt. Wo ein kleines Rinnsal war, bildet sich ein größeres, das wieder
kleinere Zuführungen aufnimmt. Die Kraft wächst mit dem Zusammen-
flüsse. Das Wasser ist nicht mehr bescheiden, es nagt nicht mehr, es
bricht und zertrümmert. So hart auch der Felsen ist, das Wasser ist
unermüdlich und hat Zeit. Es kommt ihm auf Jahrhunderte nicht an,
nicht auf Jahrtausende. Und mit ihm wirken nicht nur Wärme und
Kälte, sondern auch Bazillen helfen. Vor etlichen Jahren entdeckte
A. Müntz in der Ackererde ein Salpeter erzeugendes Kleinwesen, das er
Nitromonas nannte; später aber fand er dieselbe Art nicht nur in ver-
witterten Gesteinen, sondern selbst ziemlich tief in Felsen, in deren feinste
Haarspalten sie eindringt. Im Winter ruht die Salpetermonade; mit
steigender Temperatur aber erwacht sie und beginnt ihre felsverzehrende
Tätigkeit. Müntz berichtete über seine Funde an die Pariser Akademie
und teilte ihr mit, daß der berühmte 2620 m hohe Gipfel des Faulhorns,
von dem man eine herrliche Aussicht auf die Spitzen des Berner Ober-
landes genießt, nicht, wie mau bisher annahm, durch den Einfluß der
Atmosphäre -verwittert, sondern durch die Lebenstätigkeit der Nitromonaden
langsam zerfällt.
So arbeiten kleinste Lebewesen, unsichtbare Zwerge, an der Zer-
störung der Riesen, der Berge, und das Wasser zerbricht, was sie unter-
minierten, und führt die zerriebenen Berge als Kies, Sand, Lehm, Acker-
erde hinab. Aus Wassertropfeu werden Wasserfäden, aus Rinnsalen
Rinnen, aus Rinnen Wasserfälle, Bäche, Flüsse. Hat das Wasser erst so
viel Gewalt, daß es Brocken abreißen kann, dann schleppt es diese mit
sich, schleudert sie an Wände, die es zerpickt und ausschleift, bis sie
stürzen. Die Brocken wälzt es mit sich, rundet ihre Kanten durch Reiben
und Schleifen, und wo der Fluß langsamer wird, da setzt das Wasser
zunächst die groben Mitwanderer ab: das Geröll und den Kies, dann
die feineren: den Sand und den Ton. Das Ausgelöste aber, die Salze,
führt es ins Meer.
Zweierlei betrieb das Felsen zernagende Wasser von jeher. Es ver-
tiefte sein Bett und bildete die Täler, oder es vermochte nicht alles Feste
wegzuschleppen, das ihm von Zuflüssen zugeführt wurde, und schüttete den
Laus zu, den es geflossen, ehe es überladen wurde. Im Oberlaufe, in
den Höhen nagt das Wasser und gräbt es zur Wildwasserzeit, wenn es
taut, Rinnen, Schluchten und Täler. Im Unterlaufe breitet es sich aus
und setzt Sand ab, feinen Lehm und Schlick. So schleppt das Wasser
die Höhen in die Ebene.
Wo dem Laufe eines Wassers Hindernisse entgegengestellt werden, da
lagert es Mitwanderndes ab und sucht sich neues Gefälle. Es sammelt