1911 -
: Crüwell
- Autor: Wolffgarten, Hilar, Herold, Heinrich, Stephan, Reinke, Herold, Theodor
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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wie Kinder es gern tun, darin so lange geschaukelt, bis der Kahn
umgeschlagen und der Knabe ins Wasser gefallen war. Ein Gärtner,
der in der Nähe arbeitete, war sofort in den Teich gesprungen; doch
war es ihm erst nach zehn Minuten gelungen, den Knaben vom
Grunde des Teiches heraufzuholen. Als die Mutter herankam und
den Knaben totenblaß und leblos auf dem Rasen hingestreckt liegen
sah, gab sie sich der wildesten Verzweiflung hin. Der Ruf nach
ärztlicher Hilfe war natürlich für den Augenblick vergeblich. Die
Bewohner des Gutes eilten von allen Seiten herbei, unter ihnen ein
alter Schäfer, der in dem Rufe stand, allerlei ärztliche Kenntnisse zu
besitzen. Dieser machte auch sogleich Vorschläge zu Wiederbelebungs-
versuchen. Er riet, das Kind bei den Beinen in die Höhe zu heben
und mit dem Kopfe nach unten so lange zu schütteln, bis alles
Wasser aus dem Körper wieder heraus sei. Dann aber müßte man
es so lange reiben, bis die Wärme wiederkehre. Wenn dadurch das
Leben nicht zurückgerufen würde, sei alle Hilfe vergebens.
Da trat eine junge Dame, die erst seit wenigen Wochen als Er-
zieherin im Hause war, vor und erhob bescheiden, aber mit großer
Bestimmtheit Einspruch gegen die vorgeschriebenen Maßregeln. Sie
habe erst vor kurzem an dem Unterricht in einer Samariterschule
teilgenommen und dort gelernt, wie man sich bei Rettungsversuchen
an scheinbar Ertrunkenen zu verhalten habe. Das, was der Schäfer
vorgeschlagen habe, sei durchaus nicht zweckmäßig. Wenn man ihr
gestatten wolle, das Erlernte hier anzuwenden, so hoffe sie, daß es
noch möglich sei, den Knaben wieder ins Leben zurückzurufen. Die
Ruhe und Zuversicht, mit der das junge Mädchen gesprochen, flößte
der verzweifelten Mutter neue Hoffnung ein, und sie bat die Er-
zieherin, alles zu tun, was sie für nötig halte.
Jetzt wurde sofort ein Eilbote nach der Stadt zum Arzt
geschickt, dann wurden wollene Decken angewärmt. Die Sama-
riterin legte selbst Hand an, wobei sie das verständige Haus-
mädchen aufforderte, ihr Hilfe zu leisten. Mit einigen Scheren-
schnitten trennte sie Jacke und Hemd auf und streifte die Kleider vom
Oberkörper völlig ab. Mit einem Taschentuch entfernte sie den
Schlamm, der sich im Munde befand, zog die Zunge hervor und band
deren Spitze mit dem Taschentuch auf dem Kinn fest. Dann begann
sie mit dem Hausmädchen die künstlichen Atembewegungen auszuführen,
wie sie es in der Samariterschule geierut hatte. In stets gleichem Zeit-
maße wurde durch Erheben der Arme bis über den Kopf der kleine
Brustkasten möglichst weit ausgedehnt und dann wieder durch Senken
der Arme und Druck auf die Seitenflächen der Brust zusammengedrückt.
Mit deutlich hörbarem Geräusch drang der Luftstrom ein und aus;