1910 -
Dortmund
: Crüwell
- Autor: Herold, Heinrich, Wolffgarten, Hilar, Herold, Theodor, Reinke, Stephan
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Auch die Ratsherren eilten aus allen Richtungen, und nicht
so behaglich und würdevoll wie sonst, auf die Pfalz. Es wimmelte
draußen von Franzosen, an die 35 000 Mann. Das Sturmläuten
vom St. Wilhelm bis St. Nilllaus dauerte immer noch fort; man
hoffte die Bauern der Umgegend herbeizurufen als Verstärkung der
schwachen Besatzung. Viele Familien flohen auch in die Stadt und
brachten die Nachricht mit, daß von allen Seiten eine große fran-
zösische Armee Straßburg umzingle. Der Rat behielt aber durch-
aus den Kopf oben; eine Ehrenwache von 60 Bürgern wurde
vor dem Rathaus aufgestellt, um jedem Auflauf vorzubeugen.
Depeschen wurden abgesandt an Se. Majestät den Kaiser, an
einen erlauchten Reichstag und an den Herrn Markgrafen von Ba-
den-Durlach. Darin wurde gemeldet, daß eine starke Armee des Gene-
rals von Montclar in nachtschlafender Zeit die Stadt überfallen, die
Zollschanze nebst Rheinbrücke besetzt habe mit offenkundiger Absicht,
der altehrwürdigen Freiheit ein gewaltsames Ende zu bereiten. Bald
darauf schollen die Husschläge von fünf Reitern durch die Mond-
nacht. Da sie die Hauptstraßen besetzt wußten, so bogen sie unmittel-
bar vor dem Metzgertor links auf einen Feldweg ab; das gespannte
Pistol in der Rechten, sausten sie bei hellem Mondlicht wie die
wilde Fagd übers Feld, um die Depeschen über den Rhein zu bringen.
Bei Tagesanbruch ritt Herr Stadtsekretarius Güntzer, von einem
Trommler begleitet, vors Tor; hier wurde er von den französischen
Vorposten angehalten und nach Illkirch geführt, wo sich General
Montclar befand. Es war kein angenehmer Empfang. Se. Exzellenz
der General erklärte kalt und rauh, er fei als Gebieter da, nicht als
Unterhändler.
„Eure Stadt gehört nach den letzten Friedensvertrügen zu
Frankreich; wenn wir bis jetzt Straßburg nicht besetzt haben, so
geschah das nur deshalb, weil wir keine Zeit hatten. Wir machen
also nur von unserm Rechte Gebrauch. Erkennen aber die Herren
in Straßburg dies Recht nicht an, so habe ich hier bei mir 35o0o
Mann und werde den Herren Räten mit Pulver und Blei unser
Recht beweisen. Morgen oder heute noch trifft Minister Louvois
in Illkirch ein. Wenn Straßburg die Kanonen, deren Aufstellung
auf den Wällen man mir meldet, zu benutzen wagt, wenn Straß-
burg sich auch nur mit einem Schuß verteidigt, mein Herr Sekre-
tarius, so werde ich die Straßburger als Rebellen behandeln, wo-
nach man sich zu richten hat!"
So fertigte der General des Sonnenkönigs den Straßburger
Stadtschreiber ab. Als gegen elf Uhr Güntzer über diesen Empfang