1910 -
Dortmund
: Crüwell
- Autor: Herold, Heinrich, Wolffgarten, Hilar, Herold, Theodor, Reinke, Stephan
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Geschlecht (WdK): Jungen
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eine Art Landwirtschaft. Auf den Trümmerfeldern senken sich zahl-
reiche, oft tiefe rundliche Löcher ein. Sie muten wie kleine Krater an
und stehen manchmal in großer Anzahl nebeneinander. Die wenigen
Büche und Flüsse des Landes verschwinden gewöhnlich in solchen
Felsentrichtern. Man nennt diese Karsttrichter Dolinen, und sie sind
der „Reichtum" des Landes. In ihnen schwemmt der Regen die
rote Verwitterungserde zusammen, und wenn Wind und Regen
nicht hilfsbereit sind, so tut es der Bauer selbst und trägt Erde
säckeweis auf dem Rücken aus kleinen Spalten in seine Dolmen.
Hier ist vielleicht das einzige Land, wo man „Erddiebstähle" verübt.
Auf diesen runden Feldern, die oft nicht umfangreicher sind als ein
großes Zimmer, bestellt der Bewohner dieses Landes, der Tschitsche,
seine Landwirtschaft und dünkt sich reich, wenn er zwanzig Dolmen
sein eigen nennt, die freilich manchmal so zerstreut auseinander lie-
gen, daß er sie nur mit eines ganzen Tages Wanderung besuchen
kann.
Dieser eisenreiche rote Ton der Dolmen ist auch nicht unfrucht-
bar; namentlich Wein trügt er in reichster Fülle, was denn oft genug
einen lieblichen Gegensatz gibt, wenn man, über Schutthalden klim-
mend, aus einmal in eine Oase tritt zwischen ein Dutzend Oliven-
oder Maulbeerbäume, umrankt von Wein, vielleicht mit einen: aus
Steinen zusammengetragenen Hüttchen darin, dessen Pergola mit
dichtem Grün umsponnen ist. Das aber sind die reichsten Gegenden.
Denn sonst ist das Land tot und arm. Mit ein paar armseligen
Schafen und Ziegen leben die Bewohner zusammen in harter Ar-
beit zwischen sengender Sonnenhitze und eisigen Stürmen. Ein-
förmig vergeht ihr Leben, und sie sind so traurig und schweigsam
wie ihr Ländchen.
Aber eine steile Flüche, übersät mit spitzen glatten Blöcken,
stieg ich hinan, um den Ausweg aus dieser Öde zu gewinnen.
Schon den Tag zuvor waren prächtige Hausenwolken über der
langen Kette der Hochberge gestanden, die im Norden den Karst
an die eigentlichen Alpen anschließen, und des Abends war die
Sonne in so viel Glut und Brand zu Rüste gegangen, daß auch
die weniger Erfahrenen auf ein sich vorbereitendes Außergewöhn-
liches zu schließen wagten. Und nun war auch schon die „borino“
gekommen, die ersten Stöße jenes Fallwindes, den man an den
österreichischen Küsten Bora nennt, wenn er sich bis zur Sturmes-
stürke steigert.
Hier zwischen den hochgeschichteten Steinmauern war noch
nicht viel zu merken. Aber da öffnet sich zwischen dem Felsicht
ein Ausblick aufs Meer. Dunkelblau, fast schwarz, dort wieder