1914 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Nückell, K., Porger, Gustav, Wolff, Karl
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Jungen
minierten, und führt die zerriebenen Berge als Kies, Sand, Lehm, Acker-
erde hinab. Aus Wassertropfen werden Wasserfäden, aus Rinnsalen
Rinnen, aus Rinnen Wasserfälle, Büche, Flüsse. Hat das Wasser erst so
viel Gewalt, daß es Brocken abreißen kann, dann schleppt es diese mit
sich, schleudert sie an die Wände, die es zerpickt und ausschleift, bis sie
stürzen. Die Brocken wälzt es mit sich, rundet ihre Kanten durch Reiben
und Schleifen, und wo der Fluß langsamer wird, da setzt das Wasser
zunächst die groben Mitwanderer ab: das Geröll und den Kies, dann
die feineren: den Sand und den Ton. Das Aufgelöste aber, die Salze,
führt es ins Meer.
Zweierlei betrieb das Felsen zernagende Wasser von jeher. Es ver-
tiefte sein Bett und bildete die Täler, oder es vermochte nicht alles Feste
wegzuschleppen, das ihm von Zuflüssen zugeführt wurde, und schüttete den
Lauf zu, den es geflossen, ehe es überladen wurde. Im Oberlaufe, in
den Höhen nagt das Wasser und gräbt es zur Wildwasserzeit, wenn es
taut, Rinnen, Schluchten und Täler. Im Unterlaufe breitet es sich aus
und setzt Sand ab, feinen Lehm und Schlick. So schleppt das Wasser
die Höhen in die Ebene.
Wo dem Laufe eines Wassers Hindernisse entgegengestellt werden, da
lagert es Mitwanderndes ab und sucht sich neues Gefälle. Es sammelt
Kraft, indeni es sich staut, und mit vermehrtem Ungestüm durchbricht es
die Schranken, wo es sie schwach sindet. Mit welch furchtbarer Gewalt
Flüsse sich vor Menschengedenken neue Wege gebahnt haben, davon geben
die Steine Kunde, die sie mit sich schleppten, und das Geröll, das sie häuften.
Von grauenhaften Katastrophen erzählen die Steine ebensowohl, wie von
dem unermüdlichen Vernichtungskampfe des flüssigen Wassers gegen die
Feste der Erde.
Wie aber gelangt das Wasser dort oben hinauf auf die Schneegipfel,
von denen es herabtaut? Die Sonne hebt es. Ihre Strahlen verwandeln
das Wasser der Ebene, der Seen, der Meere in Dunst. Der Dunst ver-
dichtet sich aus den Höhen zu Wasser und während der kalten Zeit gu
Schnee. Die steigende Sonne bringt Wärme, Lenz und Tauwetter, und
das Wasser stürzt wieder zu Tal.
Nach der Kant-Laplaceschen Theorie ist die Erde ein Abgeschleudertes
der Sonne, gewissermaßen ihr Kind. Die Sonne jedoch zerstört ihr
eigenes Kind, indem sie das Wasser beauftragt, die Berge zu zerreißen
und sie ins Meer zu schleppen, bis es keine Erhöhung mehr zu vernichten
gibt. Sie hat dies ihr Kind überhaupt schon sehr seltsam behandelt, wie
die Steine erzählen. Die großen Blöcke, die im Flachland liegen, woher
kamen sie? Der Teufel hat sie sicherlich nicht hingeworfen und ebenso-
wenig ein ungeschlachter Riese. Ihre Art weist die Blöcke nach Skandi-
navien; ihre Beschaffenheit sagt, daß sie die Reise auf Eis gemacht haben.
Die sogenannten Gletscherspuren sagen das aus. Und nun erzählen diese