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1. Siebentes und achtes Schuljahr - S. 113

1910 - Halle a.S. : Schroedel
— 113 — Der Nachtwächter aber ging hinüber zum Schulmeister. Mit dem Knopf der Hellebarde stieß er an den Laden. „Ich bin's, macht auf!" „Wo brennt's?" rief der Schulmeister und öffnete den Laden. Da legte der Nachtwächter feine Arme dem Mann um den Kopf, neigte das Antlitz ihm an die Wange und flüsterte ihm ein Wort ins Ohr. Der Schulmeister zuckte zusammen; dann weinten beide Männer Brust an Brust. „Ich muß läuten, laß mich los," sagte endlich der Schulmeister. Aber sein Geselle war seiner nicht mehr mächtig. Gewaltsam machte sich der Greis frei, weckte seine Söhne und eilte zur Kirche hinauf, während der Nachtwächter sich wieder zum Pfarrhaus wandte. Seit vierzehn Jahren waren die Glocken stumm. Zum letztenmal hatten sie geläutet am Weihnachtsfeste nach der Nördlinger Schlacht. Dann schwie- gen sie, damit nicht die Mordbuben herbeigelockt würden. Und jetzt und jetzt schlugen sie wieder zusammen! „Was macht so?" fragten die Kinder. „Es läutet," sagten die Alten. „Steht auf, Kinder, 's ist Fried' im Land!" „Wer ist der Fried'?" fragten die Kinder, „nimmt uns der Fried' die Geiß weg, und schlägt er uns den Vater blutig?" „Schweigt, Kinder, und zieht euch an und betet!" „Tut der Fried' so sausen?" fragten die Kinder furchtsam. Aber die Mutter gab ihnen fürder keine Antwort. Da fingen sie an zu weinen und verkrochen sich, ein jedes in sein bekanntes Verstecklein und lauschten angstvoll dem fremden Getön. Übel klangen die Glocken. Die große war zersprungen. Gleich am Anfang des Krieges hatten die Mansfelder sie und die mittlere, die nicht mehr da war, zum Turm hinabgeworfen und mitgeschleppt. Die große fand man später im Walde. Aber auch so klang es den Alten wie Himmelsgeläute. Und doch war keine rechte Freude. Das Andenken an das erlittene Elend stand grausig auf. Jeder gedachte seines Verlustes, und die vielen Wunden der Seele bluteten alle zusammen. Starr sahen sich die Leute an, verstört standen sie auf der Gasse umher. Aber niemand zweifelte an der Wahrheit der Botschaft. 7. Von zwei Männern gestützt kam der alte Pfarrer die Straße herab. „Die Lore geht zum Nachtmahl," sagten sich die Leute. Viele schlossen sich an. Der Zug ging nach dem letzten Haus. Der Pfarrer trat mit dem Nachtwächter und dem ältesten Sohne des Schulmeisters in die Stube der Sterbenden. Ein Span wurde angezündet und an der Wand befestigt. Der Sigrist bereitete das Nachtmahltischlein am Bette der Kranken. Der Pfarrer beugte sich nieder, und wie ein starkes Deutsche- Lesebuch für Mittelschulen. Teil Hi A. 8
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