1910 -
Halle a.S.
: Schroedel
- Autor: Steger, August, Wohlrabe, Wilhelm
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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als Regenpropheten empfehlen wollen; die Regenringelblume hat davon
ihren Namen.
6. Daß auch die Blätter der Pflanzen schlafen, ist schwerer zu
beobachten. Unter den Bäumen sind es bei uns die nordamerikanischen
Akazien (Robinien) und Gleditschien, die am Tage ihre Blattfiedern
wagerecht auseinander breiten; gegen Abend beugen die erstem
ihre mit kurzen Gelenken am langen Blattstiel aufgereihten Fieder-
blättchen paarweis nach unten und neigen sich in abwärts gekehrtem
Bogen herab; in der Sonne dagegen schlagen sie dieselben paarweise
nach oben zusammen. Bei den Gleditschien richten die Fiederblätt-
chen sich auch am späten Abend steif aufwärts, pressen sich paar-
weise aneinander und legen sich gleichzeitig nach hinten. Von den
Mimosenbäumen der Tropen erzählen die Reisenden, es mache einen
rührenden Eindruck, wenn dieselben das zierliche Filigran ihrer reich
zusammengesetzten Fiederblättchen zur Dämmerungszeit paarweise so
zusammenschlagen und in beweglichem Gelenke niederbeugen, als sei
der Laubkrone ihr ganzer Blätterschmuck abgestreift.
Aber auch ein Kleefeld sieht bei Tage ganz anders aus als des
Abends, wenn die dreifingrigen Blätter sich zur Schlafstellung auf-
richten: die beiden Seitenblättchen schlagen sich wie zwei Hände
zusammen, während das mittlere sich über sie beugt; so drängen
sie sich aneinander, daß sie die roten Blütenköpfchen zwischen sich
verbergen.
7. Wer kennt nicht die Klytia, die holde Blumennymphe, die sich
in den großen Helios verliebte; da aber der hochmütige Gott auf
seinem flammenhufigen Gespann sich um das arme Kind nicht kümmerte,
härmte sie sich ab, bis die mitleidigen Götter sie in ein Heliotrop
verwandelten. Die Alten behaupteten, daß Klytia selbst noch in Blumen-
gestalt ihr Köpfchen der Sonne zuwende und deren Bahn am Firmamente
verfolge; so groß sei ihre Liebe zu dem leuchtenden Gestirn. In der
Tat ahmen zahlreiche Blumen das Beispiel der Klytia nach, indem
sie ihr Angesicht zur Sonne kehren und im Laufe des Tages mit dieser
von Ost über Süd nach West sich drehen. Die weiße Wasserrose
hebt am frühen Morgen den geschlossenen Blumenkelch aus dem Wasser,
in welches sie nachts ihn eingesenkt hatte, bis zum Mittag richtet
sie ihn senkrecht empor und breitet ihn offen aus; gegen Abend schließt
sie ihn wieder und taucht ihn unter, gegen die sinkende Sonne gebeugt.
Auch bei den duftenden Dolden der Wachsblume, bei Lilien und Rosen,
bei Georginen und Petunien hat man beobachtet, daß sie der Sonne zu
folgen bestrebt sind, und die Sonnenrose hat bei den modernen Dichtern
wegen dieser Eigenschaft den Namen der alten Klytia geerbt.
8. Auch diejenigen Pflanzen, die dem Tageslauf der Sonne nicht