1901 -
Kiel
: Lipsius & Tischer
- Autor: Lund, Heinrich, Suhr, Wilhelm
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
Il Aus der Geschichte des deutschen Vaterlandes.
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griffen; die Krankheit wuchs, und am 13. Juli schied er aus dem Leben. Da
kam Zwietracht fast über das ganze Reich, so daß an vielen Orten Totschlag,
Brand und Raub verübt wurde. Die Kaiserin Kunigunde aber sorgte für das
Reich so gut sie vermochte, obgleich sie die Kraft ihres Gemahls entbehrte; sie
wandte mit gewohnter Sorgfalt Geist und Willen darauf, das Reich wieder
in Stand zu bringen.
Die Bischöfe, Herzoge und die übrigen Großen meinten, daß die drohende
Gefahr nur durch ein Mittel vermieden werden könnte, und wandten die größte
Mühe und Sorgfalt an, damit das Gemeinwesen nicht länger ohne Herrscher
schwanke. Endlich wurde der Tag der Wahl festgesetzt und der Ort bestimmt,
und eine Versammlung des Landes kam zusammen, wie ich vorher nie ge-
sehen habe.
Zwischen Mainz und Worms dehnt sich eine weite Ebene, die eine sehr
große Menschenmenge zu fassen vermag. Dort kamen alle Fürsten — so zu
sagen Kraft und Herz des Reiches — zusammen und schlugen ihr Lager dies-
seit und jenseit des Rheins auf. Auf der deutschen Seite strömten die Sachsen
mit den angrenzenden Slaven, die Ostfranken, die Bayern und Alemannen
zusammen, auf der gallischen Seite aber vereinigten sich die Franken von jen-
seit des Rheins und die Lothringer. Sie erwogen das wichtige Werk, schwankten
unsicher über die Wahl und erforschten unter sich einer des andern Wünsche.
Lange wurde gestritten, wer regieren sollte; gegen den einen sprach zu un-
reife Jugend oder zu hohes Greisenalter, gegen den andern, daß seine Tüchtig-
keit unerprobt sei, gegen einige die offenkundige Beschwerde, daß sie übermütig
wären. Endlich wurden aus vielen wenige auserwählt und von den wenigen
zwei ausgesondert. Es waren zwei Konrade, von denen der eine, weil er mehr
Jahre zählte, Konrad der Ältere genannt wurde, der andere aber Konrad der
Jüngere, beide die edelsten in Deutschfranken, Söhne zweier Brüder.
Zwischen diesen beiden war der übrige Adel lange unsicher. Denn
obgleich fast alle im geheimen Konrad den Älteren wegen seiner Tüchtigkeit
und seines wackeren Sinnes forderten, so barg doch jeder seine Gesinnung
sorgfältig wegen der Macht des Jüngeren, damit die beiden nicht aus Ehrgeiz
uneins würden. Zuletzt aber fügte die göttliche Vorsehung, daß sie selbst unter
einander einen Vertrag schlossen, daß nämlich jeder ohne Verzug dem nachstehen
wollte, den etwa der größere Teil des Volkes forderte. Konrad der Ältere
redete seinen Verwandten durch diese trefflichen Worte an: „Hüten wir uns,
daß nicht der heutige Tag, der bis jetzt froh und glückverheißend war, uns
langes Unheil bereite, wenn wir die Gunst, die wir beide im Volke gefunden haben,
unter einander schlecht anwenden. Damit dies nicht von meiner Seite geschehe,
will ich dir, du Liebster unter meiner Sippe, meinen Entschluß kundthun.
Erkenne ich, daß der Sinn des Volkes dich zum König und Herrn fordert,
so werde ich dir durch keine Hinterlist diese gute Meinung entfremden,
sondern ich werde dich vielmehr eifriger als die übrigen erwählen, weil ich
hoffe, daß ich dir werter bin als die andern. Wenn aber der Herr mich