1. Bd. 2
- S. 377
1906 -
Straßburg
: Straßburger Dr. und Verl.-Anst.
- Hrsg.: Gottesleben, N.
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Vi. Bilder aus der Geschichte.
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kühnsten Untersuchungen wurde die Kammer von Breisach bestimmt, aus-
zusprechen, daß die sämtlichen im Elsaß angesessenen Reichsunmittelbaren,
Fürsten, Ämter, Stände, Ritterschaft als Vasallen des Königs zu erklären
seien, so daß allmählich 600 Städte, Flecken, Dörfer, Burgen, Mühlen
u. s. w. mit Frankreich verbunden wurden. Mit am härtesten wilrde der
Erzbischof von Trier getroffen. Ludwig nahm drei Ortschaften an der
Maas in Anspruch, weil König Pipin, der sie dem Stift geschenkt hatte,
sich dabei königliche Macht und Schutz darüber vorbehalten habe! Ober-
stem, das dem Erzbistum seit fünf Jahrhunderten angehörte, wurde jetzt
von französischen Truppen besetzt, ebenso Homburg und Bitsch. — Ein
Schauspiel ohne gleichen! Und das deutsche Kaisertum konnte nur macht-
los zusehen, wie mitten im Frieden Deutschlands Grenzen auf das scham-
loseste beraubt wurden. Und während die zahlreichen Reichsglieder in der
trostlosen Versammlung des Reichstags von Regensburg ihre Klagen
vorbrachten, legte der Feind bereits Hand an das edelste Reichskleinod,
an Straßburg.
Am 9. August 1680 fällte die Breisacher Neunionskammer den
Ausspruch, daß die Vogteien von Wasselnheim, Barr und Jllkirch zur
Krone Frankreich gehörten, und daß der derzeitige Besitzer — die Stadt
Straßburg — als Lehnstrüger dem Könige den Huldignngseid zu leisten
hätte. Das war der Knopf, an welchen Frankreich den straßburgischcn
Rock anzunähen entschlossen war. Die von Frankreich gestellte Forderung
wagte der Rat der Stadt nicht zu beantworten, aber man wünschte
auch keinen Streit mit Frankreich herbeizuführen. Obwohl die Zusammen-
ziehung französischer Truppen im Elsaß doch nur gegen die Freiheit der
Stadt gerichtet sein konnte, ließ sich der Rat dennoch, um nur jeden
Anstoß aus dem Wege zu räumen, von der französischen Staatskunst
nach und nach völlig entwaffnen. Er stellte auf Frankreichs Vorstellungen
die Arbeiten zum Wiederaufbau der Rheinschanzen ein, er ließ sich vom
französischen Minister das Recht auf den Besitz von 4000 kaiserlichen
und Schweizer Soldaten absprechen und entließ seine einzigen, schlag-
fertigen Truppen. Die Bürgerschaft redete daher von Bestechung der
Ratsherrn; doch steht fest, daß die Stadtbehörde nie um bestimmten
Lohn zur Herbeiführung der französischen Herrschaft gewirkt hat. Der
Rat tat nur in steigender Angst alles, um den Zusammenstoß zu ver-
meiden, und schien keine Ahnung davon zu haben, daß er den Überfall
auf diese Weise herbeizog.
Endlich faßte der französische König den Entschluß, die schon seit
Monaten schwebende Straßburger Frage in einer raschen und militä-
rischen Weise zu Ende zu bringen. General Montclar erhielt Befehl,
gegen Straßbnrg zu marschieren. In der Nacht vom 27. auf den
28. September 1681 besetzte Oberst Asfeld, den Montclar vorausschickte,