1. Bd. 2
- S. 385
1906 -
Straßburg
: Straßburger Dr. und Verl.-Anst.
- Hrsg.: Gottesleben, N.
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Vi. Bilder aus der Geschichte.
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gleitete ihn. Wohin der König kam, überall sah er den Landmann bei
der Ernte beschäftigt. Mit Freude erfüllte den König der Anblick der
mit Luzerne, rotem Klee und anderen neuen Futterkräutern bestellten
Äcker, vornehmlich aber blickte er mit Genugtuung auf die dazwischen
gelegenen Kartoffelfelder. Welche Muhe hatte es ihm verursacht, bei den
Bauern die Anpflanzung der Kartoffeln noch mehr zu verbreiten!
Die Julisonne brannte heiß auf des Königs Wagen; da war es
ihm denn doch ein Labsal, daß hier und da bereits die ans seine An-
ordnung an den Wegen gepflanzten Obstbäume, Pappeln und Rüstern
Schatten spendeten. Seine Reise ging durch verschiedene Dörfer. Manche
derselben waren durch Wollspinnereien, die infolge der durch des Königs
Anordnungen gebesserten Schafzucht sehr in Aufnahme gekommen waren,
bedeutend in ihrem Wohlstände gehoben worden. Bisweilen drängte sich ein
Bäuerlein an des Königs Wagen, um ihm eine Bittschrift zu überreichen.
Friedrich ließ dann halten und dieselbe durch seinen Begleiter in Empfang
nehmein Der Bittsteller konnte überzeugt sein, daß er in Kürze Antwort
erhalten werde. In Protzen stand der alte General von Zieten vor dem
Edelhofe. Der König ließ halten, stieg aus, um den alten Kriegshelden
zu ehren und umarmte ihn. Nachdem er sich eine Weile mit ihm ange-
legentlichst unterhalten hatte, ging die Fahrt weiter. Wo neue Pferde
vor den Reisewagen gespannt wurden, verließ der König denselben, sprach
mit diesem oder jenem, besichtigte auch wohl die in den meisten Dörfern
angepflanzten Maulbeerbäume; denn um eine einheimische Seidenindustrie
hervorzurufen und zu heben, mußte jeder Bauer vier solcher Bäume pflanzen.
Hier und da warf Friedrich einen Blick auf einen Obstgarten. Derjenige
Bauer, der unter Anleitung der vom Könige angestellten Kreisgärtner
sich in Obstzucht und Gartenbau hervorgetan hatte, erhielt jetzt eine
Belobigung.
Auf seiner Fahrt kam der König auch an eine Gruppe Bauern,
welche Roggen mähten. Sie bildeten an den Wegseiten zwei Reihen,
strichen grüßend ihre Sensen und ließen ihren König durch ihre Reihen
fahren. Sie statteten ihm auf diese Weise ihren Dank dafür ab, daß er
ihre Hofdienste auf drei Tage beschränkt hatte und sie gegen die Miß-
handlungen von Beamten und Gutsherren in Schutz nahm.
Im Dorfe Barsekow trat die Frau von Grießheim an den Wagen
des Königs, um sich für die ihrer Familie geschenkten zweihundert Morgen
Landes zu bedanken. Der König hatte dadurch der verarmten Familie
helfen wollen, wie er den Landadel durch Vorschüsse an Geld und Saat-
korn, durch Gründung von landwirtschaftlichen Kreditanstalten und andere
Maßnahmen zu stützen suchte. Wie in Barsekow traf der König allent-
halben auf seiner Fahrt vor den Edelhöfen die Mitglieder der Adels-
samilien zu seiner Begrüßung bereit.
N. Gottesleben, Deutsches Lesebuch.
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