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1. (Achtes und neuntes Schuljahr) - S. 231

1914 - Frankfurt am Main : Diesterweg
ihrer Hauptstadt bestanden. Nur einige größere Städte, in denen das deutsche Leben durch feste Mauern und den alten Marktverkehr unter- halten wurde, und geschützte Landstriche, die ausschließlich von Deutschen bewohnt wurden, lebten in erträglichen Zuständen. Andre Städte lagen in Trümmern wie die meisten Höfe des Flachlandes. Bromberg, die deutsche Kolonistenstadt, fanden die Preußen in Schutt und Ruinen; Kulm hatte sich aus alter Zeit seine wohlgefügten Mauern und die. stattlichen Kirchen bewahrt; aber in den Straßen ragten die Hälse der Hauskeller über das morsche Holz und die Ziegelbrocken der zerfallenen Gebäude hervor, ganze Straßen bestanden nur aus solchen Keller- räumen, in denen elende Bewohner hausten. Von den vierzig Häusern des großen Marktplatzes hatten achtundzwanzig keine Türen, keine Dächer, keine Fenster und keine Eigentümer. In ähnlicher Verfassung waren andre Städte. Auch die Mehrzahl des Landvolkes lebte in Zuständen, die den Beamten des Königs jämmerlich schienen. Wer einem Dorfe nahte, der sah graue Hütten und zerrissene Strohdächer auf kahler Fläche, ohne einen Baum, ohne einen Garten — nur die Sauerkirschbäume waren altheimisch. Die Häuser waren aus hölzernen Sprossen gebaut, mit Lehm ausgeklebt; durch die Haustür trat man in die Stube mit großem Herd ohne Schornstein; Stubenöfen waren unbekannt, selten wurde ein Licht angezündet, nur der Kienspan erhellte das Dunkel der langen Winterabende. Das schmutzige und wüste Volk lebte von Brei aus Roggenmehl, oft nur von Kräutern, die sie als Kohl zur Suppe kochten, von Heringen und Branntwein, dem Frauen wie Männer unter- lagen. Brot wurde nur von den Reichsten gebacken. Viele hatten in ihrem Leben noch nie einen solchen Leckerbissen gegessen, in wenig Dörfern stand ein Backofen. Hielten die Leute ja einmal Bienenstöcke, so ver- kauften sie den Honig an die Städter, außerdem geschnitzte Löffel und gestohlene Rinde; dafür erstanden sie auf den Jahrmärkten den groben blauen Tuchrock, die schwarze Pelzmütze und das hellrote Kopftuch für ihre Frauen. Richt häufig war ein Webstuhl, das Spinnrad kannte man gar nicht. Die Preußen hörten dort kein Volkslied, keinen Tanz, keine Musik; stumm und schwerfällig trank das Volk den schlechten Brannt- wein, prügelte sich und taumelte in die Winkel. Auch der Bauernadel unterschied sich kaum von den Bauern; er führte seinen Hakenflug selbst und klapperte in Holzpantoffeln auf dem ungedielten Fußboden seiner Hütte. Schwer wurde es auch dem Preußenkönig, diesem Volke zu nützen.
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