1914 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Hrsg.: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
354
beabsichtigte Mittellager mit dem großen Zelt für Wochen ein-
gerichtet. Tags darauf brach die kleinere Bergkarawane von acht
Mann auf, um über die Grasflur dem Sattelplateau zwischen den
beiden Bergen zuzustreben. Sie kam an diesem Tag nicht ans Ziel;
erst am folgenden Tag wurde das Kibolager in der Nähe des west-
lichen Bergriesen, 4330 Meter hoch, erreicht. Unterhalb vier weithin
sichtbarer, hoher Felsblöcke, hinter einem Wall kleinerer Blöcke
wurde das kleine Zelt aufgeschlagen. Während die fünf Träger
zurückgeschickt wurden, blieben nur die zwei Reisenden mit einem
Suahelibegleiter zurück.
Am 3. Oktober, bei kalter und stockfinsterer Nacht, wurde die
erste Kibobesteigung unternommen. Der Kegel lag etwa 21/2 Kilo-
meter vom Lager entfernt, auf seiner etwa 6 Kilometer breiten
Grundfläche noch 1680 Meter über ihrem Standpunkt aufgetürmt.
7 Uhr 20 Minuten standen sie endlich auf dem Rücken der Bergrippe,
die sie sich als geeignetsten Aufstiegsweg ausersehen hatten, und
begannen keuchend über festen Fels und losen Schutt hinweg der
steilen Erhebung des Kammes zum Eis hinan zu folgen. Alle zehn
Minuten mußten sie ein paar Augenblicke Stehenbleiben, um den
Lungen und dem Herzschlag eine kurze Beruhigung zu gönnen.
Denn sie befanden sich längst über Montblanc-Höhe, und die zu-
nehmende Luftdünne machte sich allmählich fühlbar. 9 Uhr
50 Minuten langten sie an der untern Grenze des geschlossenen
Kiboeises 5480 Meter hoch an. Da die Eiskuppe sofort unter 35 Grad
Neigung emporsteigt, war ihr ohne Eispickel durchaus nicht bei-
zukommen. So suchten sie die Schneebrillen hervor, zogen den
Schleier über das Gesicht und banden das Gletscherseil um den
Leib. Um 1/211 Uhr begann die schwierige Arbeit des Stufenhauens.
In dem glasharten, im Bruch wasserhell glänzenden Eis erforderte
jede Stufe an zwanzig Pickelhiebe. Langsam ging es an der glatten
Wand aufwärts, anfänglich wegen ihrer fürchterlichen Steilheit schräg
nach rechts hinauf, dann gerade auf den Gipfel zu. 12 Uhr
20 Minuten standen sie unter der letzten, steilen Erhebung des Eis-
hanges in 5700 Meter Höhe. Obwohl die Temperatur nur wenig
über 0 Grad Celsius schwankte, wirkte doch der Sonnenreflex vom
Eis durch Brille und Schleier so stark schmerzhaft hindurch, daß
sich ihnen später die Haut von Hals und Gesicht ablöste und Meyers
Augen tagelang der dunkelblauen Schutzbrille bedurften. „Das Er-