Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Teil 2, Oberstufe, Teil 1 - S. 207

1901 - Kiel : Lipsius & Tischer
Iv. Aus der weiten Welt. 207 konnten, ergingen sie sich gern in dem Schotten des segenbringenden Baumes und tranken aus dem heilenden Quell. Im Mai jedes Jahres zogen die jungen Bursche und Mädchen und die Kinder des Dorfes in frohen Scharen nach der heiligen Stätte. Sie schmückten die Zweige mit Blumengewinden uitd Kränzen und tanzten um den Baum. Auch Johanna besuchte den heiligen Baum oft mit den Mädchen ihres Alters, aber fciten nahm sie an dem Tanze teil; lieber sang sie auch an diesem Orte ihre frommen Lieder. — Niemals lag Frankreich so völlig danieder wie zu dieser Zeit. Das Heer, niedergeworfen in blutigen Schlachten, war nahe daran, vor den Fremden die Waffen zu strecken. Der schwachsinnige König überließ die Zügel des Staates, die er niemals in festen Händen gehalten hatte, einigen ehrgeizigen Prinzen, die sich die Herrschaft über das Land in blutigen Kriegen streitig machten. Die unnatürliche Mutter des Königs verschwor sich gegen ihr eigenes Fleisch und Blut; sie ächtete den König, den einzigen Sohn, der ihr geblieben war, und überlieferte das Reich den Engländern, die schon mehr als die Hälfte des Landes, dazu auch die Hauptstadt, in Besitz genommen hatten. Von der flandrischen Küste bis zu den Pyrenäen wurde das Land von Kriegs- scharen durchzogen, die in keines Herrn Pflicht standen und die Freund und Feind ohne Unterschied ausplünderten und erwürgten. Unterdessen belagerten die Engländer Orleans, das letzte Bollwerk der französischen Freiheit. Hier machte das sterbende Frankreich seine letzten An- strengungen; jeder Bürger war Soldat geworden, und selbst die Frauen wett- eiferten mit den unerschrockensten Kriegern an Tapferkeit. Als nun die Eng- länder noch fortwährend Verstärkungen erhielten, suchte das Heer des franzö- sischen Königs ihnen den Weg zu verlegeu. Dies gelang aber nicht. Die Franzosen wurden geschlagen, und die Nachricht von dem neuen Unglück rief in der belagerten Stadt die größte Bestürzung hervor. Der König schien unter der Last seiner Schande zu erliegen; er dachte sogar daran, Chinon, wo er seinen Hof hielt, zu verlassen und nach der Dauphine, dem äußersten Osten, zu entfliehen. Sicherlich hätten dann die Bewohner von Orleans sich nicht länger für einen König geopfert, der sie selbst im Stiche ließ. Die Engländer würden die Stadt erobert und binnen kurzer Zeit ganz Frankreich unterjocht haben. Vor dieser Schmach wurde es durch die unerwartete Ankunft der Heldeu- jungfrau im Lager des Königs bewahrt. Das war aber so zugegangen. Eines Tages um die Mittagszeit, als Johanna in ihres Vaters Garten stand, sah sie die Luft von einer überirdischen Klarheit erfüllt, und unbekannte Stimmen tönten an ihr Ohr. Ihr wurde befohlen, nach Frankreich zu gehen, Orleans zu befreien und den König Karl zur Salbung nach Reims zu führen. Zuvor aber sollte sie nach Vaucouleurs zum Hauptmann Baudrieourt gehen und ihn bitten, ihr einige tapfere Männer zur Bedeckung mitzugeben. Da sie zweifelte, daß sie von ihren Eltern die Erlaubnis dazu bekommen würde, begab sie sich zu ihrem Oheim und wußte ihn zum Glauben an ihre göttliche Sendung zu bewegen. Als nun aber der
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer