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1. Teil 2, Oberstufe, Teil 1 - S. 208

1901 - Kiel : Lipsius & Tischer
208 Iv. Aus der weiten Welt. Oheim dem Hauptmann die Wünsche der Jungfrau mitteilte, wurde er übel empfangen: Baudrieourt riet ihm, das Mädchen zu ohrfeigen und zu ihrem Vater zurückzuschicken. Da machte sich Johanna selbst auf. Sie wurde vor- gelassen und erkannte den Hauptmann, den sie nie gesehen hatte, unter einer Schar von Edelleuten, die um ihn standen. Sie sagte ihm: „Mein Herr hat mir geboten, Orleans zu befreien und den Dauphin nach Reiins zu führen." Da fragte man sie, wer ihr Herr sei. Sie antwortete: „Der König des Himmels!" Baudrieourt, obwohl über die Festigkeit ihrer Antworten erstaunt, zögerte dennoch, ihren Bitten nachzugeben. Sie aber ließ sich nicht zurück- schrecken, hatte doch die Stimme ihr gesagt, daß man sie dreimal abweisen werde. Sie verdoppelte ihre Bitten und sprach unaufhörlich von ihrer gött- lichen Sendung; jeder Tag vermehrte ihren ungeduldigen Eifer. Endlich ge- lobten ihr zwei Ritter, sie zum Könige zu führen. Da ließ Johanna ihr langes Haar abschneiden, legte Männerkleidung an und ließ einen Brief schreiben, in dem sie ihre Eltern um Verzeihung bat. Als sie diese erhalten hatte, brach sie mit ihrer Begleitung auf und langte am 24. Februar 1429 im Lager des Königs zu Chinon an. Ihre Ankunft machte wenig Aufsehen; die obersten Führer waren sogar der Meinung, man müsse sie zurückschicken, ohne sie an- zuhören. Erst nach zweitägiger Beratung wurde sie beim Könige vorgelassen. Dieser hatte sich unter seine Höflinge gemischt, von denen mehrere prächtiger gekleidet waren als er. Johanna aber erkannte ihn dennoch und kniete huldigend vor ihm nieder. „Ich bin nicht der König," sagte Karl. Die Jungfrau aber sprach: „Edler Prinz, Ihr seid's und kein anderer. Ich bin von Gott gesandt, Euch und Eurem Reiche Hülse zu bringen; durch mich verkündet Euch der Herr des Himmels, daß man Euch in Reims salben und krönen wird als Statthalter des Himmelsfürsien, der auch Frankreichs König ist." Karl war aufs höchste überrascht; er nahm sie beiseite, um sie weiter auszuforschen. Als ihm nun Johanna Geheimnisse über seine eigene Person offenbarte, die nur ihm und seinem Gotte bekannt waren, da begann der Zweifel aus seinem Herzen zu schwinden. Dennoch berief er eine Anzahl von Theologen, die prüfen sollten, ob man ihren Worten Glauben beimessen dürfe. Nach mehreren Unterredungen und nachdem man sie längere Zeit Tag und Nacht überwacht hatte, erklärten die ehrwürdigen Väter, daß ihnen nichts Böses aufgefallen sei und daß der König die Hülfe des jungen Mädchens annehmen könne. Nun war alles Schwanken zu Ende; allen, den Führern wie dem Heere, teilte die Jungfrau ihren feurigen Eifer für die Sache des Königs und des Vaterlandes mit. Der Kriegsrat beschloß, unter ihrer Führung eine Hülfstruppe mit Vorräten nach Orleans zu schicken. Man gab ihr als Leibwache einen Knappen, zwei Edelknaben und zwei Wappeuherolde mit, außerdem einen Beichtvater. Der König ließ eine vollständige Rüstung für sie anfertigen. Auf ihren Wunsch erhielt sie auch ein eigenes Banner aus weißem Leinen mit seidenen Borten; auf dem weißen, mit eingewirkten Lilien geschmückten Felde erstrahlte die Gestalt des Weltheilandes, als Weltenrichter auf den Wolken
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