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1. Schul-Lesebuch - S. 25

1863 - Berlin : Stubenrauch
25 39. Die gute Mutter. Im Jahre 1796, als die französische Armee nach dem Rückzüge aus Deutschland jenseits hinab am Rhein lag, sehnte sich eine Mutter in der Schweiz nach ihrem Kind, das bei der Armee war, und von dem sie lange nichts er- fahren hatte, und ih.r Herz hatte daheim keine Ruhe mehr. „Er muß bei der Rheinarmee sein," sagte sie, „und der liebe Gott, der ihn mir gegeben hat, wirb mich zu ihm führen." Und als sie auf dem Postwagen zum St. Johanniö- thor in Basel heraus und an den Rebhäusern vorbei in's Sundgau gekommen war, treuherzig und redselig, wie alle Gemüther' sind, die Theilnahme und Hoffnung bedürfen, und die Schweizer ohnedem, erzählte sie ihren Reisegefähr- ten bald, was sie auf den Weg getrieben hatte. „Find' ich ihn in Colmar nicht, so geh' ich nach Straßburg; find' ich ihn in Straßburg nicht, so geh' ich nach Mainz." Die Andern sagten Das dazu und Jenes, und Einer fragte sie: „Was ist denn euer Sohn bei der Armee? Major?" Da wurde sie fast ver- schämt in ihrem Inwendigen. Denn sie dachte, er könnte wohl Major sein, oder so Etwas, weil er immer brav war; aber sie wußte es nicht. „Wenn ich ihn nur finde," sagte sie, „so darf er auch etwas weniger sein; denn er ist mein Sohn." Zwei Stunden herwärts Colmar aber, als schon die Sonne sich zu den Elsässer Bergen neigte — die Hirten trieben heim, die Kamine in den Dörfern rauchten, die Soldaten in dem Lager nicht weit von der Straße stan- den partienweise mit dem Gewehr beim Fuß, und die Generäle und Obersten standen vor dem Lager beisammen, plauderten mit einander, und eine junge weißgekleidete Person von weiblichem Geschlechte und feiner Bildung stand auch dabei und wiegte auf ihren Armen ein Kind. Die Frau im Postwagen sagte: „Daö ist auch keine, gemeine Person, daß sie nahe bei den Herren steht. Was gilt'ö? der mit ihr redet, ist ihr Mann." Der geneigte Leser fängt allbereits an, Etwas zu merken; aber die Frau im Postwagen merkte noch nichts. Ihr Mntterherz hatte noch keine Ahnung, so nahe sie an ihm vorbeigefahren war, sondern bis nach Colmar hinein war sie still und redete nimmer. In der Stadt, im Wirthshaus, wo schon eine Gesellschaft an der Mahlzeit saß, und die Reisegefährten setzten sich auch noch, wo Platz war, da war ihr Herz erst recht zwischen Bangigkeit und Hoffnung eingeengt, daß sie jetzt Etwas von ih- rem Sohne erfahren könnte, ob ihn Niemand kenne, und ob er noch lebe, und ob er Etwas sei, und hatte doch den Muth fast nicht, zu fragen. Denn es ge- hört Herz dazu, eine Frage zu thun, wo man das Ja so gerne hören möchte, und das Nein ist doch möglich. Auch meinte sie, Jedermann merke es, daß es ihr Sohn sei, nach dem sie frage, und daß sie hoffe, er sei Etwas geworden. Endlich aber, als ihr der Diener des Wirths die Suppe brachte, hielt sie ihn heimlich am Rocke fest und fragte ihn-, „Kennt ihr nicht Einen bei der Armee, oder habt ihr nicht von Einem gehört, so und so? Der Diener sagt: „Das ist ja unser General, der im Lager steht. Heute hat er bei uns zu Mittag gegessen", und zeigte ihr den Platz. Aber die gute Mutter gab ihm wenig Gehör darauf, sondern meinte, es sei Spaß; der Diener ruft den Wirth. Der Wirth sagt: „Ja, so heißt der General." Ein Offizier sagte auch: „Ja, so heißt unser General", und auf ihre Fragen antwortete er: „Ja, so alt kann er sein, und ja, so sieht er aus und ist von Geburt ein Schweizer." Da konnte sic sich nicht mehr halten vor inwendiger Bewegung und sagte: „Es ist mein Sohn, den ich suche"; und ihr ehrliches Schweizergesicht sah fast ein wenig einfältig aus vor unverhoffter Freude und vor Liebe und Scham. Denn sie schämte sich, daß sie eines Generals Mutter sein sollte, vor so vielen Leuten, und konnte es doch nicht verschweigen. Aber der Wirth sagte: „Wenn das so ist, gute Frau, so laßt herzhaft eure Sachen von dem Postwagen abladen, und erlaubt mir, daß ich morgen in aller Frühe ein Kaleschlein anspannen lasse und euch hinausfahre zu eurem Herrn Sohn in das Lager." Am Morgen, als sie i» das Lager kam und den General sah, ja, so war e§ ihr Sohn, und die junge
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