1863 -
Berlin
: Stubenrauch
- Hrsg.: Menzel, J., Richter, Carl, Wetzel, Friedrich, Menges, Heinrich
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
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Da nun Luther die heilige Schrift zu verdeutschen anfing, las
man das Wort Gottes begierig, so jemand lesen konnte; denn
diese Kunst verstanden nicht Viele. Desto eifriger hörten sie zu,
wo das Wort Gottes lauter und rein verkündigt wurde. Wie
die warme Frühlingssonne den Schnee hinwegschmilzt, der aus
unsern Feldern liegt; es kommen die grünen Blätter der Saat
hervor, und bald gleicht das Land einem schönen grünen Teppich:
also thaute das lebendige Wort Gottes den thörichten Aberglau-
den hinweg, und es begann sich wieder ein neues Leben zu regen
in den Herzen der Menschen. Es ist nicht selten geschehen, daß
sie in den Kirchen, da man früher meist nur in lateinischer Sprache
redete, wie aus einem Munde ein geistliches Lied in der Mutter-
sprache zu singen anfingen; es wußte keiner, wer den Anfang ge-
macht hatte; aber sie sangen es alle mit, recht aus Herzensgründe.
So ein Lied hat oft mehr gewirkt, als eine Predigt; sonderlich
sangen sie gern das Lied des Paul Speratus:
Es ist das Heil uns kommen her
aus Gnad' und lauter Güte.
Im Herzen waren die Märker längst dem Luther zugethan,
und wenn's auf sie angekommen wäre, so wäre der evangelische
Gottesdienst und die evangelische Predigt, wie es zu Wittenberg
und anderswo der Fall war, sogleich eingeführt worden. Aber
Kurfürst Joachim I. dachte anders. Der regierte damals die
Marken mit kräftiger Hand. Es war nicht gut gethan, ihm zu
widersprechen; denn er war ein strenger Herr und Gebieter.
Die Adligen, welche es noch liebten, hinter den Büschen in den
Haiden zu liegen und auf die reichen Kaufherrn, die mit ihren
Gütern zur Messe reiseten, zu lauern, wußten davon zu erzählen.
Der strenge Fürst hatte ihrer viele schimpflich hinrichten lassen;
er wollte solche Landschädiger nicht dulden. Seitdem fürchtete
man ihn.
Die Reformation widerstrebte ihm. Es war ihm ein Gräuel,
daß ein schlichtes Mönchlein sich unterfangen hatte, die Kirche
Jesu Christi zu reformiren. An dem Werke waren früher Für-
sten zu Grunde gegangen. Es hatte ihn auch der Aufruhr der
Bauern in Thüringen und Franken geärgert. Diese hatten das
Wort Gottes von der Freiheit des Christenmenschen schlecht ver-
standen, halten die Fahne der Empörung aufgepstanzt und waren
plündernd und mordend durch Deutschland gezogen. Es waren
Gräuel geschehen, davor man erschrickt, wenn man davon hört.
Nur mit Mühe waren die Fürsten der Bauern Meister geworden
und hatten sie zu Tausenden erschlagen. Joachim aber meinte,
das habe der Luther angerichtet, und der war doch unschuldig an
dem thörichten und sündhaften Unterfangen der Bauern. — Es
mag auch wohl wahr sein, daß der Kurfürst mit Neid auf di?