1863 -
Berlin
: Stubenrauch
- Hrsg.: Menzel, J., Richter, Carl, Wetzel, Friedrich, Menges, Heinrich
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
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Er unser Land vor solchen Gräueln, wie sie unsere Väter haben
erleben müssen! — Ueber zwanzig Jahre wüthete nun schon der
Krieg, welcher nachmals der dreißigjährige genannt worden ist,
und noch war sein Ende nicht abzusehen. Um des Glaubens wil-
len war er begonnen worden; für das Evangelium und das lau-
tere Wort Gottes stritten die evangelischen Fürsten und Völker
wider die Katholiken, an deren Spitze der Kaiser stand, und die
darauf aus waren, die evangelische Kirche von der Erde zu ver-
tilgen. Und für ihren Glauben haben unsere Vorfahren Gut und
Blut darangesetzt und so Schreckliches erduldet, daß es kaum
glaubt, wer es hört. Es ist gut, daß das Geschlecht, das heute
lebt, und die, so nach uns kommen werden, dessen nimmer ver-
gessen. — Aber im Kriege verwildert der Mensch. Es ist am
Ende des Krieges, als das Blut schon in Strömen geflossen war,
vom Glauben nicht groß mehr die Rede gewesen. Da haben die
Soldaten, die doch den Christennamen trugen, ärger gehaust, denn
Heiden pflegen, und kann man nicht sagen, wer es ärger getrie-
den hat, die Katholiken oder Evangelischen.
Wie grauenhaft zumal sah es in dem Stammlande des jun-
gen Kurfürsten aus, als er die Regierung antrat! Wer da das
Land durchzog, dem kamen die Thränen in die Augen über den
Gräuel der Verwüstung.
Wo vor wenig Jahren noch Dörfer gestanden hatten, sah
der Wandersmann nichts denn Schutt, und das Gras wuchs über
den Trümmern. Auch die Gotteshäuser waren ein Raub der Flam-
men geworden; kaum daß die Mauern derselben noch standen.
Wenn der Frühling in's Land kam, kehrten die Störche und
Schwalben wohl wieder zurück; aber das Dach, welches sie so
lange beherbergt hatte, fanden sie nicht. Im Sommer wurden
die Bäume zwar grün; aber kein Saatfeld erfreute des Menschen
Herz, und der Landmann konnte nicht voller Dank und Hoffnung
auf den Segen der Felder blicken. Sie lagen brach und wüst.
Wußte doch keiner, ob's ihm vergönnt sein würde, die Ernte sicher
einzubringen; und wenn's auch geschah, wer konnte sagen, ob mor-
gen nicht schon die Feinde ihre Lust daran finden würden, die
Scheunen in Brand zu stecken? Dazu fehlte es an Händen, die
Felder zu bebauen. Zu Tausenden hatte der Krieg die Menschen
hingerafft; was das Schwert nicht fraß, das riß Hungersnoth
und Pest in's Grab. In den Städten lugte auch das Elend in's
Fenster hinein. Es standen 200 Häuser in der Hauptstadt leer
und hatten keine Bewohner, da Friedrich Wilhelm Kurfürst ward.
Es war freilich überall so in deutschen Landen; vom Rhein bis
über die Oder, von der Nord- und Ostsee bis tief nach Süden
hin, wo der Donaustrom fließt, war ein grenzenloses Elend
eingekehrt. Denn durch das ganze deutsche Land waren die wil-