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1. Schul-Lesebuch - S. 219

1863 - Berlin : Stubenrauch
219 nete den anklopfenden Kleinen seine Thüre, speiste, tränkte und kleidete sie und ging hinaus und weinte bitterlich. Die Größe des Elends gebot ihm bald, Genossen zu suchen, die mit ihm zur Hülfe sich verbänden. Er sammelte alle Gleichgesinnten zur „Gesell- schaft der Freunde in der Noth", die, eins in Liebe und Barmherzigkeit, dem Strome des Jammers sich muthig in den Weg stellte. Dieser Verein unterstützte das arme Landvolk mit haaren Geschenken und unverzinslicheu Vor- schüssen zum Ankauf von Vieh und Saatkorn, zum Wiederaufbau ihrer ver- brannten Häuser, zur Verpflegung ihrer Waisen und Kranken. Ader dabei konnte Falk nicht stehen bleiben, sondern mehr als Alles ängstigte ihn die Sorge um die verlassene und hülflos verkommende Jugend. Mit Muttersorge sam- melte er die hülflosen, verlassenen Kindlein von den Landstraßen, wo sie ver- schmachtet umherirrten, und von den Zäunen, wo sie verkamen, in sein eigenes Haus; und was er seinen eigenen Kindern, die nun im Grabe lagen, von Liebe und aufopfernder Treue nicht mehr erweisen konnte, das erwies er den frem- den, in denen der Herr selbst tröstend zu ihm gekommen war. Der Glaube an diesen Herrn war das goldene Kapital, mit dem er getrost ein Rettungs- haus für arme, unglückliche Kinder begründete. Wenn die Knaben darin das rechte Alter erreicht halten, also daß au ihre Zukunft mußte gedacht werden, dann brachte er sie zu ehrsamen, gottesfürchti- gen Handwerkern, damit sie dort der edlen Schusterei, Schneiderei und Tisch- lerei Pflegen und dereinst in Ehren ihr Brot sich erwerben könnten. Aber jeg- lichen Sonntag, wenn die Werkstätten geschlossen waren und das junge Volk sonst in Gefahr ist, seinen Sparpfennig in den Wirthshäusern und auf den Tanzböden zu vergeuden, rief er diejenigen, welche in Weimar die Burschen- zeit durchmachten, wieder zu sich in sein Haus und verlebte mit ihnen in trau- lichen Gesprächen, bei Gesang und bei Betrachtung vou Gottes Wort, stille Abendstunden, deren Segen sie in die Arbeitswoche mit hinausuahmen. Die Anstalt mehrte sich fort und fort; das grenzenlose Kriegöelend mit seinem Gefolge füllte und überfüllte noch immer die schon beschränkten Räume. Im Jahre 1821 zählte die Anstalt an 300 arme Kinder. Als nun das Haus gar zu voll war, schaffte Johannes Rath. Für 5000 Thaler erstand er käuf- lich den Lutherhof. Da wurde also gesackt und gepackt und geschleppt und ge- tragen; und weil viele Hände bald ein Ende machen, so währte es nicht lange, bis alle Habseligkeiten in's Luthergäßchen hinübergeschafst und das ganze Nest mit den 300 Küchlein in den altergrauen Mauern geborgen war. Da nun aber der Lutherhof gar sehr wüste und leer war, Maurer und Zimmerleute auch nicht konnten gedungen werden, mußten die Jungen selber sehen, wie sie fertig würden. Und damit fing das Mauern, Zimmern und Hobeln an, früh und spät und spät und früh, und mit solcher Fröhlichkeit, mit Lust und Ge- sang, daß, wenn Luther noch einmal in das alte Haus getreten wäre, er vor Freuden in die Hände geklatscht und sicherlich fix mit Hand angelegt hätte. Mancher Freund, dem die Sache gefiel, gab zu dem Bau willig sein Scherf- lein, und als vier Sommer in'ö Land gegangen waren, war aus dem alten Lutherhose rm neuer Lutherhof geboren^ aber, der alte Luthergeist waltete noch
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