1866 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Grube, August Wilhelm
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gehobene Volksschule
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Die geeinteste Kaste war die der Priester. Sie waren die Erzieher
und Räthe des Königs, sie gaben die Gesetze und richteten das Volk nach
diesen Gesetzen. Sie bestimmten nach dem Lause der Gestirne und dem regel-
mäßigen Austreten des Nil die Eintheilung des Jahres und Ordnung des
Kalenders; sie waren die einzigen Gelehrten im Lande, die Pfleger der Künste
und Wissenschaften. Zugleich waren sie auch die Aerzte, doch so, daß Jeder
nur für eine bestimmte Krankheit die Heilmittel stndirte. Es gab also Aerzte
sur Augenkrankheiten, Magenkrankheiten, für gebrochene Glieder u. s. w.,
wie das auch bei uns zum Theil der Fall ist. Von ihrer Kenntniß der
Naturkräfte zeugen die Wunder, die sie vor den Augen des Moses ver-
richteten. Darum wurden sie auch vom Volke als Zauberer angesehen.
Der Oberpriester wohnte am Hofe des Königs; die Söhne der Priester
hatten die vornehmsten Stetten bei Hofe, und mit ihnen wurden die Prinzen
erzogen. Mit ängstlicher Genauigkeit war dem Könige vorgeschrieben, wann
er aufstehen, opfern, essen, zu seiner Gemahlin gehen durfte. In der ersten
Stunde liad; dem Aufstehen wurden die Depeschen eröffnet. Dann verfügte
sich der König, angethan mit prächtigen Gewändern, Krone und Scepter,
nach dem Tempel. Hier predigte ihm der Oberpriester, was für Eigen-
schaften ein guter König haben müßte, und las ihm einen Abschnitt aus
der Reid;sgeschid;te vor, um ihn zu belehren.
Nächst den Priestern waren die Krieger die angesehenste Kaste. Diese
bildeten aber nicht ein stehendes Heer von Söldlingen (Soldaten), wie bei
uns. Der Gedanke eines Miethheeres, weld;es Leib und Leben einem
Herrn verkaufte, kam den weisen Aegyptern gar nicht in den Sinn. Das
Gesetz hatte den Kriegsdienst einer Klasse der Nation als ein Vorreäst
übertragen und damit eine Ausstattung an Ländereien verbunden, die ihr
erblich blieben wie ihr Berns. Die Aegypter dachten, daß es vernünftig
sei, die Obhut des Staates Leuten anzuvertrauen, die Etwas besaßen, dessen
Vertheidigung ihnen am Herzen lag.
7. Götter- und Thierdienft.
Die Aegypter sind wohl das frömmste Volk gewesen, das je gelebt hat.
Sie hatten eine Menge von Gottheiten, die sie verehrten und heilig hielten;
vor Allem war es der Nilstrom, der den Grund und Mittelpunkt bildete
ihres Gottesdienstes. Aegypten ist ja nichts, als ein Stück Pflanzenerde
im Wüstensande, geschaffen und erhalten durch den Nil. Daher wurde
dieser wohlthätige Strom nicht nur durch den Beinamen des Heiligen, des
Vaters und Erhalters gefeiert, sondern als ein Gott verehrt, ja als das
sichtbare Abbild der obersten Gottheit Ammon betrachtet, der in dieser
Gestalt Aegypten belebte und bewahrte. Darum nannten auch die Griechen
den Nil den ägyptischen Jupiter.
Die ägyptischen Philosophen hatten sich am Himmel ähnliche Einthei-
lungen ersonnen wie auf Erden, sie hatten einen himmlischen und einen
irdischen Nil. Der himmlische Nilgott hat drei Vasen, als Sinnbilder der
Ueberschwemmung: eine dieser Vasen bezeichnet das Wasser, welches Aegypten