1866 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Grube, August Wilhelm
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gehobene Volksschule
49
Leiche Hektor's anständig zu verhüllen. Dann ließ Achilles, fern und un-
gesehen vom Vater, den Leichnam waschen, salben und bekleiden. Achilles
selbst legte ihn auf ein unterbreitetes Lager, und während die Freunde den
Todten auf den Wagen hoben, rief er den Namen seines Freundes an
und sprach: „Zürn' und eifere mir nicht, Patroklus, wenn du etwa in
der Unterwelt vernimmst, daß ich Hektor's Leiche seinem Vater zurückgebe!
Er hat kein unwürdiges Lösegeld gebracht und auch dir soll dein Antheil
davon werden!"
Nun kehrte Achill zurück in's Zelt, setzte sich dem Könige wieder
gegenüber und sprach: „Siehe, dein Sohn ist jetzt gelöst, o Greis! In
ehrbare Gewänder gehüllt, liegt er auf deinem Wagen. Sobald der Mor-
gen sich röthet, magst du ihn schauen und dann davon führen. Jetzt aber
laßt uns der Nachkost gedenken; du hast noch Zeit genug, deinen lieben
Sohn zu beweinen, wenn du ihn zur Stadt gebracht hast, denn wohl ver-
dient er viele Thränen!" Daraus ließ Achilles ein Mahl bereiten und
bewirthete seinen Gast. Während des Mahles staunte Priamus über
Wuchs und Gestalt des Helden und dieser bewunderte seinerseits das
würdevolle Antlitz und die weise Rede des Greises. Darauf ward ihm
ein Lager bereitet und Achilles verhieß ihm eine Waffenruhe von nenn
Tagen, um den edlen Hektor würdig zu bestatteu. Der unglückliche Vater
konnte nicht schlafen und schon vor Anbruch des Tages erschien ihm Her-
mes und mahnte zur Rückkehr nach Troja. Da erhob sich Priamus und
fuhr mit dem theuern Leichnam zum trauernden Jlium zurück.
10. Die Eroberung von Troja.
Nachdem die Griechen zehn Jahre lang vor Troja gelagert und ver-
gebens gekämpft hatten, nahmen sie endlich ihre Zuflucht zur List. Auf
den Rath des Odysseus fällten sie ans dem waldreichen Jdagebirge hoch-
stämmige Tannen und nun zimmerte der kunstreiche Held Epcos ein
mächtiges Roß. Er machte zuerst die Füße des Pferdes, dann den Bauch,
über diesen fügte er den gewölbten Rücken, hinten die Weichen, vorn den
Hals und über diesen formte er zierlich die Mähne, die sich flatternd zu
bewegen schien. Kopf und Schweif wurden reichlich mit Haaren versehen,
aufgerichtete Ohren an den Pferdekopf gesetzt und gläserne leuchtende Augen
unter der Stirn angebracht — kurz, es fehlte nichts, was an einem leben-
digen Pferde sich regt und bewegt. Und weil ihm Minerva half, voll-
endete der Meister das Werk in drei Tagen, zur Bewunderung des
-ganzen Heeres.
Nun stiegen die tapfersten Helden, Neoptolemns, der Sohn des Achil-
les, Menelaus, Diomedes, Odysseus, Philoktet, Ajax und Andere, zuletzt
Epeos, der das Roß gefertigt, in den geräumigen Bauch des hölzernen
Pferdes; die übrigen Griechen aber steckten Zelte und Lagergeräth in
Brand und segelten nach der nah gelegenen Insel Tenedos, wo sie an's
Land stiegen.
Grube, Geschichtsbilder. I.
4