1866 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Grube, August Wilhelm
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gehobene Volksschule
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errieth er, daß in dem Orakelspruche unter dem Tragos dieser wilde Fei-
genbaum zu verstehen sei und daß nun den Messeniern ihr Schicksal nahe
bevorstehe. Auch dem Aristomenes theilte er seine Entdeckung mit.
4.
Ein lacedämonischer lleberläufer besuchte damals oft eine messenische
Frau, die außerhalb der Festung ihre Wohnung hatte, in Abwesenheit
ihres Mannes, wenn dieser auf dem Wachtposten stand. Einst war eine
mondlose, stürmische Nacht und der Regen ergoß sich in dichten Strömen
vom Himmel. Da verließen die Messenier, die in dieser Nacht keinen
Angriff besorgten, die Wache; Aristomenes aber lag an einer kurz vorher
erhaltenen Wunde darnieder und konnte nicht wie gewöhnlich die Runde
bei den Wachtposten machen. So kam denn auch jener Messenier in seine
Wohnung zu seiner Frau, die, als sie die unerwartete Ankunft ihres Man-
nes bemerkte, den lacedämonischen lleberläufer schnell versteckte. Der
Messenier erzählte, daß wegen des stürmischen Wetters alle Posten unbe-
setzt wären. Als dies der lleberläufer in seinem Verstecke hörte, schlich er
sich leise davon und meldete Alles dem spartanischen Feldherrn. In der
Nacht erstiegen nun die Spartaner auf angelegten Leitern die Mauern von
Eira und erst das Bellen der Hunde weckte die Messenier aus ihrem Schlafe.
Obschon Aristomenes und der Wahrsager wußten, daß Messeniens Unter-
gang unvermeidlich sei, gingen sie doch zu allen Messeniern und ermahn-
ten sie, wackere Männer zu sein, und riefen die Zurückbleibenden aus den
Häusern. In der Nacht setzte die Finsterniß dem weitern Vordringen
der Feinde Schranken, mit Anbruch des Tages aber erhob sich ein ver-
zweiflungsvoller Kampf, an dem sogar die Weiber Theil nahmen, indem
sie Dachziegel und was jede hatte aus die Feinde warfen. Aber noch
dichter schoß der Regen herab unter dem heftigen Krachen des Donners
und entgegenstrahlende Blitze blendeten die Augen der Messenier, während
die Lacedämonier, da es ihnen zur rechten Hand blitzte, dies für ein gün-
stiges Zeichen hielten und sich von größerem Muthe beseelt fühlten. Schon
drei Tage und Nächte hindurch dauerte der Kampf, die Messenier waren
durch Schlaflosigkeit, Regen und Kälte abgemattet, dazu quälte sie Hunger
und Durst. Da lief der Wahrsager Theoklos gegen die Feinde und rief
ihnen begeistert die Worte zu: „Wahrlich, nicht in allen künftigen Zeiten
werdet ihr fröhlich die Früchte der Messenier genießen." Hierauf stürzte
er sich unter die Feinde und hauchte, nachdem er seine Rache mit dem
Blute der Feinde gesättigt hatte, tödtlich verwundet den Geist aus. Nun
rief Aristomenes die Messenier vom Kampfe zurück, nahm die Weiber
und Kinder in die Mitte und ging mit gesenktem Speere, zum Zeichen,
daß er um Durchzug bitte und abzuziehen beschlossen habe, auf die Feinde
zu, die ihre Reihen öffneten und sie ungestört durchziehen ließen. Sie
gingen zu den Arkadiern, ihren Bundesgenossen. Aristomenes aber wählte
500 der tapfersten Messenier aus, mit denen er Sparta, während das
lacedämonische Heer noch in Messenien stand, überfallen wollte. Allein