1866 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Grube, August Wilhelm
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gehobene Volksschule
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Dies kam affo: Leopold hatte der jesuitischen Partei volle Gewalt
gegeben, den evangelischen Glauben in dem freiheitsstolzen Ungarn auszu-
rotten und Alle, welche dort an jenem Glauben hielten, sollten ans alle
erdenkliche Weise bedruckt und zum Katholizismus zurückgebracht werden.
Deutsche Truppen wurden iu's Land gelegt, um jede Empörung niederzu-
halten; aber die Ungarn erhoben sich für ihre gerechte Sache und ein
kühner Mann, Emmerich Tökölh, trat an ihre Spitze, um Gewalt durch
Gewalt zu vertreiben. Bald stand ganz Ungarn in Aufruhr und Ludwig
schürte denselben schadenfroh durch seine Gesandten. Tököly aber warf sich
deit Türken in die Arme, um sich die ungarische Königskrone als türkischer
Basalt auf's Haupt setzen zu kennen. Da führte der Großwessir Kara
Mnstapha im Jahre 1683 ein Heer von 200,000 Türken durch Ungarn
gerade gegen Wien und dachte für gewiß, es zu erobern und zu seiner
Hanptjtadt zu machen. Der Hos floh über Hals und Kopf nach Linz,
verfolgt von den lauten Verwünschungen der Unterthanen, die mit Recht
alles Unheil der schlechten Regierung und der Schwäche des Kaisers zu«
schrieben. Auch viele Einwohner Wiens suchten ihr Heil in der Flucht.
Doch die deutsche Treue und der ritterliche Sinn des trefflichen Po-
lenkönigö Sobicsky machten Alles wieder gut. Der fränkische und schwä-
bische Kreis und die Kurfürsten von Baiern und Sachsen hatten dem Kaiser
Hülsstrnppcn gesandt; Johann Georg Iii., der sächsische Kurfürst, war
sogar persönlich mit iu's Feld gerückt. Und was guten Erfolg verhieß,
der Oberbefehl über die verbündeten deutschen Truppen lag in den Händen
des Herzogs Karl von Lothringen, eines der größten Feldherrn seiner Zeit.
Bevor aber dieser alle seine Truppen beisammen hatte und stark genug
war, um cs mit dem gewaltigen Feinde aufnehmen zu können, hatte Kara
Mnstapha längst die Hauptstadt Wien eingeschlossen und belagerte sie mit
allem Ingrimm und aller Wuth. Die Wälle und Mauern der Stadt
hielten schlechten Stand. Die Türken drangen mit Laufgräben und Minen
immer näher heran. Was von der Bürgerschaft die Waffen tragen konnte,
bewaffnete sich, mit Einschluß der Bürgerwehr war die Besatzung 22,000
Mann stark. Angeführt von dem hcldenmüthigen Grafen Rüdiger von
Stahrcmberg, kämpften sie wie die Löwen, das Blut floß in Strömen,
denn Kara Mnstapha führte immer neue Schaaren iu's Treffen; er hatte
bei dem Propheten geschworen, die Stadt dem Erdboden gleich zu machen.
Unablässig donnerten die türkischen Kanonen, die Straßen Wiens waren
mit Leichen und halbverhungerten Menschen erfüllt; cs ward am 10. Sep-
tember ourch cine Aline die Bnrgbastei in die Luft gesprengt und der
wackere Stahrembcrg eilte auf den Stephansthurm, um als Zeichen der
äußersten Roth eine Rakete steigen zu lassen. Da sehen die Wiener auf
der Spitze des Leopoldberges eine rothe Fahne flattern, cs steigen Raketen
auf und die Rettung ist nahe!
Das verbündete Heer zieht von der Höhe des Kalenberges herab,
Johann Sobicsky, der König von Polen, ist mit 12,000 Reitern und 3000
Fußgängern im Heere des Herzogs von Lothringen erschienen und dieser