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1. Vaterländisches Lesebuch für die Evangelische Volksschule Norddeutschlands - S. 121

1868 - Wiesbaden Schleswig Hannover : Schulbuchh. Schulze Jurany & Hensel
horchen mußte, ob die Flamme nicht schon im Dachgiebel knisterte. Eben hatte ich mein Morgenlauten besorgt, guckte zum Schallloche hinaus, um zu schauen, was uns an dem schrecklichen Tage wohl wieder bevorstehen könne, und zog, zum Himmel blickend und Gott dankend, mein Mützchen vom Kopfe, da mir alles ganz ruhig schien. Ehe ich es jedoch wieder auf- gesetzt hatte, jagte ein alter schwarzer Husar zum Kirchhofe herein, warf sich vom Pferde und band seinen Braunen an meinen Fensterladen. Wie mir zu Muthe ward, kann man sich leicht vorstellen. Ich flog mehr, als ich ging, die Thurmtreppe hinunter. Er aber ließ mir nicht einmal Zeit, meinen „guten Morgen !" anzubringen, sondern rief mir im barschen Tone zu: „Geb' er mir den Kirchenschlüssel, Schulmeister!" Ich erschrak; denn obgleich das Bischen Kirchenvermögcn und der vergoldete Kelch mit der Hostienschachtel in Sicherheit gebracht waren, so befand sich doch noch eine ziemlich reiche Altarbckleidnng mit Tressen in der Kirche. Ich legte mich ans Bitten und Vorstellungen; allein der alte Kriegsmann wollte davon nichts wissen. Er sah mit einer so ganz eigenen Manier bald auf mich, bald auf seinen Säbelgriff, daß ich, um Unglück zu verhüten, voran- ging, um die Kirchthür zu öffnen. Meine Frau, die hinter der Hausthür gehorcht hatte, und die vor der Gefahr immer verzagter, in der Gefahr aber immer entschlossener war, als ich, kam ans Besorgniß um mich aus freien Stücken hinter uns her. Der Husar drängte sich in der Halle hastig voran, ging, ohne sich umzusehen, an der Sakristei und dem Altar vorüber und schritt, so schnell cs sein Alter erlaubte, klirr! klirr! die Chortreppe hinauf. Hier setzte er sich, Athem schöpfend, auf eine Bank und ries mir gebieterisch zu : „Schul- meister, mach' er die Orgel auf und geb' er mir ein Gesangbuch !" — Ich that augenblicklich, was er verlangte; meine Frau mußte die Balge ziehen, der Husar hatte ein Lied aufgeschlagen lind sagte nun in einem weit mildern Tone: „Wie schön leuchtet der Morgenstern ! Spiel' er das, lieber Schul- meister ; aber so recht fein und ordentlich, er versteht mich wohl!" — Ich spielte mit Herzenslust, und nach geendetem Vorspiel fiel der Husar mit seiner tiefen Baßstimme ein; meine Frau hinter der Orgel und ich thaten ein Gleiches. Mein Herz wurde so muthig, daß ich mich oft nach meinem Zuhörer umschaute und ihm ganz dreist in das Gesicht sah. Er sang mit großer Andacht, hatte die Hände gefaltet, und die hellen Thränen fielen über den eisgrauen Knebelbart auf das Buch hinab. Jetzt war das Lied beendet; ich ging auf ihn zu; er schüttelte mir recht treuherzig die Hand und sprach: „Großen Dank, Herr Kantor! Wo ist der Gotteskasten?" Mein früherer Argwohn, daß es auf Plünderung abgesehen sei, war nun gänzlich verschwunden. Ich holte unsere Armenbüchse, und der Husar warf ein Achtgroschcnstück hinein. „Wir beide aber, wir theilen den Rest, Herr Schulmeister", sagte er dann, indem er noch zwei Achtgroschcnstücke aus der Tasche zog, „da nehm' er das eine für seine Mühe!" Ich schlug es aus; aber er war so ungestüm, daß ich es schlechterdings nehmen mußte. „Nehm' er, nehm' er," sprach er, „es klebt kein Blut daran!"
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