1862 -
Hildburghausen
: Nonne
- Autor: Spiess, Moritz, Berlet, Bruno
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
Mittlere Geschichte.
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Dieser mißlungene Versuch schlug jedoch den Muth und die Hoffnung
des Kaisers nicht nieder ; denn er erwartete noch den Zuzug mehrerer deutscher
Fürsten, vor allen aber Heinrichs des Löwen, seines tapfersten Waffen-
gefährten in früheren Feldzügen. Mehrere Fürsten kamen, nur der Löwe nicht.
Dieser hatte der alten Klagen nicht vergessen, die sein Haus gegen die
Hohenstaufen führte. Friedrich lud ihn zu einer Unterredung ein und Hein-
rich begab sich auch mit seinem Gefolge nach Chiavennah. „Bedenke,"
sprach Friedrich, „daß ich dir nie etwas verweigert und du könntest zurück-
treten, wo die Ehre der Deutschen, der Ruhm deines Kaisers und der Preis
meines ganzen Lebens auf dem Spiele steht?" Der stolze Löwe blieb unge-
rührt. Zuletzt warf sich ihm der Kaiser zu Füßen und umfaßte die Kniee
des Unerbittlichen. Auch diese Demüthigung beugte des Stolzen Sinn nicht.
Da trat die Kaiserin hinzu und sprach: „Lieber Herr und Gemahl, stehe
auf! Gott wird dir Hilfe leisten, wenn du einst dieses Tages und dieses
Hochmuthes gedenkest." Der Kaiser stand aus, Heinrich aber ritt stolz nach
Deutschland zurück.
Unterdessen kamen die Lonrbarden mit einem gewaltigen Heere voir
Mailand herangezogen. Bei Lignauoh stießen sie auf das kaiserliche Heer.
Der Kampf begann: der Kaiser selbst focht heldcnmüthig an der Spitze seiner
Schaareu; schon neigte sich der Sieg auf seine Seite. Da erneuerten 900
edle Bürger Mailands, „die Schaar des Todes" genannt, weil sie gcschwo-
vcu hatten, zu siegen oder zu sterben, den Angriff. Das Hauptbanner des
Kaisers wurde genommen, er selbst von seinem Streitrosse gestürzt. Die
Scinigen hielten ihn für todt und wandten sich zur Flucht. Nur ein ge-
ringer Theil entkam niit dem Kaiser unter dem Schutze der Nacht dem Nache-
schwerte der Lombarden. So vernichtete der blutige Tag bei Lignano, der
29. Mai 1176, die Arbeit von mehr als 20 Jahren. Durch den Verlust
einer so entscheidenden Schlacht sah sich der Kaiser genöthigt, im Jahre
1177 zu Venedig niit den aufrührerischen Städten einen Waffenstill-
stand auf sechs Jahre zu schließen. Auch mit dem Papste Alexander söhnte
er sich aus und beugte ehrerbietig das Knie vor ihm.
4. Von Venedig kehrte Friedrich nach Deutschland zurück, mit Zorn
ini Herzen gegen Heinrich den Löwen, dessen Treulosigkeit er das Unglück
bei Lignano hauptsächlich zuschrieb. Viermal beschied er ihn vor den Reichs-
tag, aber Heinrich kam nicht. Da sprach der Kaiser, w»il er das Reich
in der Stunde der Gefahr im Stiche gelassen und dem Reichsoberhaupt den
schuldigen Gehorsam versagt habe, die Acht über ihn aus, und erklärte ihn
aller seiner Lehen verlustig (1180). Zugleich ertheilte er die Würde eines
Herzogs von Sachsen2) dem Grafen Bernhard von Askanien, das
Herzogthum Baiern aber gab er dem Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach. *)
*) Chiavenna, Stadt, nördlich vom Komersee, im jetzigen lombardisch - vene-
tianischen Königreich. — Lignano, jetzt Marktflecken westlich zwischen Mailand und
dem Komersee.
-) B ernhard von Askanien war der Sohn Albrecht des Bären. (S. 129.
Anm. 1.) Er erhielt nur den östlichen Theil des Herzogthnms Sachsen. Mit dem
westlichen Theil (Herzogthum Westfalen) ward der Erzbischof von Köln be-
lehnt. — Die Fürsten von Mecklenburg und Pommern bekamen den Herzogs-
titel und Lübeck, das Heinrich der Löwe gegründet, ward freie Reichsstadt.