1859 -
Königsberg
: Bon
- Autor: Preuß, August Eduard, Vetter, J. A.
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Leid' und ertrage, dein Leid nicht klage, an Gott nicht verzage; Glück
kommt alle Tage.
Leiden ist heilig, wer's kennt. — In jedem Leidenskelche liegt aus dem
Boden eine Perle — suche sie nur.
Wer nie sein Brot mit Thränen aß, wer nie die kummervollen Nächte auf
seinem Bette weinend saß, der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.
137. Die Neue.
Ein Landmann hatte mit eigenen Händen eine Reihe edler Obst-
bäumchen gezogen. Zn seiner größten Freude trugen sie die ersten
Früchte, und er war begierig zu sehen, von welcher Art sie sein möchten.
Da kam der Sohn des Nachbarn, ein böser Bube, in den Garten
und lockte das Söhnlein des Landmannes, also dass sie hingingen und
die Bäumchen allesammt ihrer Früchte beraubten, ehe denn sie völlig
gereift waren. Als nun der Herr des Gartens herzutrat und die
kahlen Bäumchen erblickte, da ward er sehr bekümmert und rief: „Ach,
warum hat man mir das gethan? Böse Buben haben mir meine
Freude verdorben!" — Diese Worte gingen dem Söhnlein des Land-
manns sehr zu Herzen, und er lief zu dem Sohne des Nachbarn und
sprach: „Ach, mein Vater ist bekümmert um die That, welche wir ver-
übt haben. Nun hab' ich keine Ruhe mehr in meinem Gemüth. Mein
Vater wird mich nicht mehr lieben, sondern mit Verachtung strafen,
wie ich verdienet habe." — Da antwortete jener: „Du Thor, Dein
Vater weiß es ja nicht und wird es niemals erfahren. Du musst es
ihm sorgfältig verhehlen und auf deiner Hut sein." Als aber Gotthold
— denn so hieß der Knabe — nach Hause kam und das freundliche
Antlitz seines Vaters sah, da vermochte er nicht, wieder freundlich zu
ihm hinauf zu sehen. Denn er dachte, wie sollte ich ihn fröhlich an-
sehen können, den ich betrübt habe? Kann ich mich doch selber nicht
anblicken. Es liegt mir wie ein dunkler Schatten in meinem Herzen.
Jetzo trat der Vater herzu und reichte jeglichem seiner Kinder von den
Früchten des Herbstes, und Gotthold dessgleichen. Da hüpften die
Kindlein herbei, und freueten sich sehr und aßen. Gotthold aber ver-
barg sein Antlitz und weinte bitterlich. — Da hub der Vater an und
sprach:. „Mein Kind, was weinest du?" — Und Gotthold antwortete:
„Ach, ich bin nicht werth, dass ich dein Sohn heiße. Ich kann es nicht
länger tragen, dass ich vor dir ein Anderer scheine, als ich bin und
mich selbst erkenne. Lieber Vater, thue mir ferner nicht mehr Gutes,
sondern strafe mich, damit ich wieder zu dir kommen darf und aufhöre,
mein eigener Quäler zu sein. Lass mich nur hart büßen für mein
Vergehen! denn siehe, ich habe die jungen Bäumchen beraubt." — Da
reichte ihm der Vater die Hand, drückte ihn an sein Herz und sprach:
„Ich vergebe dir, mein Kind! Gebe Gott, dass dieses das erste und
letzte Mal sei, dass du Etwas zu verhehlen hast. Dann soll es mir
nicht leid sein um die Bäumchen." Krumma-hcr.
Preuß. Kinderfreund. Neue Ausg. (j