1859 -
Königsberg
: Bon
- Autor: Preuß, August Eduard, Vetter, J. A.
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Mit großem Eifer suchte er der christlichen Kirche in seinem Reiche aufzu-
helfen. Er selbst hatte tiefe Ehrfurcht vor dem Worte Gottes. Die Kirche besuchte er
früh Morgens und Nachmittags und oft auch des Abends. Er sorgte, dass die
Gemeinden tüchtige Geistliche und Bischöfe bekamen. Borträge älterer Kirchen-
lehrer ließ er in's Deutsche übersetzen, damit dieselben dem Volke vorgelesen würden.
Würdige, kenntnissreiche Männer zog er an seinen Hof. So berief er einen sehr
gelehrten Mönch, Namens Alkuin und machte ihn zum Lehrer seiner eigenen
Kinder. Ein guter Unterricht für seine Kinder lag ihm um so mehr am Herzen,
als er selbst in seiner Jugend ganz vernachlässigt worden war- Selbst das
Schreiben lernte er erst als Mann. Er hatte desshalb immer eine Schreibtasel
unter seinem Kopfkissen, damit er in müssigen Stunden seine schwertgewohnte
Hand im Führen der leichten Feder üben konnte. Aber denselben Eifer bewies
er auch für die Unterweisung der Jugend überhaupt. Er errichtete am Hofe eine
Musterschule für die übrigen Schulen im Lande, in welche alle seine Diener, hohe
und niedere, ihre Kinder schicken mussten.
Einmal trat er selbst in die Scbulstube, hörte eine Zeit lang zu und ließ sich
dann die schriftlichen Arbeiten der Schüler zeigen. Die geschickten mussten alle
auf seine rechte, die ungeschickten auf die linke Seite treten, und da fand es sich,
dass die letztem meist die Söhne vornehmer Eltern waren. Er wandte sich zu
den fleißigen Kindern und sagte: „Ich freue mich, meine lieben Kinder, dass ihr
so gut einschlaget; bleibet dabei und werdet immer vollkommener. Ihr verfolget
euer wahres Beste, und zu seiner Zeit soll auch mein Lohn nicht fehlen. Ihr
aber — und hier wandte er sich zornig zur Linken — ihr Söhne der Edlen, ihr
feinen Püppchen, die ihr euch so reich und vornehm dünket und des Wissens nicht
noth zu haben meinet, ihr faulen, unnützen Buben, ich sage euch: bei Gott! euer
Adel und eure hübschen Gesichter gelten Nichts bei mir; von mir habt ihr nichts
Gutes zu hoffen, wenn ihr eure Faulheit durch eifrigen Fleiß nicht wieder
gut machet!"
Zur Verbesserung des Gesanges stellte Karl zwei gute Sänger aus Italien
an, von denen Gesanglehrer und Vorsänger für Schulen und Kirchen gebildet
werden sollten. Zudem wurde das Orgelspielen gelehrt, nachdem Karl die ersten
Orgeln aus Konstantinopel erhalten hatte. Aber die plumpen Franken
stellten sich eben so ungeschickt zum Singen als zum Spielen an.
Zur Hebung des Verkehrs gedachte Karl die Donau und den Main durch
einen Kanal zu verbinden. Die Ausführung dieses Planes ist aber erst in unsern
Lagen gelungen.
Es ist sehr anziehend, einen großen Mann auch in seinen geringen Beschäf-
tigungen zu betrachten. Mit demselben Eifer führte Karl Heere an, hielt Schul-
prüsungen ab, überlegte Gesetze für große Völker und, wenn er auf seine Güter
kam, ließ er sich die Rechnungsbücher vorlegen, in welche Alles bis auf die Anzahl
der Eier eingetragen sein musste, überzählte Einnahme und Ausgabe, rechnete seinen
Verwaltern nach und mackte Bauanschläge.
Im drei und dreißigsten Jahre seiner Regierung wurde er zum römischen
Kaiser gekrönt. Vom Papste Leo Iii. war er angegangen durch Ruf und
Bitte, der Schutzherr Roms zu sein. Er kam. Im Jahre 800 war Karl in
Rom, wo er die gestörte Ordnung wieder hergestellt und den Papst in seiner
Würde befestigt hatte. Am Weihnachtsfeste dieses Jahres, als Karl in der Peters-
kirche dem Hochaltare gegenüber kniete, ging Leo plötzlich auf ihn zu, setzte ihm
eine Krone auf das Haupt, und die Kirche wiederhallte von dem freudigen Zuruf
des Volkes: „Leben und Sieg sei dem von Gott gekrönten, frommen, großen,
sriedebringenden Kaiser von Rom!"
tzvo wurde in Karl dem Großen die damals noch nicht erloschene Erinne-
rung an die einstige Macht der römischen Kaiser wieder erweckt unter den Völkern,
und es verblieb diese Würde bei den Kaisern Deutschlands über tausend
Jahre bis zur Auflösung des deutschen Reichs im Jahre 1806.