1859 -
Königsberg
: Bon
- Autor: Preuß, August Eduard, Vetter, J. A.
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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„6o doch Gott das Gras aus dem Felde kleidet \“ Kaum vermöchte ich mir
Gott iu einer rührenderen Beziehung zu denken, als wie er das Gras auf dem
Felde kleidet. Ich betete viel inniger, seit ich diese Stelle kannte. Und wenn
es in der Geschichte seiner wundervollen Speisung heißt: „Es war an dem
Orte viel Gras," — wie nahe trat dann diese Begebenheit an mein Herz,
wie freundlich ein in den Kreis des menschlichen Lebens, wie schien mir das
Wundervolle fast begreiflich! Ueberaus unmuthig dünkte es mich, unter den
Tausenden zu sein, die sich in das Gras gelagert hatten. Vor ihnen im Grase
wandelte der Herr und segnete sie.
Es ist nicht blos das frische, dem Auge erquickliche Grün, die Farbe der
Hoffnung, was ich an dem Grase liebe. Es sprießt so üppig, der Segen des
Himmels ist so recht an ihm sichtbar; es ist in so reicher Fülle vorhanden; wo
nichts Anderes mehr fortkommt, da gedeiht doch oft das Gras noch, ein Bild
des wohlthätiges Ueberfluffes aus der Hand des gütigen Schöpfers, der da
segnet mit Wohlgefallen.
Das Gras erfrischt sich zuerst und am meisten, wenn nach langer Dürre
die fruchtbaren Tropfen fallen. Vor allem Andern ergrünt im Frühlinge das
Gras. Das erste grüne Gras an warmen quelligen Plätzen, wie erfreut es
bis in's Innerste das Herz, dieses Zeichen der Wiedergeburt und der himmli-
schen Verheißung! die Perlen des Thaues glänzen am zahlreichsten im Grase.
Das Gras kleidet so freundlich die mütterliche Erde, durch das Gms eben
ist sie mir mütterlich. Wo nur Gras wächst, fühle ich mich daheim, selbst ge-
schieden von Allem, was mich sonst vertraulich umgibt. Wo kein Gras wächst,
o, wie öde und traurig! Was auch immer die Kunst da gethan habe, der
Fluch scheint aus den Stellen zu ruhen, wo kein Gras gedeiht. Das weiche
Gras bettet sich dem Müden, der keine andere Ruhestätte hat, zum erquicken-
den Schlummer.
Was die Erde nur irgend Liebes besitzt, das knüpft sich in mir an die
Vorstellung des Grases. Aus dem Grase blinken die lieblichen Quellen; durch
blumenreiches Gras rieseln die fröhlichen Bäche, und die holdesten Kinder der
Natur blühen im Grase.
In der Jugend war das Gras mir Spiel- und Tummelplatz. Im Grase
pflückte ich die Blumen, auf duftiges Gras gelagert, haben mich oft Ahnungen
der Freuden eines ewigen Paradieses beglückt!
Das Gras bedeckt auch die Gräber unserer geliebten Todten, und o, wie
werth ist es mir da! Unter den begrasten Hügeln, so schmeichelt das Gefühl,
muff es sanft sich ruhen.
Einst auf mein Grab — keine Blumen, nur grünes Gras, dies Bild des
Lebens und der Hoffnung.
41. Vom Moos.
Wie schwach ist doch so ein Pflänzchen! Sein Stengel ist von schön geformten
Blättchen dickt umhüllt und kaum so stark, als ein Fädchen Zwirn. Der Fuß-
tritt eines Vöglcins wirft es um, ja ein Käfer, der vorbeiläuft, stößt das einzeln
stehende zu Boden. Drum hat der liebe Gott auch immer große Gesellschaften
tausend und aber tausend solcher Pflänzchen nebeneinander wachsen lassen. Diese
Zwerglein richten in Gesellschaft gar Manches aus. Wenn im rauhen Herbst die
stolzen Bäume ihre gelben Blätter verlieren, dann ist das Moos am schönsten grün
und wächst am besten. Es fängt die Eicheln und Nüsse der Buchen und Haseln
auf und umhüllt sie weich und warm.
Die tausend Käfer des Sommers suchten sich Verstecke, als der rauhe Herbst-