1878 -
München
: Oldenbourg
- Autor: Fischer, Gregor
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Sonntagsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
58 38. Die Renntierzucht in Lappland.
816 wird es dem Lappen sehr leicht, jedes beliebige Renntier
mit seiner Wurfschlinge aus dem Haufen herauszufangen.
6. Wenn es gute Weide in der Nähe gibt, dann bauen
sich die Lappen zur Erleichterung des Melkens eine Hürde,
in welche sie allabendlich die Tiere treiben. Diese Hürden
bestehen aus dicht an einander gelehnten Birkenstämmen
von 2 m Höhe, welche aber durch Querhölzer zusammenge-
halten werden. Zwei breite Thore, welche durch ein Gatter
geschlossen werden, führen in das Innere. Die Hunde treiben
die Herde ein; das Melken beginnt; das Getümmel ist sehr
gross. Die Renntiere erinnern durch ihr Hin- und Herlaufen
und durch ihr Blöken an die Schafe. In der Mitte der Hürde
liegen mehrere grosse Baumstämme, an welche die Renntiere
beim Melken gefesselt werden. Ohne Wurfschlinge, welche
aus einem langen Riemen oder Strick besteht, lässt sich kein
Renntier seiner Milch berauben; die Wurfschlinge wird dem
Tiere um das Geweih oder um den Hals geschleudert und
dasselbe daran bis zum Melkklotz herbeigezogen. Der Lappe
melkt sehr ungeschickt und vergeudet viele Milch, welche
namentlich die Schenkel des Tieres bespritzt. Das unrein-
liche Melkgefäfs hat die Gestalt eines oben verlängerten
Napfes mit geradeausgehendem Stiele, besteht aus Holz und
ist aus einem Stück geschnitzt. Beim Melken kommen so
viele Haare in die Milch, dass man sie durchseihen muss;
allein das grobe Tuch, welches man dabei verwendet, lässt
noch immer genug von den kurzen Haaren durchschlüpfen,
und so sieht die Milch nicht eben einladend aus; sie schmeckt
aber angenehm süfslich und ist so fett wie Rahm.
7. Das wilde wie das zahme Renntier wird von dem
Nordländer auf die manchfaltigste Weise benutzt. Aus den
Knochen verfertigen sie sich ihre Fischspeere und Angeln;
mit den gespaltenen Schienbeinknochen schaben sie Fleisch,
Fett und Haar von den Häuten ab; mit Renntiergehirn
schmieren sie das Fell ein, um es geschmeidig zu machen.
Das durch Räuchern mit faulem Holze gegerbte Leder
hängen sie um ihre Zeltstangen; die ungegerbten Häute
geben ihnen Bogensehnen und Netze; die Seimen des Rückens
werden zu feinem Zwirn gespalten; die weichen, pelzartigen
Felle der Kälber müssen ihnen die Kleidung liefern. Vom
Kopfe bis zu den Zehen hüllen sie sich in Renntierfelle, werfen
ein anderes, weichgegerbtes Fell auf den Schnee, decken sich
mit dem dritten zu und sind so im stände, der grimmigsten
Kälte Trotz zu bieten. Kein Teil des Renntieres bleibt un-
benutzt, nicht einmal der Speisebrei im Magen. Wenn dieser
einige Zeit gelegen und eine gewisse Gärung erlitten hat,
gilt er als höchst schmackhaftes Gericht. Das Blut wird ge-