1878 -
München
: Oldenbourg
- Autor: Fischer, Gregor
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Sonntagsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
118 85. Der erste Einfall der Franzosen in Deutschland rc.
fall bereit hatten und ihnen gaben; dann wollten sie Hemden,
Strümpfe, Schnupftücher u. dgl. Wir gaben ihnen auch, so
viel wir just da hatten, und die erste Partie, deren 5 waren,
ging weiter. Aber gleich kamen wieder andere mit eben dem
Ungestüm und verlangten mit grösster Gewalt, indem mir einer
das geladene Gewehr auf die Brust setzte, ich sollte ihm ein
Hemd schaffen. Es war wirklich keins mehr im Haus, als
das der Papa auf dem Leib hatte; also sagte ich, dass wir
keins mehr hätten; sie sollten selbst sehen, indem ich in der
Angst ihnen die Kommode aufschloss; sie wühlten die Sachen
durch einander und sahen selbst, dass keins da war. Also
suchten sie andere Sachen, nahmen dem Papa seine Hose mit
silbernen Schnallen, seine Dose und Schnupftuch und Geld
vor seinen Augen ohne Schonung für seine Krankheit und
sein Alter; dann rissen sie der Luise mit grösster Frechheit
ihre zwei Halstücher vom Hals herunter, störten alles aus,
wo sie etwas fanden, das ihnen anständig war, und nahmen
es. Drei silberne Löffel, die noch in der Tischlade lagen,
nebst etlichen Tüchern sind auch fort.
3. Doch ist dieser Verlust im ganzen nicht so gross als
die Angst und der Schrecken, den wir hatten. Ich und die
Luise konnten die alten Eltern natürlich nicht verlassen,
und doch hörte man aller Orten von den grössten Frechheiten,
die sie sich bei dem Frauengeschlechte erlaubten; also war
unsere Angst grenzenlos. Aber doch können wir ausser der
Plünderung ihnen keine solche Äusserung Schuld geben.
4. Dennoch sind wir den andern Tag, da man noch
mehrere von dieser Partie vermutete, nebst noch einer Familie
von hier in eine im Wald befindliche Höhle unter der Brücke
geflüchtet. Hier blieben wir von 7 Uhr des Morgens bis
abends um 8 Uhr (den längsten Tag, den ich in meinem
ganzen Leben durchlebt habe), wo wir dann durch einen Boten
die Nachricht bekamen, dass ein französisches Kommando
von Leonberg, wo ein französisches Regiment liegt, auf die
Solitüde eingerückt wäre, um uns zu beschützen. Seit dieses
hier ist, haben wir gar nichts zu befürchten. Der Offizier
beim Kommando ist ein äusserst feiner und höflicher Mann,
der soeben uns eine Visite machte. Wir erzählten ihm das
Betragen des Freicorps, und er war äusserst unzufrieden
hierüber.
5. Manche Leute sind hier ganz ausgeplündert worden.
Wir haben vorher alles, was von Wert war, entfernt, und
das bekam uns sehr gut, sonst hätte uns dieser Tag um unser
halbes Vermögen bringen können. Wir arbeiteten wie die
Pferde etliche Tage vorher, und es bleibt alles an seinem
Ort, bis der ganze Lärm vorüber ist. — In Stuttgart ist alles