1875 -
München
: Oldenbourg
- Autor: Fischer, Gregor
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten, Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
54 36. Eine russische Herberge zur Winterszeit.
Pforte und führt ihn durch das Vorhaus, wo ihm Hühner
und Schweine mit Ferkeln entgegenkommen, in das sogenannte
Gastzimmer. In dasselbe eingetreten, atmet er eine sehr
warme aber dumpfe Luft ein; doch ist sie ihm angenehm, da
sie feine steifen Glieder bald wieder beweglich macht. Der
Reifende findet Platz an einem Tisch, der in der Ecke steht
und an zwei Seiten von Bänken umgeben ist. Es ist das
Geschäft der Frau, ihn zu bedienen; alsbald sieht man diese
denn auch durch die Thür eines Nebenzimmers, der Küche, in
einem Kattunrock, an welchem man vor Schmutz die Blumen
auf dem Zeuge nicht erkennen kann, langsamen Schrittes heran-
nahen mit den Worten: „88amonmr p08tavit?" (d. h.: Soll
ich die Theemaschine aufstellen?), die sie in gehöriger Entfer-
nung vom Gast schreiend ausstößt, um ja nicht noch einige
Schritte zu machen.
2. Da! (ja!) ist die gewöhnliche Antwort, denn auf einer
Reise im Winter trinkt jeder gern Thee, da er bald gründlich
erwärmt. Die Theemaschine ist von ungeheurer Größe, sie
faßt über einen Eimer Wasser und wird auf die Mitte des
Tisches gesetzt, der mit einer kleinen, schmutzigen Serviette be-
deckt ist. Der Reisende erhält nebst dieser noch eine Theekanne,
eine Tasse und eine Spülschale.
3. Der Reisende macht sich seinen Thee selbst. Diesen
sowie Zucker, Semmeln, Käse, Wurst u. dergl. hat er gewöhn-
lich mitgebracht. Auf russische oder eigentlich chinesische Art
wird der Thee bereitet, nicht wie bei uns, sondern folgender-
maßen: Einige Theelöffel voll Thee werden in die Theekanne
gethan und aus dem Ssamowar (spr. ßamöwar) mit dem kochenden
Wasser übergössen, sodann die Theekanne aufdie Esse des Ssamowar
gestellt, damit der Thee nicht kalt wird. Hat das heiße Wasser
mit dem Thee einige Zeit gestanden und denselben ziemlich
ausgezogen, so füllt der Theetrinker seine Tasse zum vierten
Teil mit dieser Infusion, gießt dann heißes Wasser aus dem
Ssamowar zu, so daß der Thee in der Tasse ein goldgelbes
Aussehen erhält.
4. Nach dem Theetrinken fragt der Wirt den Reisenden,
wo er die stacht schlafen wolle, ob auf dem Ofen oder dem
„Paloti"?., Die Bauernöfen in Rußland, die sogenannten
russischen Öfen, sind nämlich derart eingerichtet, daß sie oft
eine Fläche von 3 Meter im Quadrat einnehmen und oben auf
dem Gewölbe mit Ziegeln flach ausgelegt sind, so daß aus dem
Ofen zwei bis drei Menschen zum Schlafen Platz haben. Die
Paloti sind Brettergerüste, die etwa 1 Meter von der Decke an-
gebracht sind und ausschließlich zum Schlafen benutzt werden.
Betten haben die Einwohner in der Regel nicht. Statt des
Bettes wird ein Strohsack auf den Fußboden ausgebreitet und
mit einem Bettuch bedeckt. Dazu kommt noch ein Kissen und