1910 -
Breslau
: Dülfer
- Autor: Jahn, Ernst
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schulbuchtyp (WdK): Hilfsbuch, Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Lehrerseminar
- Regionen (OPAC): Preußen
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
- Inhalt: Zeit: Neuzeit
- Geschlecht (WdK): Jungen
Ho Vom Großen Kurfürsten bis zum Tode Friedrichs des Großen.
а. Die leidenschaftliche Sorge, die Friedrich Wilhelm I. der Aus-
bildung des preußischen Heerwesens zuwandte, stand durchaus im Dienste
der aufsteigenden Entwicklung des preußischen Staates.
Der König war davon überzeugt, daß sein Staat in Europa nur so viel
Geltung haben würde, als ihm das Heer, das er ins Feld stelle, verschaffen
könne. Unbeirrt durch die spöttische Verwunderung der Mitwelt, die sich an
dem soldatischen Eifer des Preußenkönigs belustigte, stellte Friedrich Wilhelm
daher die Sorge für die Armee in den Mittelpunkt seiner gesamten inner-
politischen Tätigkeit. Armeebildung war ihm gleichbedeutend mit Staatenbildung.
1). Mit Staunen und Besorgnis sah die Staatenwelt Europas, wie
der rastlose Eifer des Königs die Stärke des preußischen Heeres in einer Weise
erhöhte, die in gar keinem Verhältnis zur Größe und Einwohnerzahl des
Staates stand. Dem Umfange nach nahm die auf 83 000 Mann vermehrte
preußische Armee die vierte Stelle unter den Kriegsmächten Europas ein,
während Preußen seiner Größe nach an zehnter, der Seelenzahl nach sogar
-erst an dreizehnter Stelle stand.
б. Der Qualität nach standen die preußischen Truppen allen andern
voran, so daß die preußische Heereseinrichtung nach ihrer glänzenden Bewährung
in den Kriegen Friedrichs des Großen von den meisten europäischen Staaten
ebenso eifrig nachgeahmt wurde, als sie zu Lebzeiten ihres Begründers bespöttelt
worden war.
a. Die Rekrutierung geschah anfänglich — mit Rücksicht auf den
starken Bedarf — fast ausschließlich durch Werbung im Auslande. Da aber
cmf diese Weise dem Staate ungeheure Summen verloren gingen und unauf-
hörliche Streitigkeiten mit dem Auslande entstanden, führte der König 1733
durch das sogenannte Kantonreglement eine Art zwangsweise Werbung im
Jnlande ein. Jedes Regiment erhielt einen Bezirk (Kanton) zur Rekrutierung
angewiesen (ein Infanterieregiment 3000, ein Kavallerieregiment 1800 Feuer-
stellen). Die wehrfähigen jungen Leute der einzelnen Kantone wurden iip eine
Stammrolle eingetragen und jährlich in bestimmter Anzahl zum Regiment ein-
gezogen; viele wurden nach beendigter militärischer Ausbildung in die Heimat
beurlaubt, ohne damit aber aus dem Heere auszuscheiden (Kantonisten). Das
Kantonreglement enthielt die Grundzüge der allgemeinen Wehr-
pflicht, ohne dieses Prinzip jedoch streng durchzuführen, denn die sogenannten besseren
Stände (Adel, Beamte, Gewerbetreibende) waren von der Dienstpflicht befreit.
ß. Ausrüstung und Verpflegung der Truppen waren muster-
gültig. Der König hielt streng darauf, daß seine Soldaten sauber gekleidet
einhergingen und keinen Mangel litten. Väterliche Fürsorge wandte er den
Mannschaften seines Potsdamer Riesenregiments zu; sie erhielten — je nach
der Länge — ansehnliche Löhnung (bis zu 20 Taler monatlich), Nebenerwerb
durch Handarbeit war ihnen untersagt.
Anmerkung. Obgleich der Unterhalt dieser im Kriege wenig brauchbaren
Paradetruppe ungeheure Summen verschlang — die Anwerbung eines einzigen besonders
„langen Kerls" kostete beispielsweise allein 9000 Taler —, ließ sich der sonst so sparsame
König durch nichts von der Marotte, ein Riesenregiment zu besitzen, abbringen, und der
jonst so gerechte und weichherzige Fürst konnte ungerecht und grausam werden, wenn es
galt, seinem Leibbataillon einen auffallend langen Rekruten zuzuführen.
y. Die Ausbildung des Heeres beschränkte sich keineswegs auf die
Künste des Exerzierplatzes. Die eiserne Disziplin der preußischen Armee,