1910 -
Breslau
: Dülfer
- Autor: Jahn, Ernst
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schulbuchtyp (WdK): Hilfsbuch, Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Lehrerseminar
- Regionen (OPAC): Preußen
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
- Inhalt: Zeit: Neuzeit
- Geschlecht (WdK): Jungen
Kurze Charakteristik des Subjektivismus und seiner Folgeerscheinungen. 161
War es ein Vorurteil, das ihn diesen Weg führte? Oder nicht viel-
mehr die unerhörte Tragik der Zeitstellung zwischen Individualismus und
Subjektivismus, zwischen absolutistischem Hofleben und aufblühendem Bürger-
tum? In der Schrift »Os la littérature allemande« liest man die Worte:
»Wir werden unsere klassischen Autoren haben; jeder wird sie lesen wollen, um
von ihnen zu gewinnen; unsere Nachbarn werden das Deutsche lernen, die
Höfe werden es mit Vergnügen sprechen, und es wird dahin kommen, daß
unsere Sprache, verfeinert und vervollkommnet, sich dank unserer guten Schrift-
steller von einem Ende Europas zum andern verbreitet. Diese schönen Tage
unserer Literatur sind noch nicht gekommen, aber sie nähern sich. Ich kündige
sie euch an, sie werden erscheinen; ich werde sie nicht schauen, mein Alter
versagt mir diese Hoffnung. Ich bin wie Moses: von ferne schaue ich das
Gelobte Land, aber ich werde es nicht betreten.«
Und so geschah's. Was Friedrich mit fast prophetischen Worten ver-
kündigt hatte, trug sich zu, und sein heißgeliebter Staat führte mit den Mitteln
jenes neuen Geisteslebens, dessen Anfänge der große König verabscheut hatte,
die ihm von eben diesem König auferlegte Mission weiter, bis sie zu seiner
Vorherrschaft in Deutschland und zur Einheit eines neuen Reiches geführt hat."
Dritter Abschnitt.
Geschichte Preußens unì) Deutschlands vom Tode Zriedrichs
der Großen bis zum Ende der Zreiheitrkriege.
§ 14. Kurze Charakteristik des Subjektivismus und seiner Folgeerscheinungen
auf dem Gebiete des staatlichen und politischen Lebens.
I. Vorbemerkung.
Nach der Auffassung Lamprechts vollzieht sich die geschichtliche Entwicklung
der Völker nach ganz bestimmten, unabänderlichen Gesetzen inneren Werdens, denen
gegenüber sich die Bedeutung äußerer Ereignisse und der Einstuß einzelner hervor-
ragender Persönlichkeiten auf eine Hemmung bezw. Förderung des durch psychische
Faktoren bedingten Entwicklungsprozesses beschränkt. „Nicht durch äußere Schicksale
und die Eingriffe fremder Gewalten, sei es menschlicher oder natürlicher, erscheint
das politische Geschick der Nation vornehmlichst und innerlichst bedingt, wie eine
immer wieder vorgetragene Afterlehre behauptet, sondern durch sein eigentlichstes
und innerlichstes seelisches Werden." Dem jeweiligen psychischen Entwicklungsstadium
entspricht eine von ihm bedingte Kulturepoche, und der Wandel des seelischen
Lebens wird somit auch von einer Aufeinanderfolge verschiedener Kulturzeitalter be-
gleitet, deren besondere Eigentümlichkeiten in der Eigenart des psychischen Daseins
und den Ergebnissen der geschichtlichen Entwicklung begründet liegen. „Wer wollte
ablehnen, daß, gleichwie die Formen der natürlichen Lebewesen durch den Verlauf der
geologischen Zeitalter hin bis zur Gegenwart durch die Linie einer bestimmten Ent-
wicklung verknüpft sind, so auch durch den Verlauf der Kulturentwicklung des
Menschengeschlechts schon infolge der Übertragung früherer Kulturen auf spätere
Völker auf dem Wege ständiger Renaissancen und Rezeptionen eine große Linie zu-
sammenhängender seelischer Entfaltung verlaufe?" Die einzelnen Epochen dieser
seelischen Entwicklung unsers Volkes sind — von der Vorzeit abgesehen — das Zeit-
alter des gebundenen Seelenlebens (Mittelalter), des Individualismus (z6.— J8. Jahr-
hundert) und des Subjektivismus. Jeder dieser Phasen psychischer Entwicklung ent-
Jahn, Zur deutschen Geschichte. Ii. Teil. 11