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1. Geschichtliches Lesebuch - S. 73

1909 - Hamburg : Boysen
Das Mönchtum. Die Kirche hatte das Verlangen, ihre Herrschaft über die ganze Erde auszubreiten, alle widerstrebenden Gewalten, Ungläubige und Ketzer, zu vertilgen, alle weltlichen Herrscher sich untertan zu machen. Merkwürdig — mit diesem Streben nach Weltherrschaft verband sich die Ansicht, daß ein vollkommenes christliches Leben nur dann gedeihen könne, wenn der Christ auf alle Güter des Lebens verzichte, auf Eigentum, Weib und Kind, auf persönlichen Willen und persönliche Ehre. Die Kirche des Mittelalters kennzeichnen also zwei Begriffe, die sich scheinbar ausschließen: Weltherrschaft und Weltflucht. Von den Weltherrschaftsplänen der Kirche war in den vorigen Abschnitten die Rede; hier soll vom Mönchtum gesprochen werden; in ihm zeigt sich am deutlichsten die weltflüchtige Richtung der Kirche. Einsiedler und Mönche im Morgenlande. Etwa seit dem Jahre 300 wurde in vielen Gläubigen die Sehnsucht rege, sich aus der zerstreuenden Welt in die Einsamkeit zu flüchten und sich dort ungestört frommen Betrachtungen hinzugeben; sie hofften, auf diese Weise sich Gott nähern zu können, hofften, daß ihnen die Gnade zuteil würde, Gott zu sehen. So lebte z. B. der fromme Hilarion schon seit seinem 15. Lebensjahre in einer Einöde Palästinas nahe dem Strande. Seinen Leib hüllte er in einen Sack; seine Tageskost waren 15 Datteln, die er nach Sonnenuntergang aß; gegen Sonne und Regen baute er sich eine Zelle, so klein, daß gerade sein Leib hineinging. Er sah Gesichte, Gestalten in Kriegswagen, welche über ihn hinwegfahren wollten und vor ihm in der Erde verschwanden, hörte Geschrei und Gebrüll von Geistern und dämonischen Tieren. Er betete, sang Psalmen und sprach sich die Worte der heiligen Schrift vor. Der Ruf seiner Frömmigkeit drang durch das Land; die Leute zogen zu ihm und flehten in der Not um sein Gebet; auch andere Einsiedler gesellten sich zu ihm. Aber der Zudrang der Menschen wurde ihm lästig; er fiel in Schwermut, weinte und sehnte sich nach seiner früheren Einsamkeit. Zuletzt zog er fort, besuchte die Heiligen in den Städten Asiens und die Einsiedler in der Wüste und auf den Bergen. Überall wurde er jedoch durch den Zulauf der Menschen erschreckt, und überall entfernte er sich wieder. Endlich fand er auf Cypern eine Zuflucht, die ihm behagte; dort ist er gestorben.
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