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1. Geschichte - S. 43

1871 - Freiburg im Breisgau : Herder
43 es ist Zeit, daß wir von hier gehen, ich um zu sterben, ihr um zu leben. Wer von uns zum Bessern hingehe, weiß niemand als Gott allein." So kehrte er mit ruhiger Wurde tu das Gefängniß zurück. Seine Freunde, die von nun an täglich bei ihm waren, trafen Anstalt ihn zu retten. Der Wächter war bestochen, die Thüre des Gefängnisses stand offen, Sokrates sollte entfliehen. „O meine Freunde," erwiederte aber der Greis, „in welchem Lande könnte ich dem Tode entrinnen ?" Sie meinten, er wäre es seinen Kindern schuldig, den Verfügungen einer ungerechten Regierung zuvorzukommen, allein Sokrates bewies ihnen, daß keine Ungerechtigkeit uns berechtigen könne, den Gesetzen des Vaterlandes ungehorsam zu sein. Beschämt und wehmüthig verließ ihn die treue Schaar, um am folgenden Tag srüh wiederzukommen. Als sie eben eintraten, fanden sie die Gerichtsdiener, die dem Sokrates anzeigten, daß er noch vor Sonnenuntergang den Giftbecher trinken müsse. „Ach," schluchzte einer der Freunde, „wenn du nur nicht so ganz unschuldig stürbest!" „Und wolltest du denn lieber," erwiederte Sokrates mit Lächeln, „daß ich schuldig stürbe?" Darauf sprach er mit ihnen von der Unsterblichkeit der Seele und von dem Wiedersehen nach dem Tode bis zum Abend. Dann nahm er den Becher, betete, daß sein Ausgang von hinnen glücklich sein mochte, und leerte den Becher mit unverändertem, ruhigem Gesichte. Als das Gift zu wirken anfing, legte er sich nieder und hüllte sich in seinen Mantel ein. Man fragte ihn, ob er noch etwas verlange, aber er antwortete nicht mehr. Weinend drückten ihm die Freunde die Augen zu. Mit solcher Gelassenheit und Würde starb der weise Sokrates als ein Opfer der Bosheit und des Neides (399 v. Chr.). Erst nach seinem Tode erkannten die Athener ihr Unrecht. Die ganze Stadt legte Trauer an, als würde in jedem Hanse ein Todter beweint. Seine Hauptaukläger verurtheilten sie zum Tode, die übrigen straften sie mit Landesverweisung. Ihm selbst errichteten sie eine prächtige Bildsäule und verehrten ihn fast wie einen Gott. Seine Lehren aber pflanzten sich durch seine Schüler fort, und waren noch lange für viele eine reiche Quelle reinerer Sittlichkeit und Tugend, ohne daß sie jedoch den immer tieferen Verfall des griechischen Volkes im Ganzen aufzuhalten vermochten.
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