1872 -
Gütersloh
: Bertelsmann
- Autor: Kohlrausch, Heinrich Friedrich Theodor
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
34? Iii. Zeitr. Die neuere Zeit. Bon der Reformation bis jetzt.
Annahme. Die Conservativen in Preußen konnten sich erst nicht recht in die Sache finden; theils gefiel sie ihnen nicht und schien ihnen gefährlich, theils hielten sie dieselbe für einen nicht ernst gemeinten Schachzug, aber sie glaubten, auch in diesem Falle, der Politik Bismarcks vertrauen und dieselbe unterstützen zu müssen. In der Bundesversammlung war man zweifelhaft, wie der Antrag behandelt werden sollte; endlich wurde er am 26. April einer besonderen Commission von 9 Mitgliedern des Bundestages und 2 Stellvertretern zur Vorbera-thung und Berichterstattung übertragen. Aber bald sollten Ereignisse eintreten, welche ein so langsames Verfahren völlig überholten und den ganzen Bund über den Haufen warfen.
Der verhängnißvolle 14. Juni.
Schon gegen Ende des März 1866 tauchten in den öffentlichen Blättern Nachrichten von östreichischen Truppenzusammenziehungen in Böhmen auf. Zuerst hieß es, dieselben seien angeordnet, um ein weiteres Umsichgreifen von Gewaltthätigkeiten zu verhindern, die von fanatischen Czechen gegen die Juden in einigen Städten verübt worden sein sollten. Aber die Ausdehnung dieser militärischen Maßregeln verbunden mit der Thatsache, daß auch in Sachsen bedeutende Rüstungen gemacht wurden, ließen die Annahme einer Maßregel blos gegen einige vereinzelte Judencrawalle nicht zu. Noch früher, schon am 26. Januar, hatte eine preußische Kundgebung nach Wien nochmals den Wunsch ausgesprochen, auf der Grundlage des bisherigen Einverständnisses der beiden Monarchen von Preußen und Oestreich auch ferner Hand in Hand zu gehen. Für den Fall aber, daß Oestreich auf diese fernere Gemeinschaft nicht gleichen Werth legen sollte, müsse sich Preußen die völlige Freiheit seiner Entschließungen und -engeren Verbindungen nach andern Seiten nach seinem eigenen Interesse vorbehalten. Als darauf am 7. Februar von der östreichischen Regierung kühl und die preußischen Gesichtspunkte nicht anerkennend geantwortet wurde, ließ die preußische Regierung alle weiteren Verhandlungen mit Oestreich fallen und sah sich seinerseits, wie angekündigt, nach Mitteln um, seine eigene Sicherheit zu befestigen. Das erste war, daß Bismarck sich der völligen Neutralität Frankreichs für den Fall eines in Deutschland ausbrechenden Krieges versicherte. Sodann wurde ein vorläufig geheimes Bündniß mit dem Könige von Italien, Victor Emannel, abgeschlossen, der nur auf eine günstige Gelegenheit warte.e, sich des östreichischen Venetims zu bemächtigen, um dadurch sein neues, von Preußen bereits früher anerkanntes Königreich Italien auch im Norden bis zum adriatifchen Meere auszudehnen.
Als die östreichischen Truppenanhäufungen in Böhmen nicht mehr verborgen bleiben und bemäntelt werden konnten, fing Preußen gleichfalls an zu rüsten, setzte Anfangs April die Festungen Glatz, Koset, Neiße, Torgau, Wittenberg, Spandau und Magdeburg in Vertheidigungszustand und zog die Reserven mehrerer Divisionen ein. Gleichzeitig erging von Berlin eine Anfrage nach Wien, was die Rüstungen in Böhmen zu bedeuten hätten, und an die übrigen deutschen Höfe, wie sie sich für den Fall eines nicht zu vermeidenden Krieges zu stellen gedächten. Oestreich antwortete ausweichend, die übrigen deutschen Staaten im Wesentlichen übereinstimmend, sie würden sich nach Artikel Xi der Bundesverfassung verhalten, worin es heißt: „die Bundesglieder machen sich verbindlich, einander unter keinem Vorwande zu bekriegen, noch ihre Streitigkeiten mit Gewalt zu verfolgen, sondern sie bei der Bundesversammlung anzubringen, welche eine Vermit-