1894 -
Halle a.S.
: H. Peter
- Autor: Schmelzer, A.
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Antike, Mittelalter
— 310 —
senden Burgen zuerteilten Gebiete in militärischer wie bürgerlicher Hinsicht zu verwalten hatten. Nur Deutsche von edler Geburt, gesundem Leibe und unbeflecktem Wandel konnten in die Genossenschaft aufgenommen werden, deren Halbbrüder zu heißen selbst Könige sich zur Ehre anrechneten. Die Eintretenden erwartete ein Leben voller Entsagung und strengster Pflichterfüllung, für das sich aber jeder reichlich entschädigt fühlte durch das stolze Bewußtsein, einem Orden anzugehören, dessen Ruhm, Macht und Größe in der ganzen Christenheit gefeiert wurden.
1309 Im Jahre 1309 verlegte Hochmeister Siegfried von Feuchtwangen seinen Sitz von Venedig, wo seit dem Falle von Ptolemais das Haupthaus der Deutschherren sich befunden, nach der prächtigen Marienburg, und von da begann für das neue Staatswesen eine Periode des schönsten inneren und äußeren Emporblühens. In glücklichen Kämpfen wurden die wiederholten Einfälle der noch heidnischen Lithauer zurückgewiesen, und auf dem linken Weichselufer brachten die Ritter nach der Eroberung von Danzig und Dirschan, von Konitz und Schwez den ganzen östlichen Teil Hinterpommerns in ihre Gewalt. Ackerbau, Handel und Gewerbe nahmen einen erfreulichen Aufschwung, Künste und Wissenschaften genossen der aufmerksamsten Pflege, zahlreiche Städte wurden erbaut oder neubefestigt und eine Menge Kirchen und Klöster gegründet. In der hochmeisterlichen Residenz Marienburg, die au Pracht und Erhabenheit alle weltlichen Bauwerke des Mittelalters übertraf, entfaltete sich unter dem Zusluß fürstlicher Gesandten ein überaus glänzendes Leben, und die Bildung, welche dort eine Stätte gefunden, teilte sich der gesamten Bevölkerung des Laudes mit. Aber auf diese Zeit der Blüte, als deren Höhepunkt das Hoch-meistertnm Winrichs von Kniprode in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bezeichnet werden darf, folgte bald eine Zeit tiefen Verfalles. Je mehr der Verkehr mit den fremden Gästen und die Ungebundenheit während der Feldzüge verlockende Beispiele gaben, je mehr die Reichtümer und die Prachtentfal-tnng des Ordens mit den alten Grundsätzen desselben im Widerspruch standen, desto mehr schwanden die Tugenden dahin, denen die Brüderschaft ihre Macht und ihr Gedeihen verdankte. An die Stelle der Demut und der Hingebung an das Gemeinwohl traten Hoffart und Ehrgeiz, an die Stelle der Selbstverleugnung und Enthaltsamkeit Eigenliebe und Genußsucht, die bisherige Einheit des Willens machte Spaltungen und Umtrieben platz, und statt keusch, arm und gehorsam zu sein, wurden die Ritter sittenlos, verschwenderisch und widerspenstig. Und zu dieser wachsenden inneren Schwäche und Verderbtheit kam, daß sich der Orden durch sein oft willkürliches Regiment in dem einge-