Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Hülfsbuch für den Unterricht in der deutschen Geschichte, mit besonderer Berücksichtigung der Kulturgeschichte - S. 540

1896 - Berlin [u.a.] : Heuser
540 Deutsche Zustände im Zeitalter Dn die Bildung der höheren Klassen auch im 18. Jahrhundert im Grunde französisch blieb, so mußte jeder, der an sie schrieb, sich auch der französischen Sprache bedienen. So war es fast das ganze Jahrhundert hindurch. In diesen Kreisen waren deutsche Briefe immer noch unmöglich. Natürlich war auch der Briefverkehr der Fürsten und Fürstinnen französisch. Um 1750 aber war das Beispiel der Vornehmen auch noch für viele Leute aus dem Mittelstand maßgebend, oder dieselben hatten, namentlich im südwestlichen Deutschland, eine französische Erziehung genossen, so daß ihnen auch französische Briese geläufig waren. Sobald man in der Litteratur plötzlich einen ganz andern Ton angeschlagen hatte, alsbald spiegelte er sich auch in den Briefen wieder. Die Sturm- und Drangperiode zeitigte auch hier einen eigenartigen Stil. Ein ungestümer Drang giug durch die Menschen. So beginnt ein Brief Kramers an Bürger scherzhaft: „Hund Bürger! nicht Herr Bürger! Du Rabenaas Du! thou whoreson of a Zed! thou unnecessary Letter in the Alphabet! thou Knave! Rascal! und was das allerschlimmste ist, Du certain Monsieur Burger Du! Dasjenige, was aber am meisten Sprache und Ton der Briefe änderte, war der Durchbruch des Gefühlslebens, das mit der Schwärmerei für die Natur begann, wie es sich ja auch in der Litteratur zeigte. Die Natur schafft die Stimmungen der Menschen oder wirkt doch aus sie ein. So schreibt Goethe 1771: „Gestern waren wir den ganzen Tag geritten, die Nacht kam herbei und wir kamen eben aufs Loth-ringsche Gebirg, da die Saar im lieblichen Thale unten vorbeifließt. Wie ich so rechter Hand über die grüne Tiefe hinaussah, und der Fluß in der Dämmerung so graulich und still dahin floß und linker Hand die schwere Finsternis des Buchenwaldes vom Berg über mich herabhing, wie um die dunklen Felsen durchs Gebüsch die leuchtenden Vögelchen still und geheimnisvoll zogen, da wurd's in meinem Herzen so still wie in der Gegend." Die Empfindsamkeit jener Zeit, die schon bei andrer Gelegenheit ermähnt wurde, läßt sich ohne dieses Naturgefühl nicht verstehen. Damals wirkte es vertiefend und anregend. Aber in den sechziger Jahren macht sich ein besondrer Zug in der Natnrschwärmerei geltend, der Mondschein spielt eine Rolle, die Nacht überhaupt, das Unheimliche und Finstere derselben. Das deutet auf Wehmut und Schwermut, und so kommt man zu dem eigentlich Kennzeichnenden der Empfindsamkeit. „Unsere heutigen Mädchen," klagt Wieland in einem Briefe an Sophie von La Roche, „sind, Gott sei's geklagt, säst durchgängig auf Schwermut und Empfindsamkeit gestellt." Die weichliche Lust am Rührenden, die schon der Gellertschen Zeit eigen war, hat sich ungleich gesteigert. Überall empfindet man eine unbestimmte, schmachtende Sehnsucht, eine ewige Wehmut. Man ist des Lebens überdrüssig und wünscht zu sterben. Es ist das Zeitalter, da die Thränen fließen. So wurde denn auch der Brief der willkommene Platz, in Gefühlen und Empfindungen zu schwelgen, aber merkwürdiger Weise mehr bei den Männern als bei den Frauen, deren Briese sich immer noch durch Natürlichkeit auszeichnen. Eine Frau aus dem begüterten gebildeten Kaufmannsstande, Eva König, die spätere Gattin Lessings, mag uns die Frauen des besseren Bürgertums vorstellen. Einer ihrer Briefe beginnt: „Mein lieber Herr Lesfing! Werden Sie nicht böse! daß ich Ihnen schon wieder schreibe. Ich arme Frau! was soll ich machen? In Gesellschaft zu gehen, habe ich heute keine Lust, und meine Bücher habe ich auch noch nicht; die liegen auf der Maut. Morgen soll ich sie erst holen lassen, und doch ist
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer