1892 -
Osterburg
: Danehl
- Autor: Schulze, Otto
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Bilder aus der brandenburgisch-preußischen Geschichte. 211
blühende Enkel, Prinz Ludwig von Baden. Das kaiserliche Palais war eine Stätte des tiefsten Schmerzes, denn auch die Nachrichten aus San Remo, wo der kranke Sohn weilte, wurden immer trüber. Ein unsägliches Weh wollte ihm fast das edle Herz brechen; selbst in der Nacht war es in des Kaisers Zimmer noch nicht still. Oft erwacht er und ruft bitterlich weinend aus: „Ich möchte nach San Remo!" auch die edle Kaiserin gedenkt unter heißen Thränen und schweren Seufzern des todkranken Sohnes. Der Herzenswunsch, den edlen Sohn noch einmal in die Arme schließen zu können, blieb dem kaiserlichen Greis versagt. Der Schmerz um den leidenden Sohn brach dem Vater das Herz. In den ersten Tagen des März erkrankte der Monarch; seine Kräfte begannen sichtlich zu schwinden. Die Seinen eilten an das Krankenbett; auch Fürst von Bismarck, Moltke n. a. weilten in der
unmittelbaren Nähe des Monarchen. Auf den Wunsch des Kaisers war
auch der Oberhofprediger Kögel erschienen, um dem sterbenden Helden mit göttlichem Troste nahe zu sein. — Der Geistliche spricht köstliche Psalmworte, wie: „Ob ich schon wanderte im finstern Thal rc."
„Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöset rc." Mit gefalteten Händen vernimmt Kaiser Wilhelm die Trost- und Lebensworte, ein seliges Lächeln, der Abglanz himmlischen Lichtes, verklärt seine Züge. Mehr und mehr schwinden die Kräfte des Heldengreises; das Atmen gleicht zuletzt nur noch einem kaum wahrnehmbaren Hauche. An seinem Bette, in der nächsten Nähe des Kranken, sitzt die treue Lebensgefährtin und hält die erkaltende Hand des Sterbenden in der ihrigen. —
Mit tiefem Schmerz blickt' die einzige Tochter, die Großherzogin von Baden, auf den sterbenden Vater und schluchzt leise. Endlich
unterbricht sie die im Gemache herrschende Stille durch die Frage: „Bist du müde? Vater!" worauf der kaiserliche Greis entgegnet: „Ich habe keine Zeit müde zu sein!" — Gegen 8 Uhr Morgens flogen die Schatten des Todes über das bleiche Antlitz, welches den Ausdruck des tiefsten Seelenfriedens trug. Noch einmal öffnete er das Auge und blickte seine Lebensgefährtin lange und liebevoll an; dann entschlief Kaiser Wilhelm, der Held des 19. Jahrhunderts, sanft und ohne Todeskampf. Mit Blitzesschnelle durcheilte die Kunde: „Kaiser Wilhelm ist tot!" die Straßen Berlins und die deutschen Gaue. Überall herrschte die tiefste Trauer; die schwarzen Fahnen auf Häusern und Türmen, der Klang der Glocken gaben dem Schmerze des deutschen Volkes den ergreifendsten Ausdruck. — Was das deutsche Volk an Deutschlands erstem Hohenzollernkaiser verloren hat, sagen die Worte seines Nachfolgers, welche lauten: „In ihm verlor Preußens Volk seinen ruhmgekrönten
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