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1853 -
Frankfurt
: Trowitzsch
- Autor: Woysche, Eduard, Baumgart, Fr.
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Elementarschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Elementarschule, Landschule, Stadtschule
einander, ohne eben hoffen zu können, dass sic sich in dieser Welt jemals wieder-
sehen würden Der Schneider wanderte darauf durch Böhmen, Sachsen, Hessen,
Lothringen bis nach Frankreich, wo er beinahe zehn Jahre blieb und bald in
dieser, bald in jener Stadt arbeitete, ohne irgendwo sein' Gliikk zu finden.
Endlich kehrte er nach Deutschland zurükk und geriet!» in Frankfurt an? Main
unter die Werber, welche ihn überredeten, kaiserliche Dienste zu nehmen und
ihn als Rekruten nach Wien transportirten. Da er aber schwächlich und fast
beständig krank war, so liess man ihn nach einigen Jahren wieder laufen,
wohin er wollte. Fast nakkt und bloss kam er nach Sachsen, um daselbst
wieder Arbeit zu suchen; allein, da ihn in seinem elenden Anzuge Niemand zur
Arbeit annehmen wollte, so musste er endlich betteln. Eines Abends spät sprach
er in einem Dorfe (cs war gerade an einem Sonnabende) bei einer Schmiede
auch um einen Zehrpfennig an. Da dünkte dem Meister, welcher mit vier
Gesellen vor der Esse arbeitete, dass die Stimme des Ansprechenden ihm sehr
bekannt sei. Er nahm die Hängelampe in die Hand, schaute dem Bettler in’s
Gesicht, und — „je Bruder! bist du’s, oder bist du’s nicht!“ riefen Beide fitst
zu gleicher Zeit; und in der That waren cs die beiden Kameraden, die seit der
Trennung in Warschau Nichts weiter von einander gehört hatten. Der Schmied,
welcher unterdessen in dieser Schmiede in Arbeit gestanden und durch die
Heirat!» der Wittwe, der sie gehörte, reich geworden, war ganz ausser
sich vor Freuden. Er herzte und küsste den Schneider und schämte sich
seiner nicht, ob er gleich ein zerlumpter Bettler war. Er führte ihn mit lautem
Jubel in seine Stube, drükktc ihn in den Grossvatorstuhl am Ofen nieder, sprang
auf einem Beine, wie ein Knabe, und alle seine Hausgenossen sperrten vor
Verwunderung die Augen weit auf. „Lene!“ sprach er zu seiner Frau, —-
„geschwind springe hinauf und hole ein feines Hemde und meinen Sonntags-
staat herunter, dass der gute Freund da sieh anders ankleiden kann!“ Der
Schneider wollte allerlei dagegen einwenden; aber der Meister hielt ihm den
Mund zu und sagte: „Schweig, und sprich mir kein Wort dagegen! Du hnst’s
wohl um mich verdient, «lass ich mein Bischen Hab’ und Gut mit dir theile.“
Es half nichts, der Schneider musste sich putzen und aus einer langen Pfeife
rauchen. Der Meister gebot ihm, sich gerade so zu pflegen, als ob er in
seinem eigenen Hause wäre, und .nachdem er in möglichster Eile sein Tagewerk
vollends geendet hatte, setzte er siel» mit ihm zu Tische und liess alle seine
Leute hereinkommen, dass sie den Fremden recht genau besehen mussten.
Dabei erzählte er ihnen dann, wer der Fremde eigentlich sei, und was cs mit
ihrer beiderseitigen Freundschaft für eine Bewandniss habe. Da hatten Alle
eine herzliche Freude über den Ankömmling, und besonders die Frau vom Hause,
die ihren Mann sehr liebte und oft dem guten Schnciderburschen, der in Polen
eine so treue Stütze für ihren Mann gewesen war, ehe sie ihn persönlich
kannte, Gottes Segen gewünscht hatte. Der Meister liess noch am nämlichen
Abend zwei fette Gänse schlachten und auf den folgenden Tag alle Freunde
und Gevattern des Dorfes zu sieh zu Gaste laden. „Juchhei! das soll mir ein
Freudentag werden!“ rief er laut — laut auf und schwang dabei seine Mütze
vor Freuden. Der Sonntag kam, und in der Schmiede ging’s so fröhlich her,
als wenn es Kindtaufe gewesen wäre. Nachdem die Mahlzeit geendigt war,
erzählte der Schmied alle seine Begebenheiten und besonders, was er seinem
Kameraden noch für einen Liebesdienst zu danken habe. Der Schneider musste
dann seine Begebenheiten auch erzählen, und die Gäste gewannen ihn, dass
sie durchaus darauf bestanden, er solle siel» in diesem Dorfe häuslich nieder-
lassen und ihr Schneider werden. Der Schmied jauchzte darüber laut und
versprach, ihn mit Gelde zu unterstützen, so viel er könne. Er hielt auch
Wort; der Schneider fand sein reichliches Brot im Dorfe und verheirathote sich
mit einer guten Wirthin und lebte froh und glükklich.
1911 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Wolff, Karl, Porger, Gustav
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
Blatt." Der Schneider wollte sich darauf nicht verlassen, ging hinab in
den Stall und fragte: „Ziege, bist du auch satt?" Die Ziege antwortete:
„Wovon sollt' ich satt sein?
Ich sprang nur über Grübelein
und fand kein einzig Blättelein; weh, meh!"
„Der gottlose Bösewicht!" schrie der Schneider, „so ein frommes Tier
hungern zu lassen!" lief hinauf und schlug mit der Elle den Jungen
zur Haustür hinaus.
Die Reihe kam jetzt an den dritten Sohn; der wollte seine Sache
gut machen, suchte Buschwerk mit dem schönsten Laube aus und ließ die
Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er: „Ziege, bist
du auch satt?" Die Ziege antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt; meh, meh!"
„So komm nach Haus!" sagte der Junge, führte sie in den Stall und
band sie fest. „Nun," sagte der alte Schneider, „hat die Ziege ihr
gehöriges Futter?" „O," antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag
kein Blatt." Der Schneider traute nicht, ging hinab und fragte: „Ziege,
bist du auch satt?" Das boshafte Tier antwortete:
„Wovon sollt' ich satt sein?
Ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein; meh, meh!"
„O, die Lügenbrut!" ries der Schneider, „einer so gottlos und pflicht-
vergessen wie der andere! Ihr sollt mich nicht länger zum Narren
haben!" Und vor Zorn ganz außer sich, sprang er hinauf und gerbte
dem armen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, daß er zum
Haus hinaussprang.
Der alte Schneider war nun mit seiner Ziege allein. Am andern
Morgen ging er hinab in den Stall, liebkoste die Ziege und sprach:
„Komm, mein liebes Tierlein, ich will dich selbst zur Weide führen."
Er nahm sie am Strick und brachte sie zu grünen Hecken und unter
Schafgarbe und was sonst die Ziegen gerne fressen. „Da kannst du dich
einmal nach Herzenslust sättigen," sprach er zu ihr und ließ sie weiden
bis zum Abend. Da fragte er: „Ziege, bist du satt?" Sie antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt; meh, meh!"
„So komm nach Hause!" sagte der Schneider, führte sie in den Stall
und band sie fest. Als er wegging, kehrte er sich noch einmal um und
1914 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Wolff, Karl, Richter, Ludwig
- Hrsg.: Porger, Gustav
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
172
„Was muß ich hören!" rief der Schneider, lief hinauf und sprach zu
dem Jungen: „Ei, du Lügner sagst, die Ziege wäre satt, und hast sie
hungern lassen?" Und in seinem Zorne nahm er die Elle von der Wand
und jagte ihn mit Schlügen hinaus.
Am andern Tag war die Reihe am zweiten Sohn; der suchte an
der Gartenhecke einen Platz aus, wo lauter gute Kräuter standen, und
die Ziege fraß sie rein ab. Abends, als er heim wollte, fragte er:
„Ziege, bist du satt?" Die Ziege antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt; meh, meh!"
„So komm nach Haus!" sprach der Junge, zog sie heim und band sie am
Stalle fest. „Nun," sagte der alte Schneider, „hat die Ziege ihr gehöriges
Futter?" „O," antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag kein
Blatt." Der Schneider wollte sich darauf nicht verlassen, ging hinab in
den Stall und fragte: „Ziege, bist du auch satt?" Die Ziege antwortete:
„Wovon sollt' ich satt sein?
Ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein; meh, meh!"
„Der gottlose Bösewicht!" schrie der Schneider, „so ein frommes Tier
hungern zu lassen!" lief hinauf und schlug mit der Elle den Jungen
zur Haustür hinaus.
Die Reihe kam jetzt an den dritten Sohn; der wollte seine Sache
gut machen, suchte Buschwerk mit dem schönsten Laube aus und ließ die
Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er: „Ziege, bist
du auch satt?" Die Ziege antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt; meh, meh!"
„So komm nach Haus!" sagte der Junge, führte sie in den Stall und
band sie fest. „Nun," sagte der alte Schneider, „hat die Ziege ihr
gehöriges Futter?" „O," antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag
kein Blatt." Der Schneider traute nicht, ging hinab und fragte: „Ziege,
bist du auch satt?" Das boshafte Tier antwortete:
„Wovon sollt' ich satt sein?
Ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein; meh, meh!"
„O, die Lügenbrut!" rief der Schneider, „einer so gottlos und pflicht-
vergessen wie der andere! Ihr sollt mich nicht länger zum Narren
haben!" Und vor Zorn ganz außer sich, sprang er hinauf und gerbte
dem armen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, daß er zum
Haus hinaussprang.
1912 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Koch, Hermann
- Hrsg.: Wolff, Karl, Porger, Gustav
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
172
„Was muß ich hören!" rief der Schneider, lief hinauf und fprach zu
dem Jungen: „Ei, du Lügner sagst, die Ziege wäre satt, und hast sie
hungern lassen?" Und in seinem Zorne nahm er die Elle von der Wand
und jagte ihn mit Schlägen hinaus.
Am andern Tag war die Reihe am Zweiten Sohn; der suchte an
der Gartenhecke einen Platz aus, wo lauter gute Kräuter standen, und
die Ziege fraß sie rein ab. Abends, als er heim wollte, fragte er:
„Ziege, bist du satt?" Die Ziege antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt; meh, meh!"
„So komm nach Haus!" sprach der Junge, zog sie heim und band sie am
Stalle fest. „Nun," sagte der alte Schneider, „hat die Ziege ihr gehöriges
Futter?" „O," antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag kein
Blatt." Der Schneider wollte sich darauf nicht verlassen, ging hinab in
den Stall und fragte: „Ziege, bist du auch satt?" Die Ziege antwortete:
„Wovon sollt' ich satt sein?
Ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein; meh, meh!"
„Der gottlose Bösewicht!" schrie der Schneider, „so ein frommes Tier
hungern zu lassen!" lief hinauf und schlug mit der Elle den Jungen
zur Haustür hinaus.
Die Reihe kam jetzt an den dritten Sohn; der wollte seine Sache
gut machen, suchte Buschwerk mit dem schönsten Laube aus und ließ die
Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er: „Ziege, bist
du auch satt?" Die Ziege antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt; meh, meh!"
„-So komm nach Haus!" sagte der Junge, führte sie in den Stall und
band sie fest. „Nun," sagte der alte Schneider, „hat die Ziege ihr
gehöriges Futter?" „O," antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag
kein Blatt." Der Schneider traute nicht, ging hinab und fragte: „Ziege,
bist du auch satt?" Das boshafte Tier antwortete:
„Wovon sollt' ich satt sein?
Ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein; meh, meh!"
„O, die Lügenbrut!" rief der Schneider, „einer so gottlos und pflicht-
vergessen wie der andere! Ihr sollt mich nicht länger zum Narren
haben!" Und vor Zorn ganz außer sich, sprang er hinauf und gerbte
dem armen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, daß er zum
Haus hinaussprang.
1915 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Porger, Gustav, Nückell, K., Wolff, Karl, Richter, Ludwig
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Knabenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): Jungen
172
„Was muß ich hören!" rief der Schneider, lief hinauf und sprach zu
dem Jungen: „Ei, du Lügner sagst, die Ziege wäre satt, und hast sie
hungern lassen?" Und in seinem Zorne nahm er die Elle von der Wand
und jagte ihn mit Schlägen hinaus.
Am andern Tag war die Reihe am Zweiten Sohn; der suchte an
der Gartenhecke einen Platz aus, wo lauter gute Kräuter standen, und
die Ziege fraß sie rein ab. Abends, als er heim wollte, fragte er:
„Ziege, bist du satt?" Die Ziege antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt; meh, meh!"
„So komm nach Haus!" sprach der Junge, zog sie heim und band sie am
Stalle fest. „Nun," sagte der alte Schneider, „hat die Ziege ihr gehöriges
Futter?" „O," antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag kein
Blatt." Der Schneider wollte sich darauf nicht verlassen, ging hinab in
den Stall und fragte: „Ziege, bist du auch satt?" Die Ziege antwortete:
„Wovon sollt' ich satt sein?
Ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein; meh, meh!"
„Der gottlose Bösewicht!" schrie der Schneider, „so ein frommes Tier
hungern zu lassen!" lief hinauf und schlug mit der Elle den Jungen
zur Haustür hinaus.
Die Reihe kam jetzt an den dritten Sohn; der wollte seine Sache
gut machen, suchte Buschwerk mit dem schönsten Laube aus und ließ die
Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er: „Ziege, bist
du auch satt?" Die Ziege antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt; meh, meh!"
„So komm nach Haus!" sagte der Junge, führte sie in den Stall und
band sie fest. „Nun," sagte der alte Schneider, „hat die Ziege ihr
gehöriges Futter?" „O," antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag
kein Blatt." Der Schneider traute nicht, ging hinab und fragte: „Ziege,
bist du auch satt?" Das boshafte Tier antwortete:
„Wovon sollt' ich satt sein?
Ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein; meh, meh!"
„O, die Lügenbrut!" rief der Schneider, „einer so gottlos und pflicht-
vergessen wie der andere! Ihr sollt mich nicht länger zum Narren
haben!" Und vor Zorn ganz außer sich, sprang er hinauf und gerbte
dem armen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, daß er zum
Haus hinaussprang.
1888 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Hrsg.: Keck, Heinrich, Sach, August, Johansen, Christian, Meyn, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
48
103. Treue Freundschaft.
noch miteinander bis nach Warschau, der Hauptstadt in Polen, wo
der arme Schmied Arbeit bekam, der Schneider aber nicht. Beide
Freunde mussten sich also hier trennen. Als der Schneider wieder aus-
wanderte, gab ihm der Schmied eine Stunde weit das Geleite, und
unter Yergiessung häufiger Thränen schieden sie, als wenn sie leibliche
Brüder gewesen wären, voneinander, ohne eben hoffen zu können,
dass sie sich in dieser Welt jemals wiedersehen würden.
Der Schneider wanderte darauf durch Böhmen, Sachsen, Hessen,
Lothringen bis nach Frankreich, wo er beinahe 10 Jahre blieb und
bald in dieser, bald in jener Stadt arbeitete, ohne irgendwo sein Glück
zu finden. Endlich kehrte er nach Deutschland zurück und geriet in
Frankfurt am Main unter die Werber, welche ihn überredeten, kaiser-
liche Dienste zu nehmen, und ihn als Rekruten nach Wien transpor-
tierten. Da er aber schwächlich und fast beständig krank war, liess
man ihn nach einigen Jahren wieder laufen, wohin er wollte. Fast
nackt und bloss kam er nach Sachsen, um daselbst wieder Arbeit zu
suchen; allein da ihn in seinem elenden Anzuge niemand zur Arbeit
annehmen wollte, so musste er endlich betteln. Eines Abends spät
sprach er in einem Dorfe (es war gerade an einem Sonnabend) bei
einer Schmiede auch um einen Zehrpfennig an. Da dünkte dem Meister,
welcher mit vier Gesellen vor der Esse arbeitete, dass die Stimme des
Ansprechenden ihm sehr bekannt sei. Er nahm die Hängelampe in die
Hand, schaute dem Bettler ins Gesicht, und — „Je Bruder! bist du’s
oder bist du’s nicht?“ riefen beide fast zu gleicher Zeit; und in der
That waren es die Kameraden, die seit der Trennung in Warschau
nichts weiter voneinander gehört hatten. Der Schmied, welcher unter-
dessen in dieser Schmiede in Arbeit gestanden und durch die Heirat
der Witwe, welcher sie gehörte, wohlhabend geworden war, war ganz
ausser sich vor Freuden. Er herzte und küsste den Schneider und
schämte sich seiner nicht, obgleich er ein zerlumpter Bettler war. Er
führte ihn mit lautem Jubel in seine Stube, drückte ihn in den Grofs-
vaterstuhl am Ofen nieder, sprang auf einem Beine, wie ein Knabe,
und alle seine Hausgenossen sperrten vor Verwunderung die Augen
weit auf. „Lene“, sprach er zu seiner Frau, „geschwind springe hinauf
und hole ein feines Hemd und meinen Sonntagsstaat herunter, dass der
gute Freund da sich umkleiden kann!“ Der Schneider wollte allerlei
dagegen einwenden, aber der Meister hielt ihm den Mund zu und
sagte: „Schweig’ und sprich mir kein Wort dagegen! Du hast’s wohl
um mich verdient, dass ich mein bisschen Hab und Gut mit dir teile.“
Es half nichts: der Schneider musste sich putzen und aus einer langen
Pfeife rauchen. Der Meister gebot ihm, sich gerade so zu pflegen,
als ob er in seinem eigenen Hause wäre, und nachdem er in möglich-
ster Eile sein Tagewerk vollends geendet hatte, setzte er sich mit ihm
zu Tische und liess alle seine Leute hereinkommen, dass sie den Frem-
den nun recht genau besehen mussten. Dabei erzählte er ihnen denn,
wer der Fremde eigentlich sei, und was es mit ihrer beiderseitigen
1883 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Autor: Sach, August, Keck, Heinrich, Johansen, Christian, Meyn, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 9
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
48
103. Treue Freundschaft.
in der Fremde müsse keiner den andern verlassen. Sie reisten darauf
noch mit einander bis nach Warschau, der Hauptstadt in Polen, wo
der arme Schmied Arbeit bekam, der Schneider aber nicht. Beide
Freunde mussten sich also hier trennen. Als der Schneider wieder aus-
wanderte, gab ihm der Schmied eine Stunde weit das Geleite, und
unter Vergiefsung häufiger Thränen schieden sie, als wenn sie leibliche
Brüder gewesen wären, von einander, ohne eben hoffen zu können,
dass sie sich in dieser Welt jemals wieder sehen würden.
Der Schneider wanderte darauf durch Böhmen, Sachsen, Hessen,
Lothringen bis nach Frankreich, wo er beinahe 10 Jahre blieb und
bald in dieser, bald in jener Stadt arbeitete, ohne irgendwo sein Glück
zu finden. Endlich kehrte er nach Deutschland zurück und geriet in
Frankfurt am Main unter die Werber, welche ihn überredeten, kaiser-
liche Dienste zu nehmen, und ihn als Rekruten nach Wien transpor-
tierten. Da er aber schwächlich und fast beständig krank war, liess
man ihn nach einigen Jahren wieder laufen, wohin er wollte. Fast
nackt und bloss kam er nach Sachsen, um daselbst wieder Arbeit zu
suchen; allein da ihn in seinem elenden Anzuge niemand zur Arbeit
annehmen wollte, so musste er endlich betteln. Eines Abends spät
sprach er in einem Dorfe (es war gerade an einem Sonnabende) bei
einer Schmiede auch um einen Zehrpfennig an. Da dünkte dem Meister,
welcher mit vier Gesellen vor der Esse arbeitete, dass die Stimme des
Ansprechenden ihm sehr bekannt sei. Er nahm die Hängelampe in die
Hand, schaute dem Bettler ins Gesicht, und — „Je Bruder! bist du’s
oder bist du’s nicht?“ riefen beide fast zu gleicher Zeit; und in der
That waren es die Kameraden, die seit der Trennung in Warschau
nichts weiter von einander gehört hatten. Der Schmied, welcher unter-
dessen in dieser Schmiede in Arbeit gestanden, und durch die Heirat
der Witwe, welcher sie gehörte, wohlhabend geworden war, war ganz
ausser sich vor Freuden. Er herzte und küsste den Schneider und
schämte sich seiner nicht, obgleich er ein zerlumpter Bettler war. Er
führte ihn mit lautem Jubel in seine Stube, drückte ihn in den Gross-
vaterstuhl am Ofen nieder, sprang auf einem Beine, wie ein Knabe,
und alle seine Hausgenossen sperrten vor Verwunderung die Augen
weit auf. „Lene“, sprach er zu seiner Frau, „geschwind springe hinauf
und hole ein feines Hemd und meinen Sonntagsstaat herunter, dass der
gute Freund da sich umkleiden kann!“ Der Schneider wollte allerlei
dagegen einwenden, aber der Meister hielt ihm den Mund zu und
sagte: „Schweig’ und sprich mir kein Wort dagegen! Du hast’s wohl
um mich verdient, dass ich mein bischen Hab und Gut mit dir teile.“
Es half nichts: der Schneider musste sich putzen und aus einer langen
Pfeife rauchen. Der Meister gebot ihm, sich gerade so zu pflegen,
als ob er in seinem eigenen Hause wäre, und nachdem er in möglich-
ster Eile sein Tagewerk vollends geendet hatte, setzte er sich mit ihm
zu Tische und liess alle seine Leute hereinkommen, dass sie den Frem-
den nun recht genau besehen mussten. Dabei erzählte er ihnen denn,
wer der Fremde eigentlich sei, und was es mit ihrer beiderseitigen
1902 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Autor: Sach, August, Meyn, Ludwig
- Hrsg.: ,, Keck, Heinrich, Johansen, Christian
- Auflagennummer (WdK): 16
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
48
103. Treue Freundschaft.
noch miteinander bis nach Warschau, der Hauptstadt in Polen, wo
der arme Schmied Arbeit bekam, der Schneider aber nicht. Beide
Freunde mussten sich hier also trennen. Als der Schneider wieder
auswanderte, gab ihm der Schmied eine Stunde weit das Geleite, und
unter Vergiefsung häufiger Tränen schieden sie, als wenn sie leibliche
Brüder gewesen wären, voneinander, ohne eben hoffen zu können, dass
sie sich in dieser Welt jemals wiedersehen würden.
Der Schneider wanderte darauf durch Böhmen, Sachsen, Hessen,
Lothringen bis nach Frankreich, wo er beinahe zehn Jahre blieb und
bald in dieser, bald in jener Stadt arbeitete, ohne irgenwo sein Glück
zu finden. Endlich kehrte er nach Deutschland zurück und geriet in
Frankfurt am Main unter die Werber, welche ihn überredeten, kaiser-
liche Dienste zu nehmen, und ihn als Rekruten nach Wien trans-
portierten. Da er aber schwächlich und fast beständig krank war, liess
man ihn nach einigen Jahren wieder laufen, wohin er wollte. Fast
nackt und bloss kam er nach Sachsen, um daselbst wieder Arbeit zu
suchen; allein da ihn in seinem elenden Anzuge niemand zur Arbeit
annehmen wollte, so musste er endlich betteln. Eines Abends spät
sprach er in einem Dorfe (es war gerade an einem Sonnabend) bei
einer Schmiede auch um einen Zehrpfennig an. Da dünkte dem Meister,
welcher mit vier Gesellen vor der Esse arbeitete, dass die Stimme des
Ansprechenden ihm sehr bekannt sei. Er nahm die Hängelampe in die
Hand, schaute dem Bettler ins Gesicht, und — „Je Bruder, bist du’s
oder bist du’s nicht?“ riefen beide fast zu gleicher Zeit; und in der
Tat waren es die Kameraden, die seit der Trennung in Warschau
nichts weiter voneinander gehört hatten. Der Schmied, welcher unter-
dessen in dieser Schmiede in Arbeit gestanden und durch die Heirat
der Witwe, welcher sie gehörte, wohlhabend geworden war, war ganz
ausser sich vor Freuden. Er herzte und küsste den Schneider und
schämte sich seiner nicht, obgleich er ein zerlumpter Bettler war. Er
führte ihn mit lautem Jubel in seine Stube, drückte ihn in den Grofs-
vaterstuhl am Ofen nieder, sprang auf einem Beine, wie ein Knabe,
und alle seine Hausgenossen sperrten vor Verwunderung die Augen
weit auf. „Lene“, sprach er zu seiner Frau, „geschwind springe hinauf
und hole ein feines Hemd und meinen Sonntagsstaat herunter, dass der
gute Freund da sich umkleiden kann!“ Der Schneider wollte allerlei
dagegen einwenden, aber der Meister hielt ihm den Mund zu und
sagte: „Schweig und sprich mir kein Wort dagegen! Du hast’s wohl
um mich verdient, dass ich mein bisschen Hab und Gut mit dir teile.“
Es half nichts: der Schneider musste sich putzen und aus einer langen
Pfeife rauchen. Der Meister gebot ihm, sich gerade so zu pflegen,
als ob er in seinem eigenen Hause wäre, und nachdem er in möglichster
Eile sein Tagewerk vollends geendet hatte, setzte er sich mit ihm zu
Tische und liess alle seine Leute hereinkommen, dass sie den fremden
nun recht genau besehen mussten. Dabei erzählte er ihnen denn,
wer der Fremde eigentlich sei, und was es mit ihrer beiderseitigen
1914 -
Langensalza
: Kortkamp
- Autor: Redlich, Ernst, Dickhoff, Emil, Schmidt, Otto, Groch, Karl
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Hilfsbuch, Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Inhalt Raum/Thema: Unterrichtstheorie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
— 334 —
2. Wie der Vater den Anzug anprobiert.
Nach einigen Tagen kommt der Schneider zum Vater und will
sehen, ob der Anzug gut sitzt. Der Vater zieht die neue Jacke an.
Die ist aber nur ganz lose zusammengeheftet und hat bloß einen
Ärmel, es fehlen auch die Knöpfe. Der Schneider schneidet einige
Heftfäden durch und steckt mit Nadeln den Stoff besser zusammen.
Dann macht er ein paar Kreidestriche über die Schultern und vorn
an der Jacke herunter. Daran weiß er, was noch zu ändern ist. Die
Anprobe ist fertig, und der Vater zieht die Jacke wieder aus.
3. Wie der Schneider den Anzug bringt.
Wenn der Schneider den Anzug fertig gemacht hat, bringt er
ihn dem Vater. Er hat ihn in ein schwarzes Tuch eingeschlagen,
das ist mit Nadeln zusammengesteckt. Der Vater zieht jetzt den
ganzen Anzug an. Der sitzt gut und sieht fein aus. Der Vater ist
zufrieden und bezahlt die Rechnung. Er verspricht, bei dem Schneider
später wieder arbeiten zu lassen.
4. Wie es in der Schneiderwerkstatt aussieht.
Auf einem großen Tische liegen zerschnittene Stoffe. An einer
Maschine sitzt ein Geselle und näht, ein anderer bügelt eine Hose.
Ein Lehrling sitzt auf dem Tische, er hat die Beine gekreuzt und näht
Knöpfe an. An der Wand hängen die neuesten Modebogen. An
einem Kleiderständer hängen schon fertige Anzüge und Überzieher.
* Der Schneider. I. Trojan, Die zwölf Handwerker.
* Beim Schneider. A. Holst.
Das tapfere Schneiderlein. Bechstein.
Rätsel.
Zwei Löcher Hab' ich,
zwei Finger brauch' ich,
so mach' ich Langes und Großes klein
und trenne, was nicht beisammen soll sein.
Innen hohl, außen vieler Löcher voll.
Welcher Hut hat keinen Rand?
Der Maler.
Die Kinder kennen den Maler in seinem weißen Kittel. Sie
beobachten, wie aus dem Bretter- und Leiterhaufen mit den vielen
eisernen Sprossen und Schrauben vor dem Hause in ganz kurzer Zeit
ein hohes Gerüst entsteht. Dieses benutzen sie gern zum Klettern, sie
1918 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Windmöller, Friedrich, Schürmann, Franz
- Auflagennummer (WdK): 34
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
8
Treue Freundschaft.
das daraus gelöste Geld war bald verzehrt und nach sah man keine Bes-
serung. Nun bewies sich der Schneidergeselle recht brüderlich gegen ihn
und verließ ihn nicht in seiner Not. „hier in diesem fremden Lande bin
ich ihm ja der nächste!" dachte er bei sich selbst, und das war er auch.
Er verkaufte daher von seinen Zachen ein Stück nach dem andern, bis
ihm nichts mehr übrig blieb,- aber er hatte dafür die Freude, seinen Ka-
meraden durch seine Pflege wieder hergestellt zu sehen. Vieser konnte ihm
die Treue, die er an ihm bewiesen hatte, nicht genug danken und weinte
manchmal an seinem halse aus Bekümmernis, daß er ihm seine verkauften
Kleidungsstücke nicht wieder ersetzen konnte; aber der Schneider tröstete
ihn darüher und sagte, Gott werde es ihn wohl nicht vermissen lassen,-
ein Mensch sei dem andern einen solchen Liebesdienst schuldig: und be-
sonders in der Fremde müsse keiner den andern verlassen. Sie reisten darauf
noch miteinander bis nach Warschau, der Hauptstadt in Kussisch-Polen, wo
der Schmied Hrbeit bekam, der Schneider aber nicht. Beide Freunde
mußten sich also hier trennen. Bls der Schneider wieder fortwanderte,
gab ihm der Schmied eine Stunde weit das Geleite, und unter Vergießung
häufiger Tränen schieden sie, als wenn sie leibliche Brüder gewesen wären,
voneinander, ohne eben hoffen zu können, daß sie sich in dieser Welt
jemals wieder sehen würden. Der Schneider wanderte darauf durch Böhmen,
Sachsen, Hessen, Lothringen bis nach Frankreich, wo er beinahe zehn Jahre
blieb und bald in dieser, bald in jener Stadt arbeitete, ohne irgendwo sein
Glück zu finden. Endlich kehrte er nach Deutschland zurück und geriet in
Frankfurt a. M. unter die Werber, welche ihn überredeten, kaiserliche
Dienste zu nehmen, und ihn als Kekruten nach Wien brachten. Da er
aber schwächlich und fast beständig krank war, so ließ man ihn nach
einigen Jahren wieder laufen, wohin er wollte. Fast nackt und bloß kam
er nach Sachsen, um daselbst wieder Brbeit zu suchen,' allein, da ihn in
seinem elenden Bnzuge niemand zur Hrbeit nehmen wollte, so mußte er
endlich betteln.
Eines Bbends spät sprach er in einem Dorfe (es war gerade an
einem Sonnabende) bei einer Schmiede auch um einen Zehrpfennig an.
Da dünkte dem Meister, welcher mit vier Gesellen vor der Esse arbeitete,
daß die Stimme des Ansprechenden ihm sehr bekannt sei. Er nahm die
Hängelampe in die Hand, schaute dem Bettler ins Gesicht, und — „je
Bruder, bist du's, oder bist du's nicht?" riefen beide fast zu gleicher Zeit,-
und in der Tat waren es die beiden Kameraden, die seit der Trennung
in Warschau nichts mehr voneinander gehört hatten. Der Schmied, welcher
unterdessen in dieser Schmiede in Hrbeit gestanden und durch die heirat
mit der Witwe, der sie gehörte, reich geworden war, war ganz außer sich
vor Freuden. Er herzte und küßte den Schneider und schämte sich seiner
nicht, ob er gleich ein zerlumpter Bettler war. Er führte ihn mit lautem
Jubel in seine Stube, drückte ihn in den Großvaterstuhl am Gfen nieder,
sprang aus einem Beine wie ein Knabe, und alle seine Hausgenossen sperrten
vor Verwunderung die Bugen weit aus. „Lene!" sprach er zu seiner Frau,
„geschwind spring hinaus und hole ein feines Hemd und meinen Sonntags-
staat herunter, daß der gute Freund da sich anders ankleiden kann!" Der
Schneider wollte allerlei dagegen einwenden, aber der Meister hielt ihm
den Mund zu und sagte: „Schweig und sprich mir kein Wort dagegen!
Du hast's wohl um mich verdient, daß ich mein bißchen hab' und Gut
1917 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Hrsg.: Kloss, Katharina, Porger, Gustav, Biastoch, Otto, Lemp, Eleonore
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mädchenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
„0, die Lügenbrut!" rief der Schneider, „einer so gottlos und pflicht-
vergessen wie der andere! Ihr sollt mich nicht länger zum Narren
haben!" Und vor Zorn ganz außer sich, sprang er hinauf und gerbte
dem armen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, daß er zum
Haus hinaussprang.
Der alte Schneider war nun mit seiner Ziege allein. Am andern
Morgen ging er hinab in den Stall, liebkoste die Ziege und sprach:
„Komm, mein liebes Tierlein, ich will dich selbst zur Weide führen."
Er nahm sie am Strick und brachte sie zu grünen Hecken und unter
Schafgarbe und was sonst die Ziegen gerne fressen. „Da kannst du dich
einmal nach Herzenslust sättigen," sprach er zu ihr und ließ sie weiden
bis zum Abend. Da fragte er: „Ziege, bist du satt?" Sie antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt; meh, meh!"
„So komm nach Hanse!" sagte der Schneider, führte sie in den Stall
und band sie fest. Als er wegging, kehrte er sich noch einmal um und
sagte: „Nun bist du doch einmal satt." Aber die Ziege machte es ihm
nicht besser und rief:
„Wie sollt' ich satt sein?
Ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein; meh, meh!"
Als der Schneider das hörte, stutzte er und sah wohl, daß er seine
drei Söhne ohne Ursache verstoßen hatte. „Wart!" rief er, „du un-
dankbares Geschöpf! Dich fortzujagen ist noch zu wenig; ich will dich
zeichnen, daß du dich unter ehrbaren Schneidern nicht mehr darfst sehen
lassen." In einer Hast sprang er hinauf, holte sein Bartmesser, seifte
der Ziege den Kopf ein und schor sie so glatt wie seine flache Hand.
Und weil die Elle zu ehrenvoll gewesen wäre, holte er die Peitsche und
versetzte ihr solche Hiebe, daß sie in gewaltigen Sprüngen davonlief.
2.
Der Schneider, als er so ganz einsam in seinem Hause saß, verfiel
in große Traurigkeit und hätte seine Söhne gerne wiedergehabt; aber
niemand wußte, wo sie hingeraten waren. Der älteste war zu einem
Schreiner in die Lehre gegangen. Da lernte er fleißig und unverdrossen,
und als seine Zeit herum war, daß er wandern sollte, schenkte ihm der
Meister ein Tischchen, das gar kein besonderes Ansehen hatte und von
gewöhnlichem Holz war; aber es hatte eine gute Eigenschaft. Wenn
man es hinstellte und sprach: „Tischchen, deck' dich!" so war das gute
Tischchen auf einmal mit einem saubern Tüchlein bedeckt, und stand da
1876 -
Langensalza
: Greßler
- Autor: Mauer, August
- Auflagennummer (WdK): 9
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
486
Wer zum Ackerbau brauchbar ist, wird nie Schneider werden; deß-
halb sind auch die meisten Schneider lahm oder verwachsen, oder
sonst mit einem körperlichen Gebrechen behaftet. Er hat selten
einen festen Wohnsitz, sondern führt ein Nomadenleben; heute ist
er auf dem Bauerhose, morgen auf einem andern. Verheirathete
Schneider gehören zu den großen Seltenheiten; allein überall weiß
er sich zum Liebling der jungen Mädchen zu machen. Er besorgt
für sie Alles, bringt ihnen die neuesten Neuigkeiten und ist mit
einem Wort zu Allem zu gebrauchen. Die Männer verachten ihn
wegen des weibischen Handwerks, welches er betreibt; er ißt auch
mit ihnen nicht an einem Tische, sondern, wenn diese gegessen haben,
mit den Frauen an einem besonderen Tische.
In andern Orten ist nicht der Schneider der Freiwerber, son-
dern die beiden ältesten Bettler der Umgegend werden hierzu
auserwählt. — Der Schneider und die Bettler beobachten bei der
Brautwerbung ein ganz verschiedenes Verfahren. Der Schnei-
der fängt mit dem jungen Mädchen, die Bettler fangen mit dem
Hausherrn an.
Wenn der Schneider von einem jungen Manne den Auftrag
erhalten hat »für ihn zu sprechen«, so begiebt er sich nach dem
Hofe, wo das junge Mädchen wohnt und sucht diese ohne Zeugen
zu sprechen. Sieht er auf dem Wege dorthin eine Elster, so kehrt
er sofort wieder um, denn dies ist ein Zeichen, daß eine Ehe, die
an diesem Tage verabredet, eine unglückliche werden würde. Sein
Zusammentreffen mit dem jungen Mädchen muß immer als ein rein
zufälliges erscheinen. Er spricht mit ihr zuerst von dem Wetter,
dem Vieh, der bevorstehenden Kirmeß u. s. w. und kommt zuletzt
auf den jungen Mann zu sprechen. Er lobt seine Häuslichkeit, seine
große Körperkraft, seinen Muth, sein hübsches Aeußere u. s. w.
t^anz beiläufig rühmt er auch seinen Reichthum und daß er man-
chen Kosfer voll Leinwand habe. Das junge Mädchen hört ihn
ruhig an, und wenn sie geneigt ist, auf den Antrag einzugehen,
so sagt sie: »Sprecht mit meinen Eltern!« und läuft dann schnell
fort. Will sie nicht, so sagt sie: »Der Flachs zu meinem Braut-
Hemde ist noch nicht gesäet.« Hierauf bleibt sie stehen und der
Freiwerber geht fort.
Hat das junge Mädchen ihre Zustimmung erklärt, so theilt sie
die Bewerbung ihrem Vater mit. Wenn dieser gegen die Verbin-
dung nichts einzuwenden hat, so wird dem Schneider davon Nach-
richt gegeben. Dieser erscheint dann nach einigen Tagen mit einer
Ginsterruthe in der Hand und bekleidet mit einem rothen^ und
einem violetten Strumpfe, mit dem Bräutigam und dessen Vater,
oder wenn dieser todt ist, mit dessen nächstem Verwandten auf dem
Hofe, um »sein Wort anzubringen.«
1897 -
Wittenberg
: Herrosé
- Autor: Schanze, J., Schanze, W.
- Auflagennummer (WdK): 5
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Der Herzog wußte, daß fein Generalsnperintendent Storch einen
Bruder in London hatte, der Schneider war, und er ließ jenen
deshalb fragen, ob er etwas an den Bruder in England mitzugeben
habe, er werde es gern besorgen. Der Superintendent benutzte die teilt
selige Aufforderung und übersandte einen Brief nebst einem kleinen
Päckchen. Einige Tage nach seiner Ankunft in London gedachte der
Herzog, der am königlichen Hofe als naher Verwandter sehr in An-
spruch genommen war, des mitgenommenen Briefes und schickte ihn
samt dem Päckchen mit einem freundlichen Gruße an den Schneider-
meister Storch. Der Schneider, hoch erfreut, ließ durch den Kammer
diener beim Herzog anfragen, ob er ihm nicht die Aufwartung machen
und seinem ehemaligen Landesherrn mündlich für die erwiesene Gnade
danken dürfe. Dem Manne eine leere Audienz zu geben, dünkte dem
Herzog doch seltsam, und so fiel seine Gutmütigkeit auf den Ausweg,
sich bei ihm einen Anzug zu bestellen. Der Schneider ward be
schieden.
Zur bestimmten Stunde fuhr eine schöne Kutsche vor der Wohnung
des Herzogs auf, ein Bedienter öffnete den Schlag, ein sehr seiner
Herr stieg ans, und es wurde dem Herzoge, der alles vom osen st er
ans gesehen hatte, der zum Maßnehmen entbotene Schneider ge-
meldet. Verwundert ließ der Herzog ihn eintreten und sah sich von
einem seinen Mann mit ungezwungenem Anstande ehrfurchtsvoll be
grüßt, der sich ihm als den Bruder des Generalsnperinteudenten
Storch vorstellte. Die ganze Erscheinung gefiel dem Fürsten, er knüpfte
ein Gespräch an und erkannte bald, daß er einen geistig gebildeten
Mann vor sich habe. Nach längerer Unterhaltung kam der Herzog
auf seine Bestellung und wollte Maß nehmen lassen. „Das ist
bereits geschehen!" erwiderte der Schneider. Wieso'?" fragte der
Herzog betroffen. „Ich habe Ew. Durchlaucht Gestalt mir angesehen,"
versetzte der Meister, „und mehr bedarf es nicht; ich hafte dafür, daß
alles aufs beste passen soll," und hierbei entfernte er sich mit ehr
erbietiger Bescheidenheit.
Das war dem Herzog noch nicht vorgekommen; aber er erstaunte
noch mehr, als am folgenden Morgen der Schneider mit dem fertigen
Anzuge vor ihm stand, und alles so paßte, als ob es auf feinen
Leib gemacht worden wäre. „Wie ist es möglich," rief der Herzog
ans, „daß Sie mit dem Anzüge schon fertig sind?" — „Wenn Ew.
Durchlaucht mir die Ehre erweisen wollen, mein Geschäftshaus zu be-
sichtigen. so werden Sie sich bald überzeugen, wie es möglich ist. Ich
betreibe mein Geschäft fabrikmäßig; jeder meiner Arbeiter hat seine be-
stimmte Aufgabe lind so geht das Werk schnell ans einer Hand in
die andere. Vielleicht ist es Ew. Durchlaucht nicht unangenehm, eine
solche Einrichtung kennen zu lernen." Neugierig nahm der Herzog
für den folgcmden Tag die Einladung an und ward fast bis zur
Verlegenheit überrascht, als der Meister ihn daneben zum Mittags-
mahle einlud, indem er versicherte, daß Seine Durchlaucht eine nicht
unwürdige Gesellschaft finden werde.
Um die bestimmte Zeit fuhr der Herzog vor der Schneiderwerk-
1910 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: Tromnau, Friedrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
66
Treue Freundschaft.
Arbeit bekam, der Schneider aber nicht. Beide Freunde mußten
sich also hier trennen. Als der Schneider wieder auswanderte,
gab ihm der Schmied eine Stunde weit das Geleite. Dann
schieden sie unter Tränen voneinander, als wenn sie leibliche
Brüder gewesen wären, ohne eben hoffen zu können, daß sie
sich in dieser Welt jemals wiedersehen würden.
Der Schneider wanderte darauf durch Böhmen, Sachsen,
Hessen, Lothringen bis nach Frankreich, wo er beinahe zehn
Jahre blieb und bald in dieser, bald in jener Stadt arbeitete,
ohne irgendwo sein Glück zu finden. Endlich kehrte er nach
Deutschland zurück und geriet in Frankfurt am Main unter' die
Werber, welche ihn überredeten, kaiserliche Dienste zu nehmen,
und ihn als Rekruten nach Wien transportierten. Da er aber
schwächlich und fast beständig krank war, ließ man ihn nach
einigen Jahren wieder laufen, wohin er wollte. Fast nackt und
bloß kam er nach Sachsen, um daselbst wieder Arbeit zu suchen.
Allein da ihn in seinem elenden Anzuge niemand zur Arbeit
annehmen wollte, so mußte er endlich betteln. Eines Abends
spät sprach er in einem Dorfe, es war gerade an einem Sonn-
abende, bei einer Schmiede um einen Zehrpfennig an. Da dünkte
es dem Meister, welcher mit vier Gesellen an der Esse arbeitete,
daß die Stimme des Ansprechenden ihm sehr bekannt sei. Er
nahm die Hängelampe in die Hand, schaute dem Bettler ins
Gesicht, und — „Je Bruder! bist du’s oder bist du’s nicht?“
riefen beide fast zu gleicher Zeit; und in der Tat waren es die
Kameraden, die seit der Trennung in Warschau nichts weiter
voneinander gehört hatten.
Der Schmied, welcher unterdessen in dieser Schmiede in
Arbeit gestanden und durch die Heirat der Witwe, welcher sie
gehörte, wohlhabend geworden, war ganz außer sich vor Freuden.
Er herzte und küßte den Schneider und schämte sich seiner
nickt, obgleich er ein zerlumpter Bettler war. Er führte ihn mit
lautem Jubel in die Wohnstube, drückte ihn in den Großvater-
stuhl am Ofen nieder, sprang auf einem Beine wie ein Knabe,
und alle seine Hausgenossen sperrten vor Verwunderung die
Augen weit auf. „Lene,“ sprach er zu seiner Frau, „geschwind
springe hinauf und hole ein feines Hemd und meinen Sonntags-
staat herunter, daß der gute Freund da sich umkleiden kann!“
Der Schneider wollte allerlei dagegen einwenden, aber der
Meister hielt ihm den Mund zu und sagte: „Schweig’ und sprich
1894 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Schulze, Hermann, Kahnmeyer, Ludwig
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): koedukativ
120
stuhl am warmen Ofen, rief alle seine Leute zusammen und sagte ihnen, das sei
er, das sei der liebe Bruder Schneider, von dem er ihnen so viel erzählt, und
dem er es nächst Gott zu danken habe, daß er nicht schon lange in einem polnischen
Kirchhofe faule. Die Meisterin, welche dem unbekannten Wohlthäter ihres geliebten
Ehegatten schon oft Gottes Segen auf allen seinen Wegen gewünscht hatte, war
zur Küche hingesprungen, hatte eiligst ihre Hand auf beiden Seiten abgetrocknet
und sie unter den freundlichsten Grüßen dem werten Gaste hingestreckt. Sie eilte
aber bald wieder hinaus, um zwei fette Gänse abzuschlachten und ein festliches
Mahl zu bereiten, wozu sie ihre ganze Freundschaft laden ließ. Der Schmied aber
rief einmal über das andere: „Das soll mir ein Frendentag sein!" und herzte
und küßte den treuen Kameraden, der noch immer ganz verstummt drein sah und
die Sprache nicht recht finden konnte.
Die Gänse wurden fertig, und der hungrige Schneider erinnerte sich nicht,
in vielen Jahren so prächtig gespeist zu haben. Dabei erzählte ihm der Schmied
seine seitherigen Schicksale, was dem Schneider wie die schönste Tafelmusik klang.
Nachdem sich dieser satt gegessen, mußte er auch erzählen, wie es ihm ergangen
sei. Alle Anwesenden wurden gerührt und gewannen den Fremdling bei seiner
offenherzigen Erzählung so lieb, daß sie verlangten, er solle bei ihnen seinen
Wanderstab niederlegen. Wer sehnte sich mehr nach einem Plätzchen der Ruhe
als unser Schneider? Es fror ihn noch, wenn er an die Schneegestöber dachte,
die er in manchem Winter hatte durchfechten müssen. Mit Freuden ging er daher
auf den von seinem Freunde gemachten Vorschlag ein, wurde auf alle Weise
unterstützt, wurde Meister im Dorfe, wurde der Mann eines tugendsamen Weibes
und erfreute sich des göttlichen Segens in so reichem Maße, daß er ohne allen
Mangel leben konnte.
So hatten es beide, der Schmied am Schneider und der Schneider am
Schmied erfahren, was Sirach im sechsten Kapitel spricht: „Ein treuer Freund
ist ein Trost des Lebens; wer Gott fürchtet, der kriegt solchen Freund."
Redenbacher.
207. Der beste Freund.
1. Der beste Freund ist in dem Himmel, auf Erden sind nicht Freunde
viel, und bei dem falschen Weltgetümmel steht Redlichkeit oft auf dem Spiel.
Drum hab’ icli’s immer so gemeint: mein Jesus ist der beste Freund.
2. Die Menschen sind wie eine Wiege, nur Jesus stehet felsenfest, und
ob ich gleich darnieder liege, doch seine Treu’ mich nie verlässt. Drum hab’
ich’s immer so gemeint: mein Jesus ist der beste Freund.
3. Der liess sich selber für mich töten, vergoss für mich sein teures Blut,
steht mir noch bei in allen Nöten und spricht für meine Sünden gut. Drum
hab’ ich’s immer so gemeint: mein Jesus ist der beste Freund. schmoick.
208. Der kleine Friedensbote.
Ein Gerber und ein Bäcker waren einmal Nachbarn, und die gelbe und die
weiße Schürze vertrugen sich aufs beste. Wenn dem Gerber ein Kind geboren
wurde, hob es der Bäcker aus der Taufe, und wenn der Bäcker in seinem großen
Obstgarten an die Stelle eines ausgedienten Invaliden eines Rekruten bedurfte,
ging der Gerber in seine schöne Baumschule und hob den schönsten Mann aus,
den er darin hatte, eine Pflaume oder einen Apfel oder eine Birne oder eine
Kirsche, je nachdem er auf diesen oder jenen Posten, aus einen fetten oder magern
Platz gestellt werden sollte. An Ostern, an Martini und am heiligen Abende kam
1909 -
Leipzig
: Klinkhardt
- Autor: Weber, Hugo, Jütting, Wübbe Ulrich, Kühnel, Johannes
- Auflagennummer (WdK): 7
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
225
Manchmal ist die Uhr aufgezogen und will immer noch nicht gehen.
Dann rückt der Vater ein bißchen dran, dann geht sie wieder, wenn
sie aber gar keine Lust hat, dann muß sie zum Uhrmacher. Der kann
sie wieder in Ordnung bringen, und das ist gut.
Zeichnen verschiedener Uhren. Zeichnen des Zifferblattes mit einer
gewissen Genauigkeit.
Nacke, Der Uhrmacher. Sch 83.
\\2. Der Schneider.
Manches Rind ist schon mitgegangen, wenn der Vater sich einen
Anzug machen lassen wollte. Da wird erst der Anzugstoff ausgesucht,
entweder im Stoffgeschäft oder beim Schneider selbst. Dann wird Maß
genommen. Da muß der Vater die Zacke ausziehen, daß er in Hemds-
ärmeln dasteht. Nun hat der Schneider ein Bandmaß und mißt den
Rücken herunter und um die Brust herum und unr die bsüften und wie
lang die Beine sind und schreibt sich alles auf. Dann bestellt er den
Vater zur Anprobe auf die übernächste Woche.
vielleicht dürfen wir auch in seine Werkstatt hineinschauen. Da
sehen wir einen großen Tisch. Da wird der Anzugsstoff darauf gelegt
und in Stücke zerschnitten. Die müssen gerade so groß sein, wie es der
Schneider beim Vater gemessen hat.
Lin andermal sehen wir, wie ein Schneidergeselle auf dem Tische sitzt
und näht, sonderbar! Alle Leute sitzen auf Stühlen, nur die Schneider
sitzen auf dem Tische! Auch zwei Nähmaschinen hat der Schneider in
seiner Werkstatt stehen; die kennen die Rinder gleich, denn die Mutter
hat zu Lsause auch eine ähnliche.
Nun wird der Nock anprobiert. Aber er ist noch lange nicht
fertig, er hat bloß einen Ärmel und noch gar keine Rnöpfe. Und der
Schneider kommt mit einem Stück Rreide und mit einem Stecknadel-
kästchen, und manchmal nimmt er gleich vier Stück Nadeln mit der
Ruppe in den Mund. Nun fühlt er hierhin und dahin, ob alles
schön paßt, und dann steckt er zusammen und malt mit seiner Rreide
Striche auf den Rock. Auch den andern Ärmel zieht er so an, zupft
und steckt und malt, bis er zufrieden ist. wenn er ganz fertig ist, dann
sagt er „danke", nämlich weil der Vater so still gehalten hat.
Und eine Woche darauf hat der Schneiderlehrling den Anzug ge-
bracht. Da war er ganz fertig und sah fein aus, und der Vater will
ihn in der nächsten Zeit bloß Sonntags anziehen.
Zeichnen der gesehenen Werkzeuge.
poffmann, Die Heinzelmännchen. 0h ;o8. W 242.
2. Kopisch, Die Heinzelmännchen. (M \q.\. p so. V ^0.)
3. Nacke, Schneider und Schuhmacher. Sch 8;.
Iütting-lveber, Anschauungsunterricht und Heimatkunde. s3
1911 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: Günther, Fr., Tews, Joh., Hahn, R., Ernst, Albert
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mädchenmittelschule, Mädchenschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): Mädchen
Vzt< 21 C^Si r U^i< V£ü Czsü Cs^I* v^rii U^i
ihr gehöriges Futter?" „O," antwortete der Sohn, „die ist so satt,
sie mag kein Blatt." Der Schneider wollte sich darauf nicht verlassen,
ging hinab in den Stall und fragte: „Ziege, bist du auch satt?" Die
Ziege antwortete:
„Wovon sollt' ich satt sein?
Ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!"
„Der gottlose Bösewicht!" schrie der Schneider, „so ein frommes Tier
hungern zu lassen!" lief hinaus und schlug mit der Elle den Jungen
zur Haustüre hinaus.
Die Reihe kam jetzt an den dritten Sohn, der wollte seine Sache
gut machen, suchte Buschwerk mit dem schönsten Laube aus und ließ
die Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er: „Ziege,
bist du auch satt?" Die Ziege antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!"
„So komm nach Haus," sagte der Junge, führte sie in den Stall und
band sie fest. „Nun," sagte der alte Schneider, „hat die Ziege ihr
gehöriges Futter?" „O," antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie
mag kein Blatt." Der Schneider traute nicht, ging hinab und fragte:
„Ziege, bist du auch satt?" Das boshafte Tier antwortete:
„Wovon sollt' ich satt sein?
Ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!"
„O, die Lügenbrut!" rief der Schneider, „einer so gottlos und pflicht-
vergessen wie der andere! Ihr sollt mich nicht länger zum Narren
haben!" und vor Zorn ganz außer sich, sprang er hinauf und gerbte
dem armen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, daß er zum
Haus hinaussprang.
Der alte Schneider war nun mit seiner Ziege allein. Am andern
Morgen ging er hinab in den Stall, liebkoste die Ziege und sprach:
„Komm, mein liebes Tierlein, ich will dich selbst zur Weide führen."
Er nahm sie am Strick und brachte sie zu grünen Hecken und unter
Schafrippe und was sonst die Ziegen gerne fressen. „Da kannst du
dich einmal nach Herzenslust sättigen," sprach er zu ihr und ließ sie
weiden bis zum Abend. Da sprach er: „Ziege, bist du satt?" Sie
antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!"
1917 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Hrsg.: Kloss, Katharina, Porger, Gustav, Biastoch, Otto, Lemp, Eleonore
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mädchenmittelschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
172 07070707070707070707070? 0707070707 070?&/1&1
„Wovon sollt' ich satt sein?
Ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blüttelein; meh, meh!"
„Was muß ich hören!" rief der Schneider, lief hinauf und sprach zu
dem Jungen: „Ei, du Lügner sagst, die Ziege wäre satt, und hast sie
hungern lassen?" Und in seinem Zorne nahm er die Elle von der Wand
und jagte ihn mit Schlägen hinaus.
Am andern Tag war die Reihe am zweiten Sohn; der suchte an
der Gartenhecke einen Platz aus, wo lauter gute Kräuter standen, und
die Ziege fraß sie rein ab. Abends, als er heim wollte, fragte er:
„Ziege, bist du satt?" Die Ziege antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt; meh, meh!"
„So komm nach Haus!" sprach der Junge, zog sie heim und band sie am
Stalle fest. „Nun," sagte der alte Schneider, „hat die Ziege ihr gehöriges
Futter?" „O," antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag kein
Blatt." Der Schneider wollte sich darauf nicht verlassen, ging hinab in
den Stall und fragte: „Ziege, bist du auch satt?" Die Ziege antwortete:
„Wovon sollt' ich satt sein?
Ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blüttelein; meh, meh!"
„Der gottlose Bösewicht!" schrie der Schneider, „so ein frommes Tier
hungern zu lassen!" lief hinauf und schlug mit der Elle den Jungen
zur Haustür hinaus.
Die Reihe kam jetzt an den dritten Sohn; der wollte seine Sache
gut machen, suchte Buschwerk mit dem schönsten Laube aus und ließ die
Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er: „Ziege, bist
du auch satt?" Die Ziege antwortete:
„Ich bin so satt,
ich mag kein Blatt; meh, meh!"
„So komm nach Haus!" sagte der Junge, führte sie in den Stall und
band sie fest. „Nun," sagte der alte Schneider, „hat die Ziege ihr
gehöriges Futter?" „O," antwortete der Sohn, „die ist so satt, sie mag
kein Blatt." Der Schneider traute nicht, ging hinab und fragte: „Ziege,
bist du auch satt?" Das boshafte Tier antwortete:
„Wovon sollt' ich satt sein?
Ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blüttelein; meh, meh!"
1911 -
Elberfeld
: Bacmeister
- Autor: Schillmann, Otto, Schieferdecker, Carl
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Regionen (OPAC): Bergisches Land
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- 21 —
lieh man jedesmal den großen Kochtopf, wenn in der Familie
Reisbrei gekocht werden sollte. So verkehrten die Schleifers-
leute und die Heinzelmännchen lange Zeit wie gute Freunde mit
einander.
Einige Schleifer in Solingen hatten von diesen Dingen ge-
hört. „Ei," dachten sie, „da wollen wir uns auch einmal einen
Topf leihen." Sie gingen hin, und wirklich, die liebenswürdigen
kleinen Leute liehen den Topf. Aber, o weh! Die Solinger
Schleifer ließen keinen Brei im Topfe zurück, sondern brachten
diesen schmutzig wieder.
Da waren die Heinzelmännchen erbittert und riesen im Zorn:
„Zur Strafe für euren Geiz und eure Nichtsnutzigkeit sollt ihr
von nun an mit krummen Beinen herumlaufen." ' .
Was die Heinzelmännchen gewünscht, ging in Erfüllung.
Diefe undankbaren Solinger Schleifer sowie ihre Kinder und ^
Kindeskinder hatten sortan krumme Beine. 1
15. Wie ein listiger Schneider seine Seele rettete.
In dem Orte Wald bei Solingen wohnte einst ein Schneider.
Es war ein lustiger, fideler Mann. Schade nur, daß er nicht
gerne arbeitete. Viel lieber streifte er durch Feld und Wald oder
ließ sich im Wirtshause allerlei Neuigkeiten erzählen. Da er auf
diese Weise wenig verdiente, litten Weib und Kind daheim oft
bittere Not. Das tat dem Schneiderlein wohl leid, aber er
besserte sich nicht.
Eines Tages kehrte er wieder im Wirtshause ein. Da traf
er einen guten Bekannten, einen Jager. Dieser erzählte allerlei
wunderbare Geschichten und ließ dabei dem Schneider ein Glas
nach dem andern einschenken, als wenn sein Geld nie alle werden
könnte. Neugierig fragte ihn der Schneider: „Wie kommst du
zu all dem Reichtum?" „Ei, nichts ist einfacher als das," erwiderte
der Jäger, „ich habe mit dem Teufel einen Vertrag abgeschlossen.
Sieben Jahre muß mir der Teufel dienen und alle meine Wünsche
erfüllen, dann aber gehört ihm meine Seele. Kann er jedoch
einen Wunsch nicht erfüllen, oder schaffe ich ihm statt meiner
eine andere Seele, dann bin ich frei."
Der Schneider, der sehr gespannt zugehört hatte, sagte zu
dem Jäger: „Der Vertrag gefällt mir. Mach' mich mit dem
Teufel bekannt." Freudig brachte ihn der Jäger zum Teufel;
denn nun war er frei.
1912 -
Essen Berlin
: Bachmann Baedeker
- Hrsg.: ,, Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Die Berufswahl.
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eines Abends über mich in der Stube des Waldbauern abgehalten wurde.
Meine Mutter ging zu dem Geistlichen, Hülfe heischend, daß ich in die Studie
(zum Studieren) kommen könnte. Der Herr Dechant sagte ihr aber: „Laß
die Waldbäuerin das bleiben I Wenn der Bub' sonst keine Anzeichen für den
Priester hat, als daß er schwach ist, so soll er was anderes werden." Nun, so
ging denn meine Mutter vom Herrn Dechanten zum Schneidermeister: sie
hätte einen Buben, der möcht' Schneider werden. — Was ihn auf diesen
Gedanken brächte? — Weil er halt so schwächlich wäre. Stand der Meister
auf und sprach: „Ich will der Waldbäuerin nur sagen, daß der richtige
Schneider ein kerngesunder Mensch sein muß. Einmal das viele Sitzen,
nachher zur Feierabendzeit das weite Gehen über Berg und Tal und das
ganze Zeug mitschleppen wie der Soldat seine Rüstung. Dann die ver-
schiedene Kost: bei einem Bauer mager, beim andern feist, in einem Hause
lauter Mehlspeisen, im andern wieder alles von Fleisch, heut' nichts als
Erdäpfel und Grünzeug, morgen wieder alles Suppen und Brei. Und
red' ich erst von den unterschiedlichen Leuten, mit denen man sich abgeben
mußl Da eine brummige Bäuerin, der kein ordentlicher Zwirn feil ist, dort
ein Bauer, der mit seinen närrischen Späßen den Handwerker erheitern und
satt machen will. All' die Leut' soll der Schneider mit einem Maß messen.
Und was die Hauptsache ist: Kopf muß einer haben! Was an einem krummen,
buckeligen, einseitigen Menschenkinde verdorben ist, das soll der Schneider
wieder gut machen. Der Schneider muß aber nicht allein den Körper seines
Kunden, er muß auch, so zu sagen, sein ganzes Wesen erfassen, um ihm ein
Kleid zu geben, welches paßt. Und ebenso muß er den Stoff kennen, von
dem er den Anzug zu verfertigen hat. Manches Tuch dehnt sich, manches
kriecht zusammen; dieses hält Farbe, das andere schießt ab. Wer das vorher
nicht weiß, der macht ein Unding zusammen. Kurz, der Kleidermacher muß
Menschen- und Weltkenner sein (s. Nr. 171). Na, werd' ihn 'mal anschauen;
soll nächster Tage zum Alpelhofer kommen, dort wird er mich finden!"
2. So bin ich denn an einem Hellen Morgen hingegangen. Lange stand
ich auf dem Antrittstein der Haustür und dachte: „Wie wird es sein, wenn
ich wieder heraustrete?" Da ich in die Stube trat, saß der Meister am
Tische und nähte. Ich blieb an der Tür stehen. Er zog die Nadel auf und
nieder; nur die Wanduhr und mein Herz pochten. „Was willst du denn?"
fragte mich nach einer Weile der Meister. „Schneider werden möcht' ich halt
gern," antwortete ich zagend. — „So setz dichter, nimm Nadel und Zwirn
und nähe mir diesen Ärmling zusammen!" So tat ich; aber es ist leichter
gesagt als getan. Da staken im Kissen an die dreißig Nadeln aller Größen,
da lagen Zwirnknäuel verschiedener Feine und Farbe. Und die beiden Teile
des Ärmlings, wie werden sie zusammeugetan? Ich warf fragende Blicke
auf den Meister; aber der tat nicht, als wisse er mehr als ich. So hub ich
denn an, legte den Lodenstoff aufs Knie und machte einen Stich. Der Faden
schlüpfte durch; der erste Stich war mißlungen. Tief erglühend forschte ich
der Ursache nach und kam endlich darauf, daß von mir vergessen worden
war, an den Faden einen Knoten zu machen. Ich schlang also mit großer
Mühe ein Knötlein und nähte hierauf mit Erfolg, aber auch mit Hinder-
nissen. Es verwand und verdrehte sich der Zwirn; es staute sich die Nadel
am Finger; es verschob sich das Zeug und ließ sich mit jedem Zuge hoch in
die Lüfte ziehen; es riß sogar der Faden.
Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister