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1. Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen - S. 64

1913 - Leipzig : Hahn
64 schont bleiben. Doch wenn du mich wiederum durch meine Ge- hilfen einlädst, werde ich dich ohne Erbarmen mitnehmen.“ »Deine Gehilfen“, sprach jetzt Gottfried erleichtert, »kenne ich nicht, sonst würde ich sie fliehen, solange mir das Leben lieb ist.“ »da,“ versetzte der Jüngling unter schadenfrohem Ge- lächter, »die Menschenkinder fürchten den Tod, aber sie lieben seine Gehilfen; darum mache ich täglich reiche Beute. Doch du bist noch jung und unerfahren und sollst einst die Stütze deiner Eltern werden; deshalb will ich dich mit meinen Gehilfen bekannt machen.“ Gottfried hatte die Rechte um den dicksten Stamm des Holunderstrauches gelegt und seinen Blick mit Neugier und Angst auf den seltsamen Gast gerichtet. Am westlichen Himmel glänzte das Abendrot in purpurnem Schimmer, und in der dicht- belaubten Gartenhecke sang ein Vöglein sein letztes Lied. »Dein Bruder, um den du eben trauerst,“ begann der Tod, »wagte sich auf die dünne Eisdecke des tiefen Weihers; er brach ein und wurde meine Beute, während du laut schreiend am Ufer standest. Dein bester Spielgenosse, dessen frischer Grabhügel noch feucht ist von deinen Tränen, erkletterte die höchsten Bäume; er tat einen Fehlgriff, der morsche Ast gab nach, und — der jugendfrische Knabe lag in meinen Armen. Unvorsichtigkeit, Leichtsinn und Übermut waren meine Gehilfen, die mir zwei blühende Menschenleben vor der Zeit zuführten. Und wo immer die Jugend spielt und tollt, da sind meine Helfershelfer tätig. Sie lauern an dem kühlen Flusse und an der klaren Quelle, um das erhitzte Kind zum Bade oder Trünke zu verleiten; sie stehen an den steilen Abhängen der Berge und neben den Gerüsten der Neubauten; sie umschweben den schaukelnden Kahn und den dahinrollenden Wagen. Und kann auch der frevelhafte Leichtsinn nicht ganz sein Werk vollbringen, so macht er doch den einen zum Krüppel oder bringt dem andern Fieber und Siechtum, so daß sie vor der Zeit dahinsterben.“ Gottfried blickte bei diesen Worten beschämt zu Boden und sagte kein Wort; der Tod aber fuhr fort: »Auch die Unrein- lich k e i t ist meine Gehilfin. Sie duldet den Schmutz an Kleidern und Betten und scheut das Wasser wie ein toller Hund. Die wiederholte und gründliche Reinigung des Körpers durch kalte Abwaschungen oder Bäder kann sie nicht ausstehen, und das Fegen und Schrubben in den Wohnräumen ist ihr verhaßt. Sie verhindert auch das tägliche Lüften der Wohn- und Schlaf- zimmer, damit die Menschen statt der reinen, belebenden Luft stinkende Dünste einatmen.“ »Jetzt weiß ich auch,“ versetzte der Knabe, »weshalb du bei ansteckenden Krankheiten besonders in den unsauberen Häusern und dumpfen Wohnungen die reichste

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1. Bd. 1 - S. 111

1873 - Köln : Schwann
— 111 — geriet*). Der ungewohnte, glühend heiße Himmelsstrich dieses Landes vermehrte noch das Glend. Die oonrte schoß ihre brennend heißen Strahlen auf die blanken Nüstungen der Pilger hinab, so daß diese unter denselben ersticken Zu müssen glaubten. Biele sanken ermattet zu Boden, jede Tagereise kostete Hunderten von Menschen das Leben. Die Pferde fielen um itrtb viele jiittcr oe-stiegen Ochsen und andere Lastthiere. Eines Tages wurde zur allgemeinen Bestürzung der Herzog Gottfried schwer verwundet ins Lager getragen. Er war mit einigen Begleitern zur Jagd geritten, cie streiften durch die Schluchten und Wälder umher, bis auf einmal Gottfried mitten int Dickicht das Wehgeschrei eines Menschen vernahm. Er eilte hinzu und fand einen armen Pilger, der ausgegangen war, Holz zu sammeln und von einem mächtigen Bären bedroht wurde. Logleich spornte Gottfried sein Pferd auf das gewaltige Thier, das brummend von seiner Beute abließ, um sich <xu| Gottfried zu stürzen. Mit aufgesperrtem Rachen kan: es heran. Gottfried holte zu einem mächtigen Schlage mit dem Schwerte aus; aber der Bär wich auf die Seite, faßte dann mit seiner Tatze die Kleider des Herzogs und riß ihn mit einem gewaltigen Rucke vom Pferde.^ Schon ioar der Bär bereit, ihn in feine ^atze zu schließen und an seiner Brust zu erdrücken, als Gottfried sich aufraffte und dein Bären das Schwert in die Brust stieß. Aber der Bär, welcher durch seine Schmerzen noch wüthender geworden war, siel von neuem über Gottfried her. Des Herzogs Kräfte schwanden immer mehr und mehr in dem grausigen Kampfe. In diesem Augenblicke erschien durch das Geschrei des Pilgers einer der Jagd genossen, sprang yoin Pferde und durchbohrte mit seiner Lanze die Brust des gewaltigen Thieres. Aber der Herzog sank von Anstrengung, Schmerz und Blutverlust ermattet zusammen. Seine Gefährten luden ihn auf eine Tragbahre von Zweigen und brachten ihn unter den Wehklagen der Männer in fein Zelt. Die Kreuzfahrer sahen erst nach mehreren Wochen den geliebten Herzog wieder an der Spitze des Heeres.

2. Teil 2 - S. 146

1887 - Hannover : Helwing
146 Mittlere Zeit. Ausführung eines neuen Sturmes auf. Da erblickten die begeisterten Streiter auf dem Olberge einen Ritter in weißen Kleidern, der einen blitzenden Schild schwenkte. „Gott will es! Gott will es!" schallte es durch die Reihen, und mit erneuter Heftigkeit stürmte das Heer gegen die Mauern. Die äußere ward erstiegen; gegen die innere rückte der Belagerungsturm, in welchem Herzog Gottfried mit wenigen Begleitern sich befand, näher und näher. Die Zugbrücke siel, und Gottfried betrat mit zwei Begleitern zuerst die Mauer; sein Schwert schuf den Nach-1aüq drängenden freie Bahn. Das nächste Thor ward gewonnen, und mit luyy dem Rufe: „Gott will es! Gott will es!" stürmten die Kreuzfahrer in die Stadt. Entsetzlich waren die Greuelthaten, welche dieselben in der eroberten Stadt verübten. Die ganze Nacht hindurch wurde gemordet; über die Treppenstufen der Moschee Omars rieselte das Blut; viele Juden fanden in der Synagoge, wohin sie sich geflüchtet hatten, durch die Flammen ihren Untergang. Man metzelte alle Ungläubigen, die man fand, ohne Gnade nieder, oder marterte sie auf qualvolle Weise zu Tode und schonte nicht einmal der Säuglinge. Von den 70 000 Einwohnern der Stadt blieben nicht einmal so viele übrig, als nötig waren, die Getöteten zu beerdigen. So viel Macht Gottfried auch über das Heer besaß, er war nicht imstande, der Mordgier Einhalt zu thun. Er steckte sogleich nach Eroberung der Stadt sein Schwert in die Scheide; als er die anderen nicht dazu bewegen konnte, legte er ein härenes Gewand an, ging barfuß mit einigen Gefährten in die Kirche des heiligen Grabes und sank zu inbrünstigem Gebete nieder. Nach und nach füllte sich die Kirche. Dieselben Krieger, welche alle Greuel verübt hatten, reinigten sich vom Blute und zogen als Büßende barfuß und mit entblößtem Haupte in die Auferstehungskirche, um Gott zu danken und Buße zu geloben. Nach drei Tagen ergab sich die kleine Besatzung der Burg und erhielt freien Abzug. Dies verdroß das Kreuzheer, uno die Fürsten vermochten es nur dadurch zu beschwichtigen, daß sie alle noch am Leben erhaltenen Ungläubigen seiner Mordgier preis gaben. Das himmelschreiende Verfahren der Kreuzfahrer in Jerusalem erfüllte die ganze mohammedanische Welt des Ostens mit Wut und Verachtung. Um das Gewonnene in der Mitte feindlicher Völker zu erhalten, beschloß man, in Jerusalem ein christliches Reich unter einem Könige zu errichten. Die Wahl fiel auf Gottfried. Er lehnte aber die ihm zugedachte Würde mit den Worten ab: „Wo mein Heiland eine Dornenkrone getragen, will ich keine Königskrone tragen!" Doch nahm er die Bürde des ihm zugedachten Amtes auf sich und nannte sich „Beschützer des heiligen Grabes." Schon einen Monat nach der Eroberung Jerusalems rückte ein starkes Saracenenheer gegen die Stadt. Gottfried schlug dasselbe und rettete dadurch das junge Reich. Doch schon im folgenden Jahre erlag der edle Held den ungeheuren Anstrengungen. Sein Bruder Balduin von Edessa folgte ihm; er nannte sich König von Jerusalem und führte die fränkische Lehnsverfassung ein. Das Königreich

3. Viertes, fünftes und sechstes Schuljahr - S. 15

1912 - Halle a.S. : Schroedel
15 13. Bei der Großmutter. (Gottfrieds Vater ist der Vorsteher der Vrüdergemeine in Herrenfeld. Die Familie wohnt erst kurze Zeit in der neuen Heimat, die Großmutter, deren Liebling der neun- jährige Gottsricd ist, hat sich eine eigne Wohnung in ziemlicher Entfernung vom Vor- steherhause geinietet. Nach längerem Sträuben willigen die Eltern ein, daß Gottfried zur Großmutter zieht; Mittag- und Abendbrot soll er mit der Großmutter im Eltern- hause einnehmen.) 1. Gottfried siedelte zu seiner größten Freude in das Haus der Groß- mutter über. Dieses lag am Westende des Ortes im letzten Haus der neuen Gasse. Auf zwei Seiten stieß es an Gärten und Wiesen des angrenzenden Dorfes Leipa. Schon nach wenigen Tagen begann Gottfried den großen Garten, der zu Großmutters Haus gehörte, zu burchwandeln und weiterhin die Hecke, den Bretterzaun und eine alte, sehr abgenutzte Laube einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Durch ein ziemlich großes Guckloch in der Laube, das sich vielleicht durch emsige Arbeit auch zu einem Schlupfloch erweitern ließ, beherrschte man den ganzen linken Nachbargarten, in dem es nebenbei zahme Kanin- chen gab. In der Hecke hatte sich ferner eine halb verwachsene Lücke auffinden lassen, durch die man bei einiger Gewandtheit in den schönen, freien Hühner- hof des rechts gelegenen Bauerngutes kriechen konnte. Und im Bretterzaun endlich ließ sich ein wackliges Brett so merkwürdig verschieben, daß man ganz prächtig hindurchhuschen und auf eine weite Roßweide gelangen konnte, die aus drei Seiten mit hohen, breiten Mauern umgeben war. Überhaupt diese Mauern! Auf ihnen konnte man ganz bequem einherspazieren. Es war herrlich! Besonders aufregend war der Genuß dieses Lustwandelns, wenn ein oder gar zwei mutwillige Fohlen auf der Weide umhergaloppierten, die der Zuschauer ganz weidlich necken konnte, ohne dabei Gefahr zu laufen, von ihren Husen zerstampft zu werden. 2. Doch die verschwiegenen Herrlichkeiten der großmütterlichen Re- sidenz waren noch nicht zu Ende. Es gab neben dem Garten noch einen Schweinestall mit drei ganz richtigen Ferkeln, die in ihrer rosigen Appetit- lichkeit Gottfried nichts weniger als ferkelhaft, sondern höchst anmutig erschienen. Und zehn Schritt weiter fand sich schließlich auch eine Hundehütte, deren rechtmäßiger Bewohner, ein großer, biederer Plöter von sonderbarer Art, einem in der Mansardenwohnung hausenden Nachtwächter zugehörte. Mit ünurps, so hieß der Hund, ließ sich vor der Hand noch keine per- sönliche Freundschaft schließen, da man sich leider zu wenig kannte. Immer- hin betrachtete man sich gegenseitig einstweilen mit großer Teilnahme, ja bald mit einem offenbaren Wohlgefallen, das mit Winken auf der einen,

4. Teil 2 - S. 20

1889 - : Velhagen & Klasing
20 Und dann rühmst du dich ja, du hattest nun dich gedulden und entbehren gelernt. •— Pfui, Gottfried!" Gottfried schämte sich ein wenig und hielt sich von nun an selbst Wort! Nur des Sonntags nahm er einen Apfel. 5. Auch diese sechs Äpfel waren gegessen. Des nächsten Sonntags nachher sah Gottfried auf das Gesimse, aber es war leer; kein schöner Apfel stand darauf. „Mutter," fragte der Knabe, „Herr Hartmann hat wohl keine Äpfel mehr gegeben?" „Nein, mein Sohn," antwortete die Mutter, „die Äpfelzeit ist nun vorüber; länger halten sie sich nicht leicht." Gottfried war doch ein wenig betrübt, die liebe Gewohnheit aus einmal aufgeben zu müssen, jeden Sonntag einen Apfel zu haben. Die Mutter merkte bald, wo es ihm fehlte. „Du mußt das Entbehren wohl noch nicht recht gelernt haben," sagte sie zu ihm; „du bist ja nicht aufgeräumt." Da nahm sich Gottfried zusammen und war in wenigen Minuten eben so vergnügt als sonst. 6. Gottfried wurde ein Mann. Er lernte die Menschen kennen, die sehr übel sich befanden, wenn sie etwas nicht kaufen konnten, was sie gerne gehabt hätten; die sehr mißvergnügt waren, wenn sie ein Ver- gnügen aufgeben mußten, bei dem sie gern gewesen wären, wenn sie ihre gewöhnliche Erholungszeit nicht haben konnten, wenn ihre Mahlzeit ein wenig schlechter ausfiel, als sie gewünscht hatten — Leute, die bei jeder Kleinigkeit, die ihnen fehlschlug, einen bösen Tag hatten. Gottfried, der nun selbst vielfältig einsehen lernte, wie oft es im Leben vorfällt, daß man seine Wünsche unbefriedigt lassen muß, bedauerte diese Leute, und seine Äpfel fielen ihm ein. Es ist doch eine schöne Kunst, entbehren zu können, dachte er bei sich selbst; denn es giebt so viel Leute, die sie nicht können! Freilich hatte sie Gottfried auch nicht allein an den Äpfeln gelernt — aber er hatte doch mit diesen den Anfang gemacht; und es ist immer gut, den Anfang recht früh zu machen. Gottfried hätte nur noch einige Jahre älter werden sollen, da würde der Anfang ihm viel schwerer ge- worden sein.

5. Viertes, fünftes und sechstes Schuljahr - S. 15

1910 - Halle a.S. : Schroedel
15 13. Bei der Großmutter. (Gottfrieds Vater ist der Vorsteher der Brüdergemeine in Herrenfeld. Die Familie wohnt erst kurze Zeit in der neuen Heimat, die Großmutter, deren Liebling der neun- jährige Gottfried ist, hat sich eine eigne Wohnung in ziemlicher Entfernung vom Vor- steherhause gemietet. Nach längerem Sträuben willigen die Eltern ein, daß Gottfried zur Großmutter zieht; Mittag- und Abendbrot soll er mit der Großmutter im Eltern- hause einnehmen.) 1. Gottfried siedelte zu seiner größten Freude in das Haus der Groß- mutter über. Dieses lag am Westende des Ortes im letzten Haus der neuen Gasse. Auf zwei Seiten stieß es an Gärten und Wiesen des angrenzenden Dorfes Leipa. Schon nach wenigen Tagen begann Gottfried den großen Garten, der zu Großmutters Haus gehörte, zu ourchwandeln und weiterhin die Hecke, den Bretterzaun und eine alte, sehr abgenutzte Laube einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Durch ein ziemlich großes Guckloch in der Laube, das sich vielleicht durch emsige Arbeit auch zu einem Schlupfloch erweitern ließ, beherrschte man den ganzen linken Nachbargarten, in dem es nebenbei zahme Kanin- chen gab. In der Hecke hatte sich ferner eine halb verwachsene Lücke auffinden lassen, durch die man bei einiger Gewandtheit in den schönen, freien Hühner- hof des rechts gelegenen Bauerngutes kriechen konnte. Und im Bretterzaun endlich ließ sich ein wackliges Brett so merkwürdig verschieben, daß man ganz prächtig hindurchhuschen und auf eine weite Roßweide gelangen konnte, die auf drei Seilen mit hohen, breiten Mauern umgeben war. Überhaupt diese Mauern! Auf ihnen konnte man ganz bequem einherspazieren. Es war herrlich! Besonders aufregend war der Genuß dieses Lustwandelns, wenn ein oder gar zwei mutwillige Fohlen auf der Weide umhergaloppierten, die der Zuschauer ganz weidlich necken konnte, ohne dabei Gefahr zu laufen, von ihren Husen zerstampft zu werden. 2. Doch die verschwiegenen Herrlichkeiten der großmütterlichen Re- sidenz waren noch nicht zu Ende. Es gab neben dem Garten noch einen Schweinestall mit drei ganz richtigen Ferkeln, die in ihrer rosigen Appetit- lichkeit Gottfried nichts weniger als ferkekhaft, sondern höchst anmutig erschienen. Und zehn Schritt weiter fand sich schließlich auch eine Hundehütte, deren rechtmäßiger Bewohner, ein großer, biederer Köter von sonderbarer Art, einem in der Mansardenwohnung hausenden Nachtwächter zugehörte. Mit Knurps, so hieß der Hund; ließ sich vor der Hand noch keine per- sönliche Freundschaft schließen, da man sich leider zu wenig kannte. Immer- hin betrachtete man sich gegenseitig einstweilen mit großer Teilnahme, ja bald mit einem offenbaren Wohlgefallen, das mit Winken auf der einen,

6. Teil 2 = 4., 5. u. 6. Schulj - S. 15

1912 - Halle a.S. : Schroedel
15 13. Bei der Großmutter. (Gottfrieds Vater ist der Vorsteher der Vrüdergemeine in Herrenfeld. Die Familie wohnt erst kurze Zeit in der neuen Heimat, die Großmutter, deren Liebling der neun- jährige Gottfried ist, hat sich eine eigne Wohnung in ziemlicher Entfernung vom Bor- steherhause gemietet. Nach längerem Sträuben willigen die Eltern ein, daß Gottfried zur Großmutter zieht; Mittag- und Abendbrot soll er mit der Großmutter im Eltern- hause einnehmen.) 1. Gottfried siedelte zu seiner größten Freude in das Haus der Groß- mutter über. Dieses lag am Westende des Ortes im letzten Haus der neuen Gasse. Aus zwei Seiten stieß es an Gärten und Wiesen des angrenzenden Dorfes Leipa. Schon nach wenigen Tagen begann Gottfried den großen Garten, der zu Großmutters Haus gehörte, zu vurchwandeln und weiterhin die Hecke, den Bretterzaun und eine alte, sehr abgenutzte Laube einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Durch ein ziemlich großes Guckloch in der Laube, das sich vielleicht durch emsige Arbeit auch zu einem Schlupfloch erweitern ließ, beherrschte man den ganzen linken Nachbargarten, in dem es nebenbei zahme Kanin- chen gab. In der Hecke hatte sich ferner eine halb verwachsene Lücke auffinden lassen, durch die man bei einiger Gewandtheit in den schönen, freien Hühner- hof des rechts gelegenen Bauerngutes kriechen konnte. Und im Bretterzaun endlich ließ sich ein wackliges Brett so merkwürdig verschieben, daß man ganz prächtig hindurchhuschen und auf eine weite Roßweide gelangen konnte, die auf drei Seiten mit hohen, breiten Mauern umgeben war. Überhaupt diese Mauern! Auf ihnen konnte man ganz bequem einherspazieren. Es war herrlich! Besonders aufregend war der Genuß dieses Lustwandelns, wenn ein oder gar zwei mutwillige Fohlen auf der Weide umhergaloppierten, die der Zuschauer ganz weidlich necken konnte, ohne dabei Gefahr zu laufen, von ihren Hufen zerstampft zu werden. 2. Doch die verschwiegenen Herrlichkeiten der großmütterlichen Re- sidenz waren noch nicht zu Ende. Es gab neben dem Garten noch einen Schweinestall mit drei ganz richtigen Ferkeln, die in ihrer rosigen Appetit- lichkeit Gottfried nichts weniger als ferkelhaft, sondern höchst anmuttg erschienen. Und zehn Schritt weiter fand sich schließlich auch eine Hundehütte, deren rechtmäßiger Bewohner, ein großer, biederer Köter von sonderbarer Art, einem in der Mansardenwohnung hausenden Nachtwächter zugehörte. Mit Knurps, so hieß der Hund, ließ sich vor der Hand noch keine per- sönliche Freundschaft schließen, da man sich leider zu wenig kannte. Immer- hin betrachtete man sich gegenseitig einstweilen mit großer Teilnahme, la bald mit einem offenbaren Wohlgefallen, das mit Winken auf der einen,

7. Theil 2 - S. 19

1827 - Leipzig : Fleischer
19 während sich sterbende Mütter neben den Leichnamen ihrer Säuglinge auf dem glühenden Boden walzten, und Hunde ver- gebens keuchend nach einer Quelle auf den Feldern umherliefen. Endlich traf das Heer auf einen Fluß. Ein Schrei des Ent- zückens benachrichtigt auch die Zurückgebliebenen von dem köst- lichen Funde, und augenblicklich stürzen Alle, die letzten Kräfte zusammenraffend, zum Flusse hinab, den brennenden Durst zu lö- schen; viele aber finden durch das Uebermaß ihren Tod. Noch ehe das Heer Klein-Asien verließ, hatte es beinahe den trefflichen Bouillon eingebüßt. Cr ritt eines Tages, nur halbbewaffnet, mit mehreren Gefährten in einem tiefen, dun- keln Wald, um zu jagen. Der erquickenden Kühle nachge- hend , verirrt er sich von denselben, und hört nun plötzlich einen ängstlichen Hülferuf. Ec eilt der Stimme nach, und findet einen Kreuzsoldaten, der von einem großen, schwarzen Bären angefallen ist, und mit ihm auf Tod und Leben kämpft. Gottfried zieht schnell das Schwert, und greift das Unthier an. Dieses aber läßt nun seine erste Beute fahren, fällt den mannhaften Ritter an, springt an ihm hinauf, und reißt Roß und Mann zu Boden. Mit ungeheuren Tatzen umklammert es ihn, und Gottfried scheint verloren. Plötzlich aber rafft er sich auf, reißt sich los aus der gräßlichen Umarmung, und rennt ihm das Schwert in den Leib. Unglücklicherweise aber ist der Stoß nicht tödtlich. Der Bär, durch die Verwundung noch wüthender gemacht, haut seine Tatzen aufs neue dem Ritter in das Fleisch; der Kampf wird immer heftiger und hoffnungsloser; Gottfrieds Kräfte schwinden mehr und mehr; athemlos sieht ec den Augenblick sich nähern, wo er eine Beute des Ungeheuers werden muß. Da sprengt einer der Iagdgefährten, durch das Geschrei und Gebrüll herbeigerufeu, herzu, und stürzt das Thier endlich zu Boden. Aber Gottfried war so ermattet und zerfleischt, daß man ihn auf einer eilig aus Zweigen bereiteten Trage ins Lager tragen mußte, und er erst nach mehreren Wochen wieder das Pferd besteigen konnte. Jetzt hatten die Kreuzfahrer das Ende Klein-Asiens er- reicht, und wendeten sich rechts nach Syrien, dessen Hauptstadt A n t i o ch j a war. Nachdem Bohemund sich der Stadt E d e s fa 2 #

8. Mittlere und neue Geschichte bis 1648 - S. 55

1883 - Hannover : Helwing
Die Kreuzzüge. 55 Sonnenhitze und in der baumlosen Gegend mangelte es bald an Wasser. Zufällig entdeckte man in der Nähe Bethlehems ein kleines Gehölz, und eine genuesische Flotte brachte nach Joppe, am Mittelmeere, Lebens- mittel und tüchtige Werkmeister mit Zimmergeräten. Als nun zwei ägyptische Boten 'aussagten, in 14 Tagen werde ein ägyptisches Heer züm Entsätze der Stadt heranrücken, beschloß man den Sturm. Das ge- samte Hee/ machte barfuß eine feierliche Bitt- und Bußfahrt nach dem Ölberge, dann wagte es am 14. Juli einen allgemeinen Sturm, der aber mutig zurückgeschlagen wurde. Am nächsten Tage stellte sich das Heer zur Ausführung eines neuen Sturmes auf. Da erblickten die be- geisterten Streiter auf dem Ölberge einen Ritter in weißen Kleidern, der einen blitzenden Schild schwenkte. „Gott will es! Gott will es!" schallte es durch die Reihen, und mit erneuter Heftigkeit stürmte das Heer gegen die Mauern. Die äußere ward erstiegen; gegen die innere rückte der Belagerungsturm, in welchem Herzog Gottfried mit wenigen Begleitern sich befand, näher und näher. Die Zugbrücke fiel, und Gottfried betrat mit zwei Begleitern zuerst die Mauer; sein Schwert schuf den Nach- drängenden freie Bahn. Das nächste Thor ward gewonnen, und mit dem Rufe: „Gott will es! Gott will es!" stürmten die Kreuzfahrer in die Stadt. (15. Juli 1099.) Entsetzlich waren die Greuelthaten, welche 1099 die Kreuzfahrer in der eroberten Stadt verübten, erhitzt durch die Ent- behrungen aller Art und den langen Kampf auf Leben und Tod. Die ganze Nacht hindurch wurde gemordet; über die Treppenstufen der Moschee Omars rieselte das Blut; viele Juden fanden in der Synagoge, wohin sie sich geflüchtet hatten, durch die Flammen ihren Untergang. Man metzelte alle Ungläubigen, die man fand, ohne Gnade nieder, oder marterte sie auf qualvolle Weise zu Tode und schonte nicht einmal der Säuglinge. So viel Macht Gottfried auch über das Heer besaß, er war nicht imstande, dem Morden Einhalt zu thun. Er war der Erste, welcher gleich nach Eroberung der Stadt fein Schwert in die Scheide steckte. Als er die anderen nicht dazu bewegen konnte, legte er ein härenes Gewand an, ging barfuß mit einigen Gefährten in die Kirche des heiligen Grabes und sank zu inbrünstigem Gebete nieder. Nach und nach füllte sich die Kirche. Dieselben Krieger, welche alle Greuel verübt hatten, reinigten sich vom Blute und zogen als Büßende barfuß und mit entblößtem Haupte in die Auferstehungskirche, um Gott zu danken und Buße zu geloben. Nach drei Tagen ergab sich die kleine Besatzung der Burg und erhielt freien Abzug. Dies verdroß das Kreuzheer, und die Fürsten vermochten es nur dadurch zu beschwichtigen, daß sie alle noch am Leben erhaltenen Ungläubigen seiner Mordlust preisgaben. Das himmelschreiende Verfahren der Kreuzfahrer in Jerusalem erfüllte die ganze muhamedanische Welt des Ostens mit Wut und Verachtung. g. Das Königreich Jerusalem. Um das Gewonnene in der Mitte feindlicher Völker zu erhalten, beschloß man, in Jerusalem ein christ- liches Reich unter einem Könige zu errichten. Die Wahl siel auf Gott- fried. Er lehnte aber die ihm zugedachte Würde mit den Worten ab: „Wo mein Heiland eine Dornenkrone getragen, will ich keine Königs- krone tragen!" Doch nahm er die Bürde des ihm zugedachten Amtes auf sich und nannte sich Beschützer des heiligen Grabes. Schon einen Monat nach der Eroberung Jerusalems rückte ein starkes Saracenenheer gegen die Stadt. Gottfried schlug dasselbe und rettete dadurch das junge Reich. Doch schon im folgenden Jahre erlag der edle Held den ungeheuren Anstrengungen. Sein Bruder Balduin

9. Kleines Lehrbuch der Erdbeschreibung und Geschichte - S. 109

1821 - Magdeburg : Rubach
Kurze Uebersicht d. Geschichte d. europ. Völker. 109 war, daß alles Volk niederfiel auf die Kniee und Gott pries, der ihnen diesen Tag der Freude sehen gelassen hatte. Dann wollten Alle losstürmen auf die Stadt und das Werk an diesem Tage vollenden. Der besonnene Gottfried nur hielt sie davon ab; denn das Heer war ermüdet vom Marsche, die Stadt aber fest und von vielen Türken besetzt. Man stieg deßhalb in die Ebene herab und bereitete dort die Belagerung vor. Nach der damaligen Art, den Krieg zu führen, wurden vor allen Thürme erbauet, die man auf Walzen an die Mauern der feindlichen Stadt schob. Mit diesen Anstalten gingen mehre Wochen hin. Endlich den 14. Juli wurde beschlossen, die Stadt zu erstürmen. Es mißlang; doch wurde der Sturm am folgenden Tage wiederholt. Gott- fried war der Erste, welcher in die Stadt sprang; ihm folgten mehre wackere Ritter und am Abend war die Stadt in den Händen der Christen, welche Gott durchwein „Herr Gott dich loben wir" für den Sieg dankten. Aber ach in welchem Zustande war die Stadt! Auf den Straßen floß das Blut in Strömen, überall hörte man das Röcheln der Sterbenden, die Seufzer der Verwundeten! Wahr- lich der Sieg war theuer erkauft, durch manches Menschenleben! Gottfried soll König von Jerusalem seyn! Das sagten Alle Kreuzfahrer, als die Ruhe einiger Maßen wieder hergestellt war. Denn wer hatte die Verdienste des Edlen verkennen mögen! Das wahre Verdienst aber ist bescheiden, und rühmet sich nicht vor den Leuten des Guten/ das es voll- bracht hat. Es will nicht glanzen, sondern nur Gutes thun, so lange es noch Kräfte dazu hat. Also auch der fromme Gottfried. „Wie könnte ich, sagte er, hier eine Krone tragen, wo der Heiland in seiner Niedrigkeit wandelte und nur eine Dor- nenkrone trug, die ihm der Hohn seiner Feinde gab?" Und wie auch Alle ihn bestürmten die dar- gebotene Krone anzunehmen, Gottfried blieb seinen Grundsätzen getreu und nannte sich nur einen B e«

10. Theil 2 - S. 116

1880 - Stuttgart : Heitz
116 «mittlere Geschichte. 3. Periode. Kreuzzüge. einen Kreuzsoldaten, der beim Holzhauen von einem'grimmigen Bär überfallen worden war. Ohne sich zu besinnen, geht er dem Ungethüme mit dem Schwerte zu Leibe; sogleich läßt der Bär den Soldaten los und fällt über Gottfried her. Dieser verwundete ihn mit dem Schwerte, aber ohne ihn zu todten. Durch die Wunden noch wüthender gemacht, stürzt sich das wilde Thier auf ihn, umklammerte ihn mit seinen Vordertatzen und reißt ihn vom Pferde zu Boden. Mit ungeheurer Kraft macht sich zwar der Held aus der entsetzlichen Umarmung los und rennt dem Thier sein Schwert in die Seite. Aber auch hiervon noch nicht todt, greift ihn der Bär von neuem an, zerfleischt ihm den einen Schenkel und kaum ist Gottfried, nun schon ermattet, noch im Stande, das Ungeheuer von sich abzuwehren. Zum Glück kommt eben in der höchsten Noth ein Ritter herangesprengt, herbeigerufen von dem Hülferuf des Soldaten und dem Brüllen des Thieres, dem nun der Rest gegeben wird. Aber Gottfried war so erschöpft von Angst, Anstrengung und Blutverlust, daß er auf einer Trage ins Lager zurückgebracht werden mußte. Endlich hatten die Kreuzfahrer Klein-Asien durchzogen und wendeten sich rechts nach Syrien. Da stellte sich ihnen eine große Stadt dar, Antiochia hieß sie. Im ersten Rausche des Muthes schwuren sie, sie nicht unerobert hinter sich lassen zu wollen. Aber die Mauern waren so dick und so fest, und der Feind darin so hartnäckig und kriegerisch, daß die Kreuzfahrer weit über ein halbes Jahr davor liegen mußten. Da zeigte sich nun schon wieder all das grenzenlose Elend, welches Hunger, Beschwerde jeder Art, Seuchen und Sinnlosigkeit hervorzubringen vermögen. Die heilige Schwärmerei, welche die Kreuzfahrer bei Clermont gezeigt hatten, war verschwunden und alle hatten längst schon den Gedanken, das Kreuz genommen zu haben, verwünscht. Mit welcher Sehnsucht dachten nicht die meisten an die behagliche Ruhe, niifber sie daheim bei Weib und Kindern sich gepflegt hatten! Diese Unlust zeigte sich selbst bei einigen der Fürsten,, und man muß sich wundern, wenn man sieht, wie diese Leute, statt durch Einigkeit sich die Beschwerden leichter zu machen, sich beneideten, ja manchmal feindlich behandelten und dadurch die Eroberung des heiligen Grabes verzögerten. Nur Gottfrieds große Seele war über die kleinlichen Leidenschaften weit erhaben. Unter denen, die im Lager verdrießlich umherschlichen, war auch Kukupeter. Er hatte sich längst weggesehnt; auch verdroß es ihn, daß man so wenig Kenntniß von ihm nahm und ihn

11. Fünfzehn Bilder aus der deutschen Geschichte - S. 44

1891 - Düsseldorf : Bagel
44 4. Jerusalem wird erobert. Die Kreuzfahrer setzten nun unter grosser Beschwerde den Weg nach Jerusalem fort. Fast drei Jahre waren sie schon unterwegs, und viele Tausende waren durch die Beschwerden der Reise, durch Krankheiten oder durch das Schwert der Türken dahingerafft. Endlich — am 5. Juni 1099 — kamen die Übriggebliebenen an ihrem Ziele an. Als sie die heilige Stadt vom Ölberge aus so im Glanze der Abendsonne vor sich liegen sahen, da fielen alle nieder auf die Kniee, dankten Gott und küssten den Boden. „Jerusalem, Jerusalem!“ ertönte es von allen Seiten. Allein die Eroberung kostete doch noch manchen harten Kampf. Denn die Stadt war mit festen Mauern umgeben und wurde durch ein starkes Türkenheer verteidigt. Von den Kreuzfahrern waren aber nur noch 20 000 Mann übriggeblieben. Aber durch ihre Begeisterung gewannen sie doch zuletzt den Sieg. Es war am 14. Juli, an einem Donnerstag, als endlich die Türken nachgeben mussten und die Kreuzfahrer unter dem Rufe: „Gott will es, Gott will es!“ in die Thore der heiligen Stadt drangen. Aber kaum sollte man sie „Christen“ nennen, die in die Stadt drangen, so furchtbar war das Blutbad, das sie unter den Einwohnern Jerusalems anrichteten. Männer und Frauen, Greise und Kinder — alles wurde niedergemetzelt, das Blut rann in den Strassen. Gottfried wusste nichts von diesen Greueln. Gleich nach der Einnahme der Stadt war er zur Kirche des heiligen Grabes gegangen und hatte Gott im heissen Gebet dort für den Sieg gedankt. Auch die Sieger erwachten bald wieder von ihrer Mordgier, thaten Busse und reinigten sich vom Blute der Erschlagenen. Am folgenden Sonntage wallfahrteten alle zum heiligen Grabe, um dort dem Herrn zu danken. 5. Gottfrieds Ende. Die Kreuzfahrer wählten nun Gottfried zu ihrem Könige; aber der fromme Herzog sprach: „Sollte ich da eine goldene Krone tragen, wo mein Herr und Heiland eine Dornenkrone getragen hat?“ Nicht König nannte er sich, sondern „Beschützer des heiligen Grabes“. Doch schon im folgenden Jahre starb Gottfried, und nun nannte sein Bruder sich „König von Jerusalem“.

12. (Für das 2. und 3. Schuljahr) - S. 270

1910 - Leipzig [u.a.] : Klinkhardt
270 ctm Gstseestrande. Kirschbaum. Huf demselben fanden die Eltern den Knaben gar oft in der Bibel lesen. Einmal fiel er von seinem Baum herunter,' seit der Zeit pflegte er sich zur Beruhigung der Eltern mit einem Kiemen an dem Baume festzuschnallen. 3. His Gottfried eines Nachmittags wieder einmal auf dem Kirschbaum saß, da hörte er plötzlich eine stimme unter sich. Hls er hinabsah, erblickte er den Oberprediger des Städtchens an der Beite seines Vaters. Gottfried hatte vor dem ehrwürdigen Herrn große Hchtung und errötete, als er so überrascht wurde. „Ei, mein lieber Gottfried," sagte der Oberprediger, „du hast dir zum Lesen und Lernen ein gar liebliches Plätzchen ausgewählt. Wahrlich, wäre ich noch jünger, so käme ich zu dir hinauf, und du müßtest mir im grünen, frischen Blätterdache etwas vorlesen. Hber da das nicht geht, so kommst du wohl einmal zu uns herab und zeigst mir dein Buch!" 4. Gottfried mußte dem Prediger aus dem Buche vorlesen und einige Fragen beantworten. Diese Prüfung bestand er so gut, daß der freundliche Gberprediger sich seiner annahm und ihm in seiner Wohnung Unterricht erteilte, so daß er später studieren konnte. 283. Km Gstseestrande. Dr. Brückmann. (Ein Seebad. 1. Es war in den Sommerferien. Wir hatten die heiße und staubige Großstadt verlassen und wohnten in einem Bauernhause nicht weit vom Gstseestrande. Gleich am ersten Morgen gingen wir an die Lee, um zu baden. Schon in der Ferne bemerkten wir die weißen Schaumköpfe des rauschenden Meeres. Laut jauchzten die Kinder: „Die See, die See!" Sie waren nicht mehr zu halten. In vollem Lauf ging es den steilen Weg durch die Schlucht hinab. 2. Hls ich den Strand erreichte, sprangen die Kinder schon barfuß im Wasser umher und spielten mit den Wellen. Schnell waren wir entkleidet. Welle um Welle ging über unsre Köpfe hinweg. Hn

13. Das Mittelalter - S. 243

1877 - Leipzig : Brandstetter
243 medaner schleudern Töpfe mit brennendem Pech und Schwefel auf die Maschinen der Christen und das Holzwerk geräth in Brand. Umsonst ist alle Anstrengung, aller Muth; die Festigkeit der Mauern und der Türken ist furchtbar. So kommt der Mittag heran und den Christen entsinkt der Muth. Nahe dem Ziele, wähnen sie sich demselben ferner als je. Laut jammerten die edelsten Ritter, daß sie nicht gewürdigt werden sollten, die heilige Stadt einzunehmen; schon wollen Manche den Kampf aufgeben und die rauchenden Belagerungsthürme zurückziehen, schon weicht das Heer in Unordnung zurück. In diesen bedenklichen Augenblicken war es Herzog Gottfried, der die Verzagten ermuthigte und sie zur Vollendung der blutigen Arbeit begeisterte. Während er wie der gemeine Soldat arbeitete und zugleich die Pflicht des Heerführers übte, während er mit seinem Bruder Eustachius auf den obersten Theil dcs Belagerungsthurmes stieg, bemerkte er plötzlich auf dem Oelberge eine Rittergestalt in weißer Rüstung und einen hellstrahlenden Schild schwingend. Er winkt nach der heiligen Stadt zu. „Seht da, ein Cherub mit flammendem Schwerte, den Gott zum Mitstreiter uns gesandt!" so rufen Alle begeistert und jauchzend springen sie abermals gegen die Mauern her. Nichts hilft es mehr, daß die Feinde mit Woll- und Strohsäcken ihre Mauern verwahren, nichts, daß sie große Balken an die Belagerungsthürme stoßen, um sie zu zertrümmern und zurückzuhalten; Gottfried mit seinen Mannen reißt die Balken nieder und mit feurigen Pfeilen läßt er die Woll- und Strohsäcke in Brand stecken. Jetzt erhebt sich schwarzer Dampf und ein heftiger Nordwind treibt ihn so dick nach der Stadt hin, daß die Feinde von der Mauer zurückweichen. Sowie Herzog Gottfried dies merkt, läßt er die im zweiten Stockwerk seines Thurmes befindliche Fallbrücke auf die Mauer herabfallen. Sie erreicht ihr Ziel. Herzog Gottfried ist Einer der Ersten auf den Zinnen der Mauer. Ihm folgen die Andern. Tankred der Normann und Robert von Flandern erstürmen das Stephansthor und unter dem Ruf: „Gott will es, Gott will es!" dringen die Sieger in die Stadt. 5. _ Aber kaum^darf man die Sieger „Christen" nennen, die jetzt unaufhaltsam in die Stadt eindringen; so wild und furchtbar ist ihr Toben, so schrecklich überlassen sie sich ihren Leidenschaften. Mit blinder Blutgier fallen sie über die Unglücklichen her, Alles, was ihnen aufstößt, gleichviel ob Bewaffnete oder schwache Kinder, ob Männer oder Weiber oder Greise, wird erwürgt. Umsonst suchen sich die Unglücklichen zu retten; sind sie auch Gottfrieds Schaaren, die von Norden her vordringen, entronnen, so fallen sie Raimund's Kriegern, die von der südlichen Seite heranstürmen, in die Hände, und von Gasse zu Gasse wälzt sich der Mord. Am schrecklichsten wüthet er in dem Tempel Salomo's. Viele Tausende haben hinter den weiten und festen Mauern desselben Schutz 16*

14. Die Weltgeschichte nebst einem Abrisse der Geschichte der Erfindungen - S. 58

1845 - Carlsruhe : Müller
58 Noch schmählicher war der Untergang von zwei andern be- trächtlichen Haufen, von denen der eine, von einer Ziege und einer Gans angeführt, am Rhein über die Juden herfiel und viele Tausende erschlug. Zu ihm gesellte sich ein dritter fast 200000 Mann starker Haufen. Beide wurden in Ungarn und der Bulgarei fast ganz aufgerieben. Endlich rückte das eigentliche, aus dem Kern deutscher und französischer Krieger bestehende Hauptheer unter Gottfried aus, und erhielt freien Durchzug durch Ungarn; die übrigen folgten zu Wasser. In Konstantinopel mußte Gottfried dem mißtrauisch gewordenen griechischen Kaiser den Vasalleneid schwören. Vor Nicäa, wo der Sammelplatz war, belief sich das ganze Heer auf 400000 Mann. Nach Eroberung dieser Stadt zog das Kreuzheer vor Antiochien. Während der neunmonatlichen Belagerung dieser Stadt stieg die Noth der Kreuzfahrer auf's Höchste, und Hun- ger und Pest rafften viele dahin. Die Griechen, welche das Kreuzheer begleiteten, kehrten heim, selbst Peter wollte heimlich entfliehen. Im Juli 1096 ergab sich Antiochien. Nun rückte man gegen Jerusalem vor. Das Heer war auf 60000 Mann zusammengeschmolzen, als man die Stadt erreichte. Die Be- lagerung war aber mit den größten Schwierigkeiten verbunden, denn es gebrach an Holz zum Bau der Belagerungswerkzeuge. Zudem hatten die Türken die Brunnen zugeworfen: viele Christen verschmachteten, viele kehrten jetzt noch zurück. Ehe es zum Sturm kam, wurde eine allgemeine Prozession um die Mauern veranstaltet, und jeder Krieger erhielt das Sakrament. Zwei deutsche Brüder waren die ersten auf den Mauern, Gottfried der dritte. Es kam nun zu einem beispiellosen Blutbade, denn alle Muhamedaner ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht mußten über die Klinge springen. Die Beute war unermeßlich. Aber Gottfried nahm keinen Theil an den Greueln. Er war zum heiligen Grabe gezogen und hatte gebetet. Endlich folgten mehrere seinem Beispiele und nach wenigen Stunden ertönte die ganze Stadt von Dankliedern. Dies geschah am 15. Juli. 1099. Man bot nun dem edlen Gottfried die Königskrone an; aber er begnügte sich mit dem

15. Das Mittelalter - S. 245

1866 - Leipzig : Brandstetter
243 daner schleudern Töpfe mit brennendem Pech und Schwefel auf die Ma- schinen der Christen und das Holzwerk geräth in Brand. Umsonst ist alle Anstrengung, aller Muth; die Festigkeit der Mauern und der Türken ist furchtbar. So kommt der Mittag heran und den Christen entsinkt der Muth. Nahe dem Ziele, wähnen sie sich demselben ferner als je. Laut jammerten die edelsten Ritter, daß sie nicht gewürdigt werden sollten, die heilige Stadt einzunehmen; schon wollen Manche den Kampf aufgeben und die rauchenden Belagerungsthürme zurückziehen, schon weicht das Heer in Unordnung zurück. In diesen bedenklichen Augenblicken war es Herzog Gottfried, der die Verzagten ermuthigte und sie zur Vollendung der blutigen Arbeit begei- sterte. Während er wie der gemeine Soldat arbeitete und zugleich die Pflicht des Heerführers übte, während er mit seinem Bruder Eustach auf den obersten Theil des Belagerungsthurmes stieg, bemerkte er plötzlich auf dem Oelberge eine Rittergestalt in weißer Rüstung und einen hellstrah- lenden Schild schwingend. Er winkt nach der heiligen Stadt zu. „Seht da, ein Cherub mit flammendem Schwerte, den Gott zum Mitstreiter uns gesandt!" so rufen Alle begeistert und jauchzend springen sie abermals gegen die Mauern heran. Nichts hilft es mehr, daß die Feinde mit Woll- und Strohsäcken ihre Mauern verwahren, nichts, daß sie große Balken an die Belagerungs- thürme stoßen, um sie zu zertrümmern und zurückzuhalten; Gottfried mit seinen Mannen reißt die Balken nieder und mit feurigen Pfeilen läßt er die Woll- und Strohsäcke in Brand stecken. Jetzt erhebt sich schwarzer Dampf und ein heftiger Nordwind treibt ihn so dick nach der Stadt hin, daß die Feinde von der Mauer zurückweichen. Sowie Herzog Gottfried dies merkt, läßt er die im zweiten Stockwerk seines Thurmes befindliche Fallbrücke auf die Mauer herabfallen. Sie erreicht ihr Ziel. Herzog Gottfried ist einer der Ersten auf den Zinnen der Mauer. Ihm folgen die Andern. Tankred der Normann und Robert von Flandern erstürmen das Stephansthor und unter dem Ruf: „Gott will es, Gott will es!" dringen die Sieger in die Stadt. 5. Aber kaum darf man die Sieger „Christen" nennen, die jetzt unauf- haltsam iu die Stadt eindringen; so wild und furchtbar ist ihr Toben, so schrecklich überlassen sie sich ihren Leidenschaften. Mit blinder Blutgier fallen sie über die Unglücklichen her, Alles, was ihnen aufstößt, gleich- viel ob Bewaffnete oder schwache Kinder, ob Männer oder Weiber oder Greise, wird erwürgt. Umsonst suchen sich die Unglücklichen zu retten; sind sie auch Gottfrieds Schaaren, die von Norden her vordringen, ent- ronnen, so fallen sie Naimund's Kriegern, die von der südlichen Seite heranstürmen, in die Hände, und von Gasse zu Gasse wälzt sich der Mord. Am schrecklichsten wüthet er in dem Tempel Salomo's. Viele Tausende haben hinter den weiten und festen Mauern desselben Schutz 16*

16. Theil 2 - S. 108

1839 - Halle : Kümmel
s 108 Die Eroberung Jcrusalem's neue Hoffnung eines glücklichen Ausganges. Das Ge- fecht, erneuerte sich mit unglaublicher Wuth und dauerte bis zum andern Tage. Die von den Belagerten zum Schutz der Mauer gegen die Mauerbrecher herunterge- lassenen Heusäcke, Matten und dergleichen wurden von den Christen in Brand gesteckt, und der erstickende Dampf, der vom Winde an der Mauer hinauf in die Stadt getrieben wurde, nöthigte die Besatzung, zurück- zuweichen. Da ließ Gottfried die Fallbrücken seines Thurmes nieder und schwang sein siegreiches Schwert über das unglückliche Jerusalem. Als die Araber ihre Mauer von den Christen besetzt sahen, ergriffen sie muthlos die Fluchs und zogen sich in das Innere der Stadt. Gottfried und Eustach, nebst den Brüdern Ludolph und Giefedert, aus Dornik in Flandern, stiegen zuerst hinab. Mehre folgten so- gleich den kühnen Führern; auf Gottfrieds Befehl wurde das Stephansthor geöffnet, und das nach Blut und Beule dürstende Heer der Christen drang unauf- haltsam in die Stadt. So wurde am 15. Julius 1099, Freitags um 3 Uhr Nachmittags Jerusalem von den Kreuzfahrern erobert. — Die Nachricht von diesem glücklichen Erfolge, durch den Gottfried seine Anstrengungen belohnt sa- he, befeuerte Raimunds Hcerhaufen, auch seiner Seits mit höchster Anstrengung das Werk zu befördern. Die Fallbrücke wurde auch auf seinem Thurme nieder- gelassen, und Alles stürzte in die Stadt. Das Kastell Davids, das ein Emir vertheidigte, wurde von diesem übergeben, unter der Bedingung eines freien Abzugs nach Ascalon. Jetzt vereinigte sich Rai- munds und Gottfrieds Schaar in der unglück- lichen Stadt, und nun entstand ein Blutbad, dessen die Geschichte nur mit Schaudern gedenken kann. Kein Alter, kein Stand, kein Geschlecht wurde ver- schont, die Stimme der Menschlichkeit verstummte, und in dem sinnlosen Rausche ihrer fanatischen Wuth mordeten die Eroberer wie blutdürstige Tiger. Selbst die Leichname der Todten wurden aufgeschnitten, und die Eingeweide derselben durchwühlt, weil sich das

17. Das Mittelalter - S. 214

1852 - Leipzig : Brandstetter
214 winkt nach der heiligen Stadt hin. „Seht da, ein Cherub mit flammendem Schwerte, den Gott zum Mitstreiter uns gesandt!" so rufen Alle begeistert und jauchzend springen sie abermals gegen die Mauern heran. Nichts hilft es mehr, daß die Feinde mit Woll- und Strohsacken ihre Mauern verwahren, nichts, daß sie große Balken an die Belagerungsthürme stoßen, um sie zu zertrümmern und zurückzuhalten; Gottfried mit seinen Mannen reißt die Balken nieder und mit feurigen Pfeilen laßt er die Woll- und Strohsäcke in Brand stecken. Jetzt erhebt sich schwarzer Dampf und ein heftiger Nordwind treibt ihn so dick nach der Stadt hin, daß die Feinde von der Mauer zurückweichen. Sowie Herzog Gottfried dieß merkt, läßt er die im zweiten Stockwerk seines Thurmes befindliche Fallbrücke auf die Mauer herabfallen. Sie erreicht ihr Ziel. Herzog Gottfried ist einer der Ersten auf den Zinnen der Mauer. Ihm folgen die Andern. Tancred der Normann, und Robert von Flandern erstürmen das Stephanthor und unter dem Ruf: „Gott will es, Gott will es!" dringen die Sieger in die Stadt. 5. Aber kaum darf man die Sieger „Christen" nennen, die jetzt unaufhalt- sam in die Stadt eindringen; so wild und furchtbar ist ihr Toben, so schreck- lich überlassen sie sich ihren Leidenschaften. Mit blinder Blutgier fallen sie über die Ungläubigen her; Alles, was ihnen aufstößt, gleichviel ob Bewaffnete oder schwache Kinder, ob Männer oder Weiber oder Greise, wird erwürgt. Umsonst suchen sich die Unglücklichen zu retten; sind sie auch Gottfrieds Schaa- ren, die von Norden her Vordringen, entronnen, so fallen sie Raimunds Krie- gern, die von der südlichen heranstürmen, in die Hände, und von Gasse zu Gasse wälzt sich der Mord. Am schrecklichsten wüthet er in dem Tempel Salo- mo's. Biele Tausende haben hinter den weiten und festen Mauern desselben Schutz und Rettung gesucht, aber Tancred erstürmt den Tempel und bemächtigt sich unter großem Blutvergießen der dasigen Schätze. Die übrigen Heerführer mit ihren Mannschaften folgen, an 10,000 Feinde werden getödtet und das Blut fließt in Strömen. Biele der Ungläubigen werden gespießt, andere gebraten, noch andere gezwungen, sich von den hohen Thürmen herabzuftürzen. Zugleich erwacht die Begier nach Beute. Die Sieger stürzen sich in alle Häu- ser und plündern, was sie finden; jeder behält das Haus, vor dem er zuerst Schild oder Lanze aufsteckte, als sein Eigenthum. Gottfried allein bleibt auch hier seinem edlen Charakter getreu. Nur bei dem ersten Eindringen in Jerusalem, wo der Widerstand seine Hitze auf- regt und der Tod so vieler Christen seinen Zorn entstammt, taucht er seine / Hände in Blut, aber er enthält sich alles Marterns und Raubens und bald verläßt er das Mordgetümmel und geht, wohin das Herz ihn ruft. Bon dreien seiner Diener begleitet, ohne Panzer und Helm, barfuß und im Pilgerhemd, wallt er um einen Theil der Stadt herum zum heiligen Grabe. Dort wirft er sich nieder in heißer Andacht, tveinend, betend und Gott dankend, daß er nun das Ziel seiner Sehnsucht erreicht hat. Dann kehrt er freudig zurück und trifft Anstalten zur Beschirmung der Stadt gegen mögliche Anfälle herum- schwärmender Feinde. 6. Indessen dauerte das Mordgetümmel an diesem und dem folgenden Tage zu Jerusalem fort. Dreihundert Türken, die sich auf das Dach des

18. Teil 2 - S. 17

1889 - : Velhagen & Klasing
17 23. Die Äpfel aus dem Kannrick. (Löhr.) 1. Er war kaum aufgestanden, der kleine Gottfried, er war kaum iu die Stube getreten und hatte mit seinen großen Hellen Augen sich in der Stube nmhergesehen, da macht er eine Entdeckung. Die Augen heften sich auf eine Stelle in der Stube und sehen starr auf einen Punkt des Gesimses (Kannricks), ganz starr und unbeweglich. Sechs Äpfel, schöne, große, rotbackige Äpfel, sieht er, die gestern noch nicht da waren — Äpfel, die er so gern aß, und die doch selten an ihn kamen; denn sein Vater war nur ein Tagelöhner, der feinem Kinde nicht so oft Äpfel kaufen konnte als wohlhabende Eltern. Die sind so gut als mein! denkt Gottfried, die sind gewiß für nach. „Mutter, wo sind die Äpfel her?" fragte Gottfried; „der Vater hat sie mitgebracht," lautet die Antwort. „Mutter, die Äpfel sind wohl nicht für mich?" fragt er schelmisch weiter. „Ich weiß es nicht," heißt die Antwort, „du mußt beu Vater fragen, der sie mitgebracht hat." Aber der Vater war schon aus dem Hanse, er war seiner Arbeit nachgegangen, und erst um Mittagszeit kann er wieder kommen. Lange Zeit für Gottfried! Es scheint ihm unmöglich, bis dahin zu warten. Die Mutter, meint er, läßt sich schon bereden, ihm indessen einen Apfel zu geben. „Mutter," sagte er, „der Vater kommt lang noch nicht wieder — gieb mir einen Apfel!" „Pfui, Gottfried!" spricht die Mutter, „wie kann ich des Vaters Äpfel verschenken? — Kann man denn verschenken, was einem andern gehört?" Gottfried schämt sich und ist doch auch niedergeschlagen. — Er geht in die Schule, lernt aber heut nicht halb so gut als sonst; seine Gedanken sind bei den Äpfeln daheim. 2. Die Schule ist ans. In einem Rennen läuft Gottfried nach Hause. Er zählt die Äpfel. — Ja sie sind alle noch da! „Ist der Vater noch nicht heimgekommen?" fragt er die Mutter, nach- dem er schon vorher den Vater überall gesucht halte. Gabriel u. Supprian, Lesebuch. D. 2. 2

19. Viertes, fünftes und sechstes Schuljahr - S. 16

1910 - Halle a.S. : Schroedel
16 mit trägem Schwanzwedeln auf der andern Seite zum gebührenden Aus- druck gelangte. 3. Gottfried konnte es nachmittags kaum erwarten, bis die Schule zu Ende war. Dann schoß er im schnellsten Laufe nach Hause, schüttele seine zwei Tassen Milch rasch hinunter, kaute hastig an seiner Pflaumenmus- Schnitte und bestürmte Großmutter meist schon vor der Zeit, mit ihm nach Hause zu gehen; denn allein durfte er nicht fort. Kaum waren sie beide in der neuen Gasse angelangt, so bat er, vorausrennen zu dürfen, und Großmutter erlaubte es viel zu gern. Heidi! wie ging's da in sau- sendem Galopp die Gasse entlang, durch die Hausflur hindurch, zuerst zu Freund Knurps hinab, der bereits auf eine Begrüßung Gottfrieds mit Erheben und lebhaftestem Schweifwedeln antwortete. Sodann ging es zu den drei Rosenferkeln, denen natürlich die kleinen Rüssel mit einem Stroh- halm gekitzelt werden mußten, worauf sie mit halb freudigem, halb ent- rüstetem Gequieke antworteten. Weiter ging's durch die Heckenlücke zum nachbarlichen Hühnerhof, wo mit den kärglichen Überresten der Abendstulle noch eitel Freude erregt wurde. Nunmehr schlenderte Friedet durch den länglichen Garten, lugte durchs Laubenloch nach den Kaninchen, die freilich nur selten frei herum- laufen durften. Das Ende der abendlichen Inspektionsreise war dann der stolze Rundgang auf der Mauer an der Roßweide entlang bis zum Wasserturm, wie Friede! den Eckpfeiler getauft hatte. Waren die Fohlen nicht da, unternahm Gottfried auch einen Streifzug auf die weite Wiese und pflückte einen Strauß von Hahnenfuß, Hirten- täschchen, Schafgarbe und Wegerich, ungefähr die einzigen Blumen, die der Gefräßigkeit der Fohlen entgingen. Den anspruchslosen Strauß ver- wandte Gottfried bald als Bestechungsmittel, d. h. er brachte ihn der Groß- mutter hinauf, um ihr noch ein Viertelstündchen Gartenzeit abzubetteln, bald als Tauschmittel, indem er ihn mit einigen Kratzfüßen zu Fräulein Wehmeyer, einer Hausgenossin, trug, die nicht umhin konnte, den auf- merksamen Blumenspender mit einem Stück Schokolade oder gar mit köst- licher Quittenmarmelade zu belohnen. So machten sich die Roßweiden- sträuße ganz gut bezahlt. 4. Spätestens um acht Uhr wurde Gottfried von der Großmutter unwiderruflich heraufbefohlen. Da galt es auch gehorchen; denn die alte Frau hielt sehr auf Pünktlichkeit und Gehorsam. Oben in dem behaglichen Wohnzimmer liebte es Großmutter jedoch, noch ein Dämmerstündchen zu halten, ehe die hochbetagte, aber immer blitzsaubere Rüböllampe, die Großmutter stets selber putzte, angebrannt wurde. Zuerst fiel es dem lebhaften Gottfried recht schwer, so ruhig in des seligen Großvaters breitlehnigem Stuhl zu sitzen und zuzusehen, wie der

20. Teil 2 = 4., 5. u. 6. Schulj - S. 16

1912 - Halle a.S. : Schroedel
16 mit trägem Schwanzwedeln auf der andern Seite zum gebührenden Aus- druck gelangte. 3. Gottfried konnte es nachmittags kaum erwarten, bis die Schule zu Ende war. Dann schoß er im schnellsten Laufe nach Hause, schüttele seine zwei Tassen Milch rasch hinunter, kaute hastig an seiner Pflaumenmus- Schnitte und bestürmte Großmutter meist schon vor der Zeit, mit ihm nach Hause zu gehen; denn allein durfte er nicht fort. Kaum waren sie beide in der neuen Gasse angelangt, so bat er, vorausrennen zu dürfen, und Großmutter erlaubte es viel zu gern. Heidi! wie ging's da in sau- sendem Galopp die Gasse entlang, durch die Hausflur hindurch, zuerst zu Freund Lnurps hinab, der bereits auf eine Begrüßung Gottfrieds mit Erheben und lebhaftestem Schweifwedeln antwortete. Sodann ging es zu den drei Rosenferkeln, denen natürlich die kleinen Rüssel mit einem Stroh- halm gekitzelt werden mußten, worauf sie mit halb freudigem, halb ent- rüstetem Gequieke antworteten. Weiter ging's durch die Heckenlücke zum nachbarlichen Hühnerhof, wo mit den kärglichen Überresten der Abendstulle noch eitel Freude erregt wurde. Nunmehr schlenderte Friede! durch den länglichen Garten, lugte durchs Laubenloch nach den Kaninchen, die freilich nur selten frei herum- laufen durften. Das Ende der abendlichen Inspektionsreise war dann der stolze Rundgang aus der Mauer an der Roßweide entlang bis zum Wasserturm, wie Friede! den Eckpfeiler getauft hatte. Waren die Fohlen nicht da, unternahm Gottfried auch einen Streifzug auf die weite Wiese und pflückte einen Strauß von Hahnenfuß, Hirten- täschchen, Schafgarbe und Wegerich, ungefähr die einzigen Blumen, die der Gefräßigkeit der Fohlen entgingen. Den anspruchslosen Strauß ver- wandte Gottfried bald als Bestechungsmittel, d. h. er brachte ihn der Groß- mutter hinauf, um ihr noch ein Viertelstündchen Gartenzeit abzubetteln, bald als Tauschmittel, indem er ihn mit einigen Kratzfüßen zu Fräulein Wehmeyer, einer Hausgenossin, trug, die nicht umhin konnte, den auf- merksamen Blumenspender mit einem Stück Schokolade oder gar mit köst- licher Quittenmarmelade zu belohnen. So machten sich die Roßweiden- sträuße ganz gut bezahlt. 4. Spätestens um acht Uhr wurde Gottfried von der Großmutter! unwiderruflich heraufbefohlen. Da galt es auch gehorchen; denn die alte Frau hielt sehr aus Pünktlichkeit und Gehorsam. Oben in dem behaglichen Wohnzimmer liebte es Großmutter jedoch, noch ein Dämmerstündchen zu halten, ehe die hochbetagte, aber immer blitzsaubere Rüböllampe, die Großmutter stets selber putzte, angebrannt wurde. Zuerst fiel es dem lebhaften Gottfried recht schwer, so ruhig in des seligen Großvaters breitlehnigem Stuhl zu sitzen und zuzusehen, wie der