Anfrage in Hauptansicht öffnen

Änliche Dokumente zu folgendem Trefferdokument

Basierend auf den Feldern Extrahierte Personennamen Extrahierte Ortsnamen

Sortiert nach: Ähnlichkeit zu Dokument

1. Schleswig-holsteinischer Kinderfreund - S. 199

1901 - Neuwied [u.a.] : Heuser
in Familie, Gemeinde und Staat. 199 Revolution der Befehl der Regierung, die gewöhnliche gottesdienstliche Feier solle aufhören; die Steinthaler sollten sich einen Präsidenten wählen, dieser sollte einen Bruder Redner ernennen, und dann sollten an gewissen Tagen Ver- sammlungen gehalten werden, bet denen der Bruder Redner gegen die Tyrannen sprechen und mit der Gemeinde sich über ihre Abschaffung beraten solle. Selbst im Stetnthale fehlte es damals nicht an einzelnen, denen diese neue Sache gar anlockend vorkam, und die auch gern das mit- und nachge- macht hätten, was die große Nation ihnen vormachte. Der Pfarrer Oberlin ließ mithin seine Gemeinde unter der Linde zusammenkommen. Er las ihr das eingegangene Schreiben vor und fügte hinzu, das sei Befehl ihrer welschen Regierung; und da es die Obrigkeit gebiete, müsse man auch ge- horchen. Er halte es für gut, noch heute gleich zu den nötigen vorläufigen Beratungen zu schreiten. Zuerst müsse ein Präsident gewählt werden; und da er als der gewesene Pfarrer des Orts für heute wohl noch einmal sich das Recht nehmen dürfe, seine Meinung zuerst zu sagen, so schlage er den Schulmeister des Orts als Präsidenten vor. Der Schulmeister sträubte sich zwar etwas gegen diese Wahl, aber Oberlin bestimmte ihn bald, sie an- zunehmen; und so wurde denn die Wahl des Bruder Schulmeisters zum Bruder Präsidenten einstimmig von den Bauern bestätigt. Jetzt war nun die Reihe an dem Präsidenten, aus der Mitte der Versammlung jemand zum Bruder Redner zu ernennen. Wer paßte aber dazu besser als der bis- herige Pfarrer Oberlin? Die Wahl wurde mit lautem Beifallrufen bestätigt. „Jetzt ist nun die Frage/' sagte Oberlin, „welches Haus und welchen Tag wir zu unsern Versammlungen wählen wollen. Das Haus des Bruder Präsidenten hat nur eine große Stube, die Schulstube; da geht aber kaum die Hälfte von uns hinein, besonders da auch die Weiber gern werden zu- hören wollen; im bisherigen Pfarrhause ist auch der Raum gering, und so wüßte ich eben im ganzen Steinthale kein schicklicheres Haus zu unsern Klubs als die bisherige, gewesene Kirche." — Die Bauern gaben hierzu allgemein ihren Beifall. — „Was nun den Tag der Versammlung betrifft," sagte Oberlin, „so ist der Montag nicht geeignet, weil da viele nach Straß- burg zu Markte fahren; ebenso Mittwoch und Freitag. Ich dächte aber doch, der geeignetste und bequemste Tag zu unsern Versammlungen wäre der bis- herige und gewesene Sonntag, und zwar vorzüglich die Vormittagszeit von 9 Uhr an." — Die Bauern gaben auch hierzu ihren allgemeinen Beifall. Als nun die Bauern am Sonntag in die Kirche kamen, stand der Bruder Redner in der Nähe des Altars auf ebener Erde. „Was dünkt euch," sagte er zu den sich Versammelnden, „sollte es nicht besser sein, ich stellte mich auf die bisherige Kanzel? Wir sind hier zu arm, um uns einen be- sonderen Rednerstuhl machen zu lassen, und da oben könnt ihr mich besser sehen und hören." Die Bauern billigten das.

Ähnliche Ergebnisse

Ähnliche Dokumente basierend auf den Feldern Extrahierte Personennamen Extrahierte Ortsnamen

1. Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 413

1900 - Essen : Baedeker
413 denen diese neue Sache gar verlockend vorkam, und die auch gern das mit- und nachgemacht hätten, was die grosse Nation ihnen vormachte. Der Pfarrer Oberlin liess nun seine Gemeinde unter der Dorflinde zusammenkommen, las ihr das eingegangene Schreiben vor und fügte hinzu, das sei Befehl der Regierung, und da es die Obrigkeit gebiete, müsse man auch gehorchen. Er halte es für gut, noch heute zu den nötigen Beratungen zu schreiten. Zuerst müsse ein Vorsitzender gewählt werden; er, als der gewesene Pfarrer des Orts, dürfe sich für heute wohl noch einmal das Recht nehmen, seine Meinung zuerst zu sagen; er schlage den Schulmeister des Orts als Vorsitzenden vor. Der Schulmeister sträubte sich zwar etwas gegen diese Wahl; aber Oberlin bestimmte ihn bald, sie anzunehmen, und so wurde denn die Wahl des Bruders Schulmeister zum Vorsitzenden einstimmig von den Bauern bestätigt. Jetzt war nun die Reihe an dem Vorsitzenden, aus der Mitte der Versammlung jemand zum Bruder Redner zu ernennen. Wer passte aber dazu besser als der bisherige Pfarrer Oberlin? Die Wahl wurde mit lautem Beifallrufen bestätigt. „Jetzt ist nun die Frage,“ sagte Oberlin, „welches Haus und welchen Tag wir zu unsern Versammlungen wählen wollen. Das Haus des Bruders Vorsitzenden hat nur eine grosse Stube, die Schulstube; da geht aber kaum die Hälfte von uns hinein, besonders da auch die Weiber gern werden zuhören wollen. Im bisherigen Pfarrhause ist auch der Raum gering, und so wüsste ich eben doch im ganzen Steinthale kein schicklicheres Haus zu unsern Versammlungen als die bisherige, gewesene Kirche.“ — Die Bauern gaben hierzu allgemein ihren Beifall. — „Was nun den Tag der Versammlung betrifft,“ fuhr Oberlin fort, „so ist der Montag nicht geeignet, weil da viele nach Strassburg zum Markte fahren, ebenso Mittwoch und Freitag. Ich dächte aber doch, der geeignetste und bequemste Tag zu unsern Versammlungen wäre der bisherige und gewesene Sonntag, und zwar vorzüglich die Vormittagszeit von 9 Uhr an.“ — Die Bauern gaben auch hierzu ihren allgemeinen Beifall zu erkennen. Als nun die Bauern am Sonntag in die Kirche kamen, stand der Bruder Redner in der Nähe des Altars auf ebener Erde. „Was dünkt euch,“ sagte er zu den sich Versammelnden, „sollte es nicht besser sein, ich stellte mich auf die bisherige Kanzel? Wir sind hier zu arm, um uns einen besonderen Rednerstuhl machen zu lassen, und da oben könnt ihr mich besser sehen und hören.“ Die Bauern billigten das. Der neue Bruder Redner trat jetzt auf die Kanzel. Er zog abermals den Befehl der Regierung aus der Tasche und las ihn vor. „Die Welschen,“ sagte er, „wollen also, wir sollen gegen die Tyrannen reden und über ihre Abschaffung uns beraten. Tyrannen sind nun in der alten Zeit solche und solche gewesen, und die haben dies und das gethan. Hier in unserm stillen Steinthal haben wir freilich keinen solchen Tyrannen; es wäre also vergeblich, gegen einen solchen zu sprechen. Ich wüsste euch aber dennoch Tyrannen zu nennen und zu beschreiben, die nicht bloss im Steinthal und in euren Häusern, sondern sogar in euren Herzen wohnen. Gegen diese Tyrannen, Mord, Ehebruch, Fleischeslust und alles gottlose Wesen, will ich also hier reden, so wie ich euch denn auch das beste Mittel nennen und beschreiben will, diese Tyrannen abzuschaffen, welches kein anderes, ewig kein anderes ist, als das durch den Erlöser dargebotene Heil.“ Als der Pfarrer eine Zeit lang so gesprochen hatte, sagte er: „Sollte es nicht besser sein für mich und euch, dazwischen auch eins zu singen, und ■I

2. Teil 2, Oberstufe, Teil 1 - S. 212

1901 - Kiel : Lipsius & Tischer
212 Iv. Aus der weiten Welt. So starb die Heldenjungfrau, die Frankreich und seinen König gerettet hatte, ohne daß weder der König noch Frankreich irgend tvelche Anstrengungen gemacht hätten, sie den Händen der Feinde zu entreißen. Walkenaer. 111. Der Bruder Redner. \\7ährend der Schreckenszeit der französischen Revolution kam selbst * ’ in das einsame Steinthal der Befehl der neuen Regierung, die gewöhnliche gottesdienstliche Feier solle aufhören, die Gemeinden sollten sich einen Präsidenten wählen, dieser einen Bruder Redner ernennen, und dann sollten an gewissen Tagen Versammlungen abgehalten werden, bei denen der Bruder Redner gegen die Tyrannen sprechen und mit der Ge- meinde sich über die Mittel beraten solle, die Tyrannen abzuschaffen. Selbst im Steinthale fehlte es damals nicht an solchen, denen diese Sache ganz verführerisch neu und anlockend vorkam, und die auch gern das mit- und nachgemacht hätten, was die grosse Nation ihnen vormachte. Der Pfarrer Oberlin liess demnächst seine Gemeinde unter der Linde zusammenkommen, las ihnen das eingegangene Schreiben vor und fügte hinzu, es sei der Befehl ihrer welschen Regierung — so nannten die deutschen Bewohner des Steinthals die Franzosen — und da es die Obrigkeit geböte, müsse man auch gehorchen. Er hielt es für gut, auch heute gleich zu den nötigen vorläufigen Beratungen zu schreiten. Zuerst müsse ein Präsident gewählt werden, und da er als der bisherige Pfarrer des Ortes für heute wohl noch einmal sich das Recht nehmen dürfe, seine Meinung zuerst zu sagen, so gebe er seine Stimme dem bisherigen Schulmeister des Ortes und schlage diesen zum Präsidenten vor. Der Schulmeister sträubte sich zwar etwas gegen diese Wahl, aber Oberlin bestimmte ihn bald, sie anzunehmen, und so wurde denn die Wahl des Bruder Schulmeisters zum Bruder Präsidenten einstimmig von den Bauern bestätigt. Jetzt war nun die Reihe an dem Präsidenten, aus der Mitte der Versammlung jemand zum Bruder Redner zu ernennen. Wer passte sich aber besser dazu als der bisherige Pfarrer Oberlin! Die Wahl wurde mit lautem Beifallrufen der Versammlung bestätigt. „Jetzt ist nun die Frage,“ sagte Oberlin, „welches Haus und welchen Tag wir zu unsern Versammlungen wählen wollen. Das Haus des Bruder Prä- sidenten hat nur eine Stube, die Schulstube; da geht aber kaum die Hälfte von uns hinein, besonders da auch die Weiber werden gern zu- hören wollen. Im bisherigen Pfarrhause ist auch der Raum gering, und so wüsste ich eben doch im ganzen Steinthale kein schicklicheres Haus zu unsern Klubs, als die bisherige Kirche.“ — Die Bauern gaben hierzu allgemein ihren Beifall. — „Was nun den Tag der Versammlungen betrifft,“ sagte Oberlin, „so ist der Montag unschicklich, weil da viele nach Strassburg zum Markte fahren, ebenso Mittwoch und Freitag. Ich

3. Vaterland und Weite Welt - S. 167

1894 - Leipzig [u.a.] : Klinkhardt
167 103. Der Bruder Redner. In der Schreckenszeit der französischen Revolution wurden die Be- fehle der Regierung, wie überall in Frankreich, auch in dem Steinthale im Elsaß bekannt gemacht, wo der selige Pfarrer Oberlin lebte. Die gottes- dienstliche Feier sollte aufhören, die Steinthaler sollten sich einen Präsiden- ten wählen, dieser einen Bruder Redner ernennen, und dann sollten zu ge- wissen Tagen Versammlungen gehalten werden, bei denen dieser gegen die Tyrannen sprechen und mit der Gemeinde sich über die Mittel beraten sollte, dieselben abzuschaffen. Selbst im Steinthale fehlte es nun wohl damals nicht an einzelnen Personen, denen diese neue Sache gar verführerisch vor- kam, und die auch gerne das Beispiel nachgemacht hätten, das die große Nation ihnen gab. Der Pfarrer Oberlin ließ mithin seine Gemeinde unter der Linde zusammenkommen. Er las ihr das eingegangene Schreiben vor und fügte hinzu, das sei der Befehl ihrer welschen Regierung (so nannte man im Steinthale die Franzosen), und da es die Obrigkeit geböte, müsse man auch gehorchen. Er hielte es für gut, noch heute gleich zu den nötigen Beratun- gen zu schreiten. Zuerst müsse ein Präsident erwählt werden, und da er als der bisherige Pfarrer des Ortes für heute wohl noch einmal sich das Recht nehmen dürfe, seine Meinung zuerst zu sagen, so gebe er seine Stimme dem bisherigen Schullehrer des Ortes und schlage diesen zum Präsidenten vor. Der Schullehrer sträubte sich zwar etwas gegen diese Wahl, aber Oberlin bestimmte ihn bald, sie anzunehmen, und so wurde denn die Wahl des Bruders Schullehrer zum Bruder Präsidenten einstimmig von den Bauern bestätigt. Jetzt war nun die Reihe an dem Präsidenten, aus der Mitte der Versammlung jemanden zum Bruder Redner zu ernennen. Wer paßte aber dazu besser als der Pfarrer Oberlin! Die Wahl wurde mit lautem Beifallsrufen bestätigt. „Jetzt ist nun die Frage", sagte Oberlin, „welches Haus und welchen Tag wir zu unseren Versammlungen wählen wollen? Das Haus des Bruders Präsidenten hat nur eine große Stube, die Schulstube. Da geht aber kaum die Hälfte von uns hinein, besonders da auch die Weiber gern werden zuhören wollen; im bisherigen Pfarrhause ist auch der Raum gering, und so wüßte ich eben doch im ganzen Steinthale kein schicklicheres Haus als die bisherige Kirche." — Die Bauern gaben hierzu allgemein ihren Beifall.' „Was nun den Tag der Versammlungen betrifft", sagte Oberlin, „so ist der Montag unschicklich, weil da viele nach Straßburg zu Markte fahren, ebenso Mittwoch und Freitag. Ich dächte aber doch, der schicklichste und bequemste Tag zu unsern Versammlungen wäre der bisherige und gewesene Sonntag, und zwar vorzüglich die Vormittagszeit von 9 Uhr an." Die Bauern gaben auch hierzu ihren allgemeinen Beifall. Als nun die Bauern am Sonntage in die Kirche kamen, stand der Bruder Redner in der Nähe des Altars auf der ebenen Erde. „Was dünkt euch", sagte er zu den sich Versammelnden, „sollte es nicht besser sein,

4. Teil 3 - S. 534

1907 - Halle a.S. : Schroedel
534 sah! — Und was er von dem Treiben der Menschen vernahm, von ihren Lastern und Roheiten, war noch viel schlimmer. 5. Unverzagt ging Oberlin ans Werk. Mit Eifer predigte er schon an den nächsten Sonntagen gegen die Unsitten, die ihm am meisten aufgefallen waren; aber seine Ermahnungen fanden keinen Eingang bei den rohen Menschen. Ja, sie hegten einen wahren Groll gegen den jungen Pfarrer, der sich mehr um ihr Leben kümmere, als er nötig habe, und als sie leider auch wohl von den meisten frühern Pfarrern gewohnt waren. Eine Anzahl solcher unzufriednen Menschen hatte sich verbun- den, ihm aufzulauern und ihn mit einer Tracht Prügel heimzuschicken. Oberlin hatte davon erfahren und begab sich furchtlos in die Gesellschaft der Männer, als diese soeben über die Ausführung ihres Planes berieten. ..Ich weiß, was ihr vorhabt," sagte er, „und ich komme, um euch die Mühe und Schlechtigkeit des Auflauerns zu ersparen. Habe ich euch etwas zuleide getan, so sagt es mir gerade heraus, und bin ich straffällig, so will ich dafür büßen." Die Bauern sahen ihn erst stutzig an; dann trat einer nach dem andern an ihn heran, bot ihm die Hand und bat um Ver- zeihung. Ein andres Mal begegnete Oberlin, als er, mit einem Buch in der Hand, auf einem einsamen Gebirgsstege ging, einem wild und trotzig aussehenden Arbeiter, der einen Balken trug und ihn statt jeden Grußes mit den schmählichen Worten anredete: „Wo hinaus, Hans Hornvieh?" — „Du irrst dich, Freund," versetzte der Pfarrer mit würdiger Ruhe, „ich heiße Oberlin." Und der Bauer ging beschämt weiter. 6. Oberlin begnügte sich nicht damit, den Bauern ihre Laster vor- zuhalten, sondern er zeigte ihnen auch, in welcher Weise sie ihr Leben zum bessern zu ändern hätten, und wie sie auch ihrer leiblichen Not ab- helfen könnten. Er wies sie vor allem auf Arbeit und Tätigkeit hin und zeigte, wie man auch dem kärgsten Boden noch einen Ertrag ab- ringen könne. Als die bessere Jahreszeit begann, lehrte er sie bestimmte Rinnsale graben, um den Abfluß der Gebirgswasser, welche alljährlich das Erdreich zerrissen und die dünne Schicht des Pflanzenbodens hin- wegschwemmten, zu regeln. Er hieß das Gerölle und Gestein von den Feldern entfernen und die tierischen und Pflanzenabfälle, die sonst unreinlich vor den Hütten um- herlagen, zusammentragen, um sie zur Düngung zu benutzen. Ungläubig schüttelten die Bauern zu den Ratschlägen des Pfarrers die Köpfe; sie meinten, daß er es wohl verstehen möchte, eine Predigt zu halten, in der Landwirtschaft aber werde das Stadtkind sie nicht be- lehren. „Bei uns wächst doch nichts Rechtes," war die gewöhnliche Redensart, mit der sie seine Aufforderungen zur Arbeit ablehnten. Aber Oberlin predigte auch durch die Tat. Er fing mit seinem Diener

5. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 13

1910 - Wittenberg : Herrosé
13 Vaterstadt hin und hielt sich fern von allen zerstreuenden weltlichen Genüssen. In seinem 27. Lebensjahre wurde er vom evangelischen Konsistorium in Straßburg zum Pfarrer der Gemeinde Walders- bach im sogenannten Steintal ernannt. Einige Dörfer mit etlichen Höfen des letzteren bildeten eine Grafschaft. Diese Orte befanden sich zur Zeit der Anstellung Oberlins in dem Zustande einer äußeren und inneren Verwahrlosung. In bezug auf Lage, Bodenart und Witterungsverhältnisse gehört das Steiutal zu den am wenigsten begünstigten Strichen des Elsaß. Etwa 12—14 Stunden von Straßburg entfernt, war es von jedem Verkehr abgeschlossen. Da das Tal in nordöstlicher Richtung sich hinzieht, hat es ein rauhes Klima; dazu war der Boden steinig und lohnte kaum der Bewirt- schaftung. Das Land lag daher zum größten Teile brach. Not und Armut herrschten allgemein; Gewerbe, Handel und Verkehr gab es nicht. Bei solcher Sachlage ist es nicht zu verwundern, daß die Leute auf einem sehr tiefen Standpunkt der Bildung und Gesittung stan- den. Der junge Oberlin war hier auf ein Arbeitsfeld gestellt, wo ihm alles zu tun übrig blieb. Er griff sein schweres Werk mit Mut und Zuversicht an, beschränkte sich aber nicht auf die seelsorger- liche Tätigkeit durch Kanzelvorträge und Hausbesuche, sondern wagte sich auch auf das Gebiet der Landwirtschaft. Seine Besol- dung bestand hauptsächlich in den Erträgen eines Pfarrgutes. Ober- lin bewirtschaftete es mit seinen Leuten mustergültig. Wenn nun zur Zeit der Aussaat oder noch mehr der Ernte das Pfarrland schön, sauber und ergiebig war, dann machten die Bauern große Augen und schämten sich vor ihrem Pfarrer. Hätten sie nicht die unablässigen Mahnungen ihres Pfarrers bestimmt, ihm nachzu- ahmen, so hätte es doch gewiß der in die Augen fallende Vorteil ver- mocht. Bald folgten sie ihm in allen Stücken. Bewässerungs- und Entwässerungsanlagen wurden hergestellt, wie es die Notdurft er- forderte; der Obstbau, der Anbau von Kartoffeln, Flachs und an- deren Gewächsen wurden neu eingeführt, soweit es die rauhe Witte- rung gestattete. Auch für die Einführung geeigneter Ackergerät- schaften sorgte Oberlin. Um den Leuten die Anschaffung zu er- leichtern, schaffte er sie für eigene Rechnung an und überließ sie ihnen für den Selbstkostenpreis und gegen Teilzahlungen. Um den Ver- kehr zu ermöglichen, ließ Oberlin gute Wege und selbst Laudstraßen anlegen; sogar eine Brücke bauten die Bewohner des Steintals, die nach Zweck und Ursache ihrer Entstehung noch heute die „Liebes- brücke" heißt. Zur Unterstützung der Armen wurden Kassen gegründet, aus denen sie zeitweilige Unterstützung oder Darlehen empfingen. Arbeitsscheue Menschen bekamen nur Brot, wenn sie nur Lohn ar- beiteten. Neben der äußeren griff Oberlin auch die innere Arbeit mit ganzer Kraft an; er war rastlos im Hansbesuchen und ging den einzelnen Seelen mit Treue nach. Zugleich war er aber auch ihr Ratgeber in häuslichen Angelegenheiten, ihr Arzt, Chirurg, Kranken-

6. Neuntes Schuljahr - S. 234

1912 - Halle a.S. : Schroedel
234 „Ich weiß, was ihr vorhabt,“ sagte er, „und ich komme, um euch die Mühe und Schlechtigkeit des Autlauerns zu ersparen. Habe ich euch etwas zuleide getan, so sagt es mir gerade heraus, und bin ich straffällig, so will ich dafür büßen.“ Die Bauern sahen ihn erst stutzig an; dann trat einer nach dem andern an ihn heran, bot ihm die Hand und bat um Ver- zeihung. Ein andres Mal begegnete Oberlin, als er, mit einem Buch in der Hand, auf einem einsamen Gebirgsstege ging, einem wild und trotzig aussehenden Arbeiter, der einen Balken trug und ihn statt jeden Grußes mit den schmählichen Worten anredete: „Wo hinaus, Hans Hornvieh?“ — „Du irrst dich, Freund,“ versetzte der Pfarrer mit würdiger Ruhe, „ich heiße Oberlin.“ Und der Bauer ging beschämt weiter. 6. Oberlin begnügte sich nicht damit, den Bauern ihre Laster vor- zuhalten, sondern er zeigte ihnen auch, in welcher Weise sie ihr Leben zum Bessern zu ändern hätten, und wie sie auch ihrer leiblichen Not ab- helfen könnten. Er wies sie vor allem auf Arbeit und Tätigkeit hin und zeigte, wie man auch dem kärgsten Boden noch einen Ertrag ab- ringen könne. Als die bessere Jahreszeit begann, lehrte er sie bestimmte Rinnsale graben, um den Abfluß der Gebirgswasser, welche alljährlich das Erdreich zerrissen und die dünne Schicht des Pflanzenbodens hin- yvegschwemmten, zu regeln. Er hieß das Gerölle und Gestein von den Feldern entfernen und die tierischen und Pflanzenabfälle, die sonst unreinlich vor den Hütten um- herlagen, zusammentragen, um sie zur Düngung zu benutzen. Ungläubig schüttelten die Bauern zu den Ratschlägen des Pfarrers die Köpfe; sie meinten, daß er es wohl verstehen möchte, eine Predigt zu halten, in der Landwirtschaft aber werde das Stadtkind sie nicht be- lehren. „Bei uns wächst doch nichts Rechtes,“ war die gewöhnliche Redensart, mit der sie seine Aufforderungen zur Arbeit ablehnten. Aber Oberlin predigte auch durch die Tat. Er fing mit seinem Diener allein an zu graben und zu arbeiten, und als er so einen kleinen, gedeih- lichen Acker an seinem Pfarrhause geschaffen, da wunderten sich die Bauern und weigerten sich nicht mehr, seinem Rate zu folgen. „Aber wo nehmen wir die Ackergeräte her?“ fragten sie nun; denn in der Gemeinde gab es weder diese noch Handwerker. Auch dafür schaffte Oberlin Rat; er ließ solche aus Straßburg kommen und lieh sie den Bauern, Die Bezahlung stundete er ihnen so lange, bis sie dieselbe schon aus dem Nutzen, den sie ihnen gebracht hatten, berichtigen konn- ten. Da fernerhin die Samenkartoffeln durch mehrjährige Mißernten untauglich geworden waren, so verschrieb er Saatkartoffeln aus Loth- ringen und Deutschland und verteilte sie. Er ließ auch Flachssamen von

7. Bilder aus den neuen Reichslanden und aus dem südwestlichen Deutschland - S. 189

1880 - Leipzig : Spamer
Oberlin, der Vater des Steinthals. 189 Wie er aus dem Saatkorn auf dürrem Boden Früchte zu ziehen ge- wüßt, so verstand es Oberlin auch, edlere Triebe in der Menschen Herzen zu pflanzen und für die geistige und sittliche Hebung seiner Pfarrkinder Sorge zu tragen. Er überwachte den Unterricht, veraulaßte die Anstellung guter Schulmeister und nahm nicht eher ein neues Pfarrhaus an, als bis alle Dörfer seiner Psarrgemeinde mit neuen, guten Schulhäusern versehen waren. Er wendete auch den Kleinsten seine Fürsorge zu und sorgte, daß die noch nicht für die Schule reifen Kinder, wenn die Eltern durch die Feldarbeit oder durch häusliche Geschäfte in Anspruch genommen waren, Beaufsichtigung und Anleitung zum ersten Unterricht fanden, wobei ihm seine treue Dieustmagd, Luise Schäppler, als Helferin zur Seite staud. s Ju manchem stillen Liebesdienste bei Kranken und Unglücklichen fand Oberlin die beste Stütze in seiner treuen Lebensgefährtin, Magdalene Sa- lome Witter, der „Mutter des Steinthals", mit der er sich ein Jahr nach dem Antritt seines Berufs verbunden und in glücklichster Ehe lebte. Durch beinahe zwei Menschenalter wirkte Oberlin mit unablässigem Eifer als treuefter Seelsorger seiner Gemeinde. Sein langes, glatt gestri- chenes Haar war schneeweiß geworden, und auf seinem Antlitz lag die stille Verklärung, welche der Friede des Gewissens, das Bewußtsein eines gott- befreundeten Gemüthes im hohen Alter den Zügen geben. Da war unter seinen Pfarrkindern wol keines, das sich nicht einmal Rath bei ihm geholt, und das sich nicht von Herzen dankbar zu ihm hingezogen gefühlt hätte. Er hatte sie alle lieb, die guten wie die schlimmen; ja er schloß die letzteren wol ganz besonders in sein Gebet, weil sie ja seiner Fürbitte noch mehr bedurften als die anderen, und schrieb die Namen solcher, deren er in seinem abeudlicheu Gebete vorzugsweise gedenken wollte, mit Kreide auf eine Tafel, die an seiner Thür hing. Wenn die Bauern in später Abendstunde am Pfarr- hause vorübergingen und in seinem Betkämmerlein das Fenster noch erleuchtet saheu, dann sprachen sie leise: „Laßt uns still sein, unser Papa betet für uns!" — Wenn aber der würdige Herr selbst durch das Dorf schritt, wie grüßteu ihn dann Alle so ehrfurchtsvoll und treuherzig, wie streckten selbst , die Kleinen die Hand ihm entgegen, dem lieben Papa Oberlin; ja das ganze Steinthal schien freundlich ihn grüßen zu wollen — die Bäume, die auf seinen Autrieb gepflanzt worden und jetzt Schatten gaben; die Felsen, die er mit Grün bedeckt; die Bäche, denen er Betten gegraben. Manche schwere Prüfung war auch über ihn gekommen. Sein geliebtes Weib war schon nach fünfzehnjähriger Ehe gestorben (Januar 1783). Während der Schreckenszeit der Revolution hatte sein Pfarrhaus zuweileu den nn- glücklichen Verfolgten Obdach gewährt; dafür ward er in das Gefängniß nach Schlettstadt geschleppt und dankte seine Rettung nur dem Sturze der Schreckensherrschaft. In seinem hohen Alter sah er noch seinen Sohn Hein- rich sterben, der ihn bei seinen Liebeswerken treulich unterstützt hatte. Am fünften Juuimorgen 1826 war das ganze Thal in tiefe Trauer versenkt, der Himmel selbst mit dichten Wolken überzogen, welche heftige Regenschauer herabsendeten. Dennoch war eine große Volksmenge aus allen

8. Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen - S. 173

1903 - Wittenberg : Herrosé
Vi. Bildung und ihre Bedeutung, Besitz und seine Pflichten. 173 aber reiche Früchte zeigte, dann machten die Bauern große Augen und schämten sich vor ihrem Pfarrer. Was die unablässigen Mahnungen des Pfarrers allein nicht erreicht hätten, nämlich sein Beispiel nachzu- ahmen, das bewirkte der in die Augen fallende Vorteil. Sie folgten ihm bald in allen Stücken. Trockene Wiesen wurden bewässert, wtlde Wasser eingedämmt, sumpfige Strecken entwässert, an Wege und auf öde Stellen Obstbäume gepflanzt. Den Anbau von Kartoffeln, Flachs und anderen Gewächsen führte Oberlin ein, soweit es die rauhe Witterung gestaltete. Auch geeignete Ackergeräte beschaffte er. Um den Leuten die Anschaffung zu erleichtern, kaufte er sie für eigene Rechnung an und überließ sie ihnen für den Selbstkostenpreis und gegen Teilzahlungen. Um den Verkehr zu ermöglichen, ließ Oberlin gute Wege und selbst Landstraßen anlegen. Freiwillig bauten die Bewohner des Steintals eine Brücke, die noch heute die „Liebes- brücke" heißt. Zur Unterstützung der Armen wurden Kassen gegründet, aus denen dieselben zeitweilige Unterstützung oder Darlehen empfingen. Arbeits- scheue Menschen bekamen nur dann Brot, wenn sie um Lohn arbeiteten. Neben der äußeren griff Oberlin auch die innere Arbeit mit ganzer Kraft an. Er war rastlos in Hausbesuchen und ging den einzelnen Seelen mit Treue nach. Zugleich war er aber auch ihr Ratgeber in häuslichen Angelegenheiten, ihr Arzt, Krankenwärter und Bote. Gleich zu Anfang richtete er sein besonderes Augenmerk auf die Schulen. Nur unter großen Schwierigkeiten konnte er Lehrer gewinnen. Viel Mühe kostete es auch, die Eltern zu veranlassen, ihre Kinder regelmäßig in die Schule zu schicken. Trotz aller Hindernisse hatten die Schulen bald ihren geordneten Fortgang. Doch damit war der häuslichen Ver- kommenheit noch nicht abgeholfen. Es fehlte an einer Erziehung der Mädchen, die sie befähigte, auch in einer armen Familie Ordnung, Reinlichkeit und Behaglichkeit herzustellen. Stricken, Nähen und Flicken waren im Steintale damals ziemlich unbekannt. Die Frauen verschwatzten lieber ihre Zeit, als daß sie sich um ihr Hauswesen bekümmerten. Die Kleider waren entweder neu und ganz, oder alt und zerrissen. Unter dem Beistände seiner treuen Lebensgefährtin arbeitete Oberlin diesen Zuständen kräftig entgegen. Auf eigene Kosten richtete er in jedem Dorfe seiner Gemeinde in geräumigen Zimmern Strickschulen ein und versah sie mit Lehrerinnen. Die treue Magd L u i s e S ch e p p l e r war seine beste Helferm. Sie hatte gute Geistesanlagen und ein em- pfängliches Herz voll Milde und herzlicher Liebe. Sie arbeitete nicht nur als treue Stütze der Hausfrau, sondern auch als Lehrerin der Strickschule. Aber eine bedeutende Lücke war noch auszufüllen: Da die Mütter oft den ganzen Tag außerhalb des Hauses ihrem Verdienste nachgehen mußten, waren die Kleinen daheim vielen Gefahren ausgesetzt. Das sah Luise, bewegte es in ihrem Herzen und fand einen Weg zur Abhilfe. Sie sammelte die kleinen Kinder täglich um sich und nahm sie in mütterliche Pflege. Sie sorgte für die Remlichkeit ihres Körpers, erzählte ihnen biblüche und andere anziehende und belehrende Geschichlen, lehne sie ihre Händchen zum Gebet falten und ihre zarten Stimmen in

9. Deutsches Lesebuch für ein- und zweiklassige Schulen - S. 542

1908 - Halle a.S. : Schroedel
542 ©roll gegen den jungen Pfarrer, der sich mehr um ihr Leben kümmere, als er nötig habe, und als sie leider auch wohl von den meisten frühern Pfarrern gewohnt waren. Eine Anzahl solcher unzufriednen Menschen hatte sich verbunden, ihm aufzulauern und ihn mit einer Tracht Prügel heimzuschicken. Oberlin hatte davon erfahren und begab sich furchtlos in die Gesellschaft der Männer, als diese soeben über die Ausführung ihres Planes berieten. „Ich weih, was ihr vorhabt," sagte er, „und ich komme, um euch die Mühe und Schlechtig- keit des Auflauerns zu ersparen. Habe ich euch etwas zuleide getan, so sagt es mir gerade heraus, und bin ich straffällig, so will ich dafür büßen." Die Bauern sahen ihn erst stutzig an; dann trat einer nach dem andern an ihn heran, bot ihm die Hand und bat um Verzeihung. Ein andres Mal begegnete Oberlin, als er, mit einem Buch in der Hand, auf einem einsamen Gebirgsstege ging, einem wild und trotzig aussehenden Arbeiter, der einen Balken trug und ihn statt jeden Grußes mit den schmählichen Worten anredete: „Wo hinaus, Hans Hornvieh?" — „Du irrst dich, Freund," versetzte der Pfarrer mit würdiger Ruhe, „ich heiße Oberlin". Und der Bauer ging beschämt weiter. 6. Oberlin begnügte sich nicht damit, den Bauern ihre Laster vorzuhalten, sondern er zeigte ihnen auch, in welcher Weise sie ihr Leben zum Bessern zu ändern hätten, und wie sie auch ihrer leib- lichen Not abhelfen könnten. Er wies sie vor allem auf Arbeit und Tätigkeit hin und zeigte, wie man auch dem kärgsten Boden noch einen Ertrag abringen könne. Als die bessere Jahreszeit be- gann, lehrte er sie bestimmte Rinnsale graben, um den Abfluß der Eebirgswasser, welche alljährlich das Erdreich zerrissen und die dünne Schicht des Pflanzenbodens hinwegschwemmten, zu regeln. Er hieß das Gerölle und Gestein von den Feldern entfernen und die tierischen und Pflanzenabfälle, die sonst unreinlich vor den Hütten umherlagen, zusammentragen, um sie zur Düngung zu be- nutzen. Ungläubig schüttelten die Bauern zu oen Ratschlägen des Pfarrers die Köpfe; sie meinten, daß er es wohl verstehen möchte, eine Predigt zu halten, in der Landwirtschaft aber werde das Stadtkind sie nicht belehren. „Bei uns wächst doch nichts Rechtes," war die gewöhnliche Redensart, mit der sie seine Aufforderungen zur Arbeit ablehnten. Aber Oberlin predigte auch durch die Tat. Er fing mit seinem Diener allein an zu graben und zu arbeiten, und als er so einen kleinen, gedeihlichen Acker an seinem Pfarrhause geschaffen, da wun- derten sich die Bauern und weigerten sich nicht mehr, seinem Rate

10. Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 15

1897 - Wittenberg : Herrosé
nachzuahmen, so hätte es doch gewiss der in die Augen fallende Vorteil vermocht. Bald folgten sie ihm in allen Stücken. Be- wässerungs- und Entwässerungsanlagen wurden hergestellt, wie es die Notdurft erforderte; der Obstbau, der Anbau von Kartoffeln, Flachs und anderen Gewächsen wurden neu eingeführt, soweit es die rauhe Witterung gestattete. Auch für Einführung geeigneter Acker- gerätschaften sorgte Oberlin. Um den Leuten die Anschaffung zu erleichtern, schaffte er sie für eigene Rechnung an und überliess sie ihnen für den Selbstkostenpreis und gegen Teilzahlungen. Um den Verkehr zu ermöglichen, liess Oberlin gute Wege und selbst Landstrassen anlegen; sogar eine Brücke bauten die Bewohner des Steinthals, die nach Zweck und Ursache ihrer Entstehung noch heute die „Liebesbrücke“ heisst. Zur Unterstützung der Armen wurden Kassen gegründet, aus denen dieselben zeitweilige Unterstützung oder Darlehen empfingen. Arbeitsscheue Menschen bekamen nur Brot, wenn sie um Lohn arbeiteten. Neben der äusseren griff Oberlin auch die innere Arbeit mit ganzer Kraft an; er war rastlos im Hausbesuchen und ging den einzelnen Seelen mit Treue nach. Zugleich war er aber auch ihr Ratgeber in häuslichen Angelegenheiten, ihr Arzt, Chirurg, Kranken- wärter und Bote. Gleich zu Anfang richtete er sein besonderes Augenmerk auf die Schulen, für die er nur unter grossen Schwierig- keiten Lehrer gewinnen konnte. Viel Mühe kostete es auch, die Eltern zu veranlassen, ihre Kinder regelmässig in die Schule zu schicken. Trotz aller Hindernisse hatten die Schulen bald ihren geordneten Fortgang. Doch damit war der häuslichen Verkommen- heit noch nicht abgeholfen. Es fehlte an der Erziehung der Mädchen, die sie befähigte, auch in einer armen Familie Ordnung, Reinlichkeit und Behaglichkeit herzustellen. Auch Stricken, Nähen und Flicken waren im Stemthale damals ziemlich unbekannt. Die Frauen verschwatzten lieber ihre Zeit, als dass sie sich um ihr Hauswesen bekümmerten; die Kleider waren entweder neu und ganz, oder alt und zerrissen. Unter dem Beistände seiner treuen Lebensgefährtin arbeitete Oberlin diesen Zuständen kräftig entgegen, indem er auf eigene Kosten in jedem Dorfe seiner Gemeinde in geräumigen Zimmern sogenannte Strickschulen errichtete und mit Lehrerinnen versah. Die treue Magd Luise Sch eppler, die mit guten Geistesanlagen, einem empfänglichen Herzen, Milde und herz- licher Liebe gesegnet war, arbeitete nicht nur als treue Stütze der Hausfrau, sondern auch als Lehrerin der Strickschule. Aber eine bedeutende Lücke blieb noch auszufüllen, auf die Luisens aufmerk- sames Auge zuerst fiel. Da die Mütter oft den ganzen Tag über ausserhalb des Hauses ihrem Verdienste nachgehen mussten, waren die Kleinen daheim vielen Gefahren der Verwahrlosung ausgesetzt. Luise sammelte diese kleinen Kinder täglich um sich und nahm sie in mütterliche Pflege. Sie sorgte für die Reinlichkeit ihres Körpers, erzählte ihnen biblische und andere anziehende und belehrende

11. Lesebuch für die evangelischen Volksschulen Württembergs - S. 450

1860 - Stuttgart : Hallberger
450 gesegnei, auf Gemüther zu wirken. Aufs verstljndigste und treueste wartete er dabei der anderen Seite seines Berufs^ die ihm Anver- trauten aus ihrer leiblichen Versunkenheit zu rettee Merkwürdig ists jedoch, gerade hier, wobei doch der gute Wille des Pfarrers am . leichtesten hätte anerkannt werden sollen, fand er anfangs den hart- näckigsten Widerstand. Die Steinthaler nahmen es ihrem Pfarrer höchlich übel, wenn er ihr häusliches Elend, ihre Unreinlichkeit, ihre Trägheit, ihre Ungeschicklichkeit beim rechten Namen nannte; seine guten Vorschläge hießen Neuerungen und unnöthige Kritteleien. Einer seiner ersten Plane war, Verbindungswege zwischen dem Steinthal und den benachbarten Städten Straßburg rc. zu öffnen. Denn da die Bewohner -weder Absatz für ihre Erzeugnisse finden, noch selbst die nöthigen Ackerbauwerkzenge sich verschaffen konnten, so be- gnügten sie sich mit dem dürftigsten Unterhalt und hatten für allge- meine Zwecke nie etwas übrig. Oberlin versammelte seine Pfarrkinder und schlug ihnen vor, einen Verbindungsweg zu der nach Straßburg führenden Heerstraße zu bauen. Zu diesem Zweck mußten Felsen ge- 1 sprengt, ein fester Dammweg längs des Bergstroms angelegt und eine Brücke gebaut werden. Die Bauern hielten diesen Vorschlag für ganz unausführbar, aber des Pfarrers Worte wirkten so mächtig, daß sie endlich ihren Widerstand aufgaben und die schwere Arbeit begannen, bei welcher er ihr Anführer und thätiger Helfer war. Wohlthätige Freunde in Straßburg unterstützten ihn, und im Jahr 1770 war die Brücke über den Bergstrom gebaut, und die Verbin- dung mit Straßbnrg eröffnet. Sein nächstes Werk war die Anlegung von fahrbaren Straßen zwischen den Ortschaften seines Kirchspiels. Hatte er am Sonntag mit dem Ernst und der Wärme, die seine Seele erfüllten, seine Pfarrkinder belehrt und erbaut, so sah man ihn un- bedenklich am Montag mit der Hacke auf der Schulter an der Spitze von zwei hundert Arbeitern zum Straßenbau hinausziehen. Denn es galt hier ein Beispiel zu geben. Von seinen Einkünften, die sich nur auf 500 Gulden jährlich beliefen, verwendete er noch einen Theil auf die Ausführung seiner Plane. Auch legte Oberlin jetzt einen Vor- rath von den nöthigen Werkzeugen an, die bisher mit Zeitverlust von Straßbnrg hergeholt worden waren, und gab den Käufern einen billigen Credit; ja, er gründete mit seinen geringen Mäeln eine Leih- anstalt, wo Jeder, der pünktliche Rückzahlung versprach und einhielt, kleine Darlehen zur* Anschaffung der. dringenden Bedürfnisse erhielt. Mehrere der fähigsten jungen Leute schickte Oberlin nach Straßbnrg,

12. Lesebuch für die evangelischen Volksschulen Württembergs - S. 450

1854 - Stuttgart : Hallberger
450 gesegnet auf Gemüther zu wirken. Aufs verständigste und treueste wartete er dabei der anderen Seite seines Berufs, die ihm Anver- trauten aus ihrer leiblichen Versunkenheit zu retten. Merkwürdig ists jedoch, gerade hier, wobei doch der gute Wille des Pfarrers am leichtesten hätte anerkannt werden sollen, fand er anfangs den hart- näckigsten Widerstand. Die Steinthaler nahmen es ihrem Pfarrer höchlich übel, wenn er ihr häusliches Elend, ihre Unreinlichkeit, ihre Trägheit, ihre Ungeschicklichkeit beim rechten Namen nannte; seine guten Vorschläge hießen Neuerungen und unnöthige Kritteleien. Einer seiner ersten Plane war, Verbindungswege zwischen dem Steinthal und den benachbarten Städten Straßburg rc. zu öffnen. Denn da die Bewohner weder Absatz für ihre Erzeugnisse finden, noch selbst die nöthigen Ackerbauwerkzeuge sich verschaffen konnten, so be- gnügten sie sich mit dem dürftigsten Unterhalt und hatten für allge- meine Zwecke nie etwas übrig. Oberlin versammelte seine Pfarrkinder und schlug ihnen vor, einen Verbindungsweg zu der nach Straßburg führenden Heerstraße zu bauen. Zu diesem Zweck mußten Felsen ge- sprengt, ein fester Dammweg längs des Bergstroms angelegt und eine Brücke gebaut werden. Die Bauern hielten diesen Vorschlag für ganz unausführbar, aber des Pfarrers Worte wirkten so mächtig, daß sie endlich ihren Widerstand aufgaben und die schwere Arbeit begannen, bei welcher er ihr Anführer und thätiger Helfer war. Wohlthätige Freunde in Straßburg unterstützten ihn, und im Jahr 1770 war die Brücke über den Bergstrom gebaut und die Verbin- dung mit Straßbnrg eröffnet. Sein nächstes Werk war die Anlegung von fahrbaren Straßen zwischen den Ortschaften seines Kirchspiels. Hatte er am Sonntag mit dem Ernst und der Wärme, die seine Seele erfüllten, seine Pfarrkinder belehrt und erbaut, so sah man ihn un- bedenklich am Montag mit der Hacke auf der Schulter an der Spitze von zwei hundert Arbeitern zum Straßenbau hinausziehen. Denn es galt hier ein Beispiel zu geben. Von seinen Einkünften, die sich nur auf 500 Gulden jährlich beliefen, verwendete er noch einen Theil auf die Ausführung seiner Plane. Auch legte Oberlin jetzt einen Vor- rath von den nöthigen Werkzeugen an, die bisher mit Zeitverlust von Straßburg hergeholt worden waren, und gab den Käufern einen billigen Credit; ja, er gründete mit seinen geringen Mitteln eine Leih- anstalt, wo Jeder, der pünktliche Rückzahlung versprach und einhielt, kleine Darlehen zur Anschaffung der dringenden Bedürfnisse erhielt. Mehrere der fähigsten jungen Leute schickte Oberlin nach Straßbnrg,

13. Lesebuch für die reifere weibliche Jugend - S. 415

1913 - Wittenberg : Herrosé
415 immer größer. Trotzdem besorgte sie die Pflege lange allein. Ihre Hingabe an diese Lebensaufgabe kannte keine Grenzen. In allen Ortschaften des Tales richtete sie die Bewahranstalten selbst ein. Dabei scheute sie nicht die schlechten Wege. sie ließ sich von ihren Gängen durch keine Witterung abhalten. Erschöpft und durchnäßt, von Kälte erstarrt, kehrte sie oft von diesen Wegen der Barmherzigkeit ins Pfarrhaus zurück und ließ es sich nicht nehmen, hier noch bei der Arbeit behilflich zu sein. Für die Kinder des Hauses sorgte sie, als ob es ihre eignen Geschwister wären. In den schweren Zeiten der Revolution, in den Schrecken eines Hungerjahres, in Krankheit und Leid stand sie treu zu ihrer Herr- schaft. Und als ihre gütige Herrin starb, da wurde sie den sieben Kindern eine zweite Mutter. Und für die seltene Hingebung nahm sie nichts an. als was zur Bestreitung der leiblichen Bedürf- nisse notwendig war. Ihr schönes Herz. ihre edle Uneigennützigkeit spricht sich am rührendsten in dem Briefe aus, den sie nach dem Tode der Frau Oberlin zum Neujahr 1797 an ihren geistigen Führer schrieb. Er lautet: Lieber und zärtlicher Vater! Erlauben Sie mir, daß mit dem Beginn des Jahres ich von Ihnen eine Gnade begehre, nach welcher ich schon lange trachte. Da ich nun ganz frei stehe. d. h., da ich meinen Vater und dessen Schulden nicht mehr zu tragen habe, so bitte ich Sie. lieber Vater, versagen Sie mir die Gnade nicht, mich ganz zu Ihrem Kinde an- zunehmen; geben Sie mir nicht den geringsten Lohn in Zukunft. Da Sie mich in allem wie Ihr Kind halten, so wünsche ich es auch in dieser Hinsicht zu sein. Ich brauche wenig zu meinem körper- lichen Unterhalte: was einige kleine Ausgaben verursachen könnte, sind Kleider. Strümpfe. Holzschuhe, und wenn ich solcher bedarf, so will ich es Ihnen sagen, wie ein Kind seinem Vater. O ich bitte Sie, lieber Vater, gewähren Sie mir diese Gnaden, und sehen Sie mich an als ihr treu ergebenes Kind Luise. Oberlin nimmt sie freudig als Tochter ün. sucht ihr aber für ihre ausgezeichneten Dienste auf Umwegen Geld zukommen zu lassen. Luise merkt aber gar bald die List und bittet inständig, davon abzustehen. Dem guten Oberlin bleibt nichts übrig, als die Bitte zu erfüllen, und nun jubelt Luise über das große Glück, die freie Tochter eines guten Vaters zu sein. Luise wirkte so jahrelang in der engen Welt. die von Fels- wänden abgeschlossen war. Die Welt hinter den Bergen kannte sie nicht. Aber der Ruf von der frommen Gründerin der Kinder- bewahranstalten schwang sich über die Vergspitzen hinweg, drang immer weiter in das Land und erreichte auch die glänzende Stadt Paris. Da hatte ein reicher Graf eine ansehnliche Summe Geldes gestiftet, die unter besonders brave und tugendhafte Mädchen des Volkes verteilt werden sollte. Die französische Akademie, der die Verteilung oblag, erkannte einstimmig der edlen Luise einen

14. Theil 1 - S. 223

1867 - Altona : Schlüter
223 beim rechten Namen nannte; seine guten Vorschläge hießen Neue- rungen und unnöthige Kritteleien. Einer seiner ersten Pläne war, Verbindungswege zwischen dem Steinthal und den benachbarten Städten Straßburg rc. zu öffnen. Denn da die Bewohner weder Absatz für ihre Erzeug- nisse finden, noch selbst die nöthigen Ackerbauwerkzeuge sich ver- schaffen konnten, so begnügten sie sich mit dem dürftigsten Unter- halt und hatten für allgemeine Zwecke nie etwas übrig. Oberlin versammelte seine Pfarrkinder, schlug ihnen vor, einen Verbindungs- weg zu der nach Straßburg führenden Heerstraße zu bauen. Zu diesem Zweck mußten Felsen gesprengt, ein fester Dammweg längs des Bergstroms angelegt und eine Brücke gebaut werden. Die Bauern hielten diesen Vorschlag für ganz unausführbar; aber des Pfarrers Worte wirkten so mächtig, daß sie endlich ihren Widerstand aufgaben und die schwere Arbeit begannen, bei wel- cher er ihr Anführer und thätiger Helfer war. Wohlthätige Freunde in Straßburg unterstützten ihn, und im Jahr 1770 war die Brücke über den Bergstrom gebaut und die Verbindung mit Straßburg eröffnet. Sein nächstes Werk war die Anlegung von fahrbaren Straßen zwischen den Ortschaften seines Kirchspiels. Hatte er am Sonntag mit dem Ernst und der Wärme, die seine Seele erfüllten, seine Pfarrkinder belehrt und erbaut, so sah man ihn unbedenklich am Montag mit der Hacke auf der Schul- ter an der Spitze von zweihundert Arbeitern zum Straßenbau hinausziehen. Denn es galt hier ein Beispiel zu geben. Von seinen Einkünften, die sich nur aus fünfhundert Gulden jährlich beliefen, verwendete er noch einen Theil auf die Ausführung seiner Pläne. Auch legte Oberlin jetzt einen Vorrath von den nöthigen Werkzeugen an, die bisher mit Zeitverlust von Straß- burg hergeholt worden waren, und gab den Käufern einen billi- gen Credit; ja er gründete mit seinen geringen Mitteln eine Leihanstalt, wo Jeder, der pünktliche Rückzahlung versprach und einhielt, kleine Darlehen zur Anschaffung der dringenden Be- dürfnisse erhielt. Mehrere der fähigsten jungen Leute schickte Oberlin nach Straßburg, um dort bei Maurern, Zimmerleuten, Wagnern, Schmieden und Glasern die Lehrjahre auszuhalten und nach ihrer Rückkehr in die Heimath ihre erworbenen Ge- schicklichkeiten auszuüben und zu verbreiten. Nach einigen Jahren sah man statt der elenden Wohnungen, die zum Theil in die Bergwände gegraben waren, bequeme Häuschen, wobei tiefe Kel- ler angelegt waren, um Kartoffeln und andere Vorräthe vor Frost zu schützen. Auf die Verbeßerung des Ackerbau's richtete Oberlin gleiche Sorgfalt. Er ließ Samenkartoffeln aus fremden Gegenden kommen, um die ausgearteten einheimischen zu ersetzen. Ebenso beförderte er den Flachsbau, indem er Leinsamen von

15. Theil 1 - S. 224

1867 - Altona : Schlüter
224 der Ostsee herbeischaffte; den bis dahin unbekannten Kleebau führte er ein, und zum Anbau verschiedener nährender und arzneilicher Pflanzen gab er Anweisung und Beispiel. „Laßt Nichts verloren gehen," war einer seiner Lieblingssprüche. Er gab seinen Psarrkindern Anleitung, aus Blättern, Binsen, Moos und Tannennadeln Dünger zu bereiten, und gewährte kleinen Kindern Preise, wenn sie Lumpen und Lederstücke zu demselben Zweck benutzten. Vorzüglich aber wirkte er durch sein Beispiel. Er verwandelte einen verödeten Garten, der zum Pfarrhaus ge- hörte, in eine Baumschule, einen andern in eine Obstanlage, und als diese Pflanzungen unter seiner sorgfältigen Pflege ge- diehen, wurde so viel Nacheiferung erweckt, daß bald alle Häuser von einem Kranze von Obstbäumen und wohlgepflegten Gärten umgeben waren. Der glückliche Erfolg dieser Unternehmungen machte die Steinthaler empfänglich für umfaßendere Entwürfe. Oberlin veranlaßte die Bauern, Stallfütterung einzuführen und die weniger einträglichen Weiden in Ackerland zu verwandeln, wodurch sie selbst in schlechten Jahren hinreichend Getraide er- zeugten. So große Schwierigkeiten der steinige Boden entgegen- setzte, auch diese Bemühungen hatten glücklichen Erfolg, und im elften Jahre seines Pfarramtes stiftete er einen Verein für Acker- bau, welcher mit auswärtigen Vereinen der Art in Verbindung trat und im Stande war, jährlich Preise an fleißige Obstpflanzer zu vertheilen. Auch für die Schulen war Oberlin so thätig, daß das Steinthal sich auch in diesem Punkte bald im ganzen Elsaß aus- zeichnete. Die Kinder lernten mit Lust, weil sie sahen, daß nicht nur ihr Lehrer, sondern auch ihr Pfarrer und ihre Eltern ihre Freude daran hatten und mit der größten Anstrengung alles zum Unterricht Nöthige herbeischafften. Ganz besonders merkwürdig aber ist, daß im Steinthale durch Oberlin die erste Klein- kinderschule in ganz Europa entstand. Schon früh hatte er die Nachtheile bemerkt, welche die jüngeren Kinder leiden, wäh- rend die älteren die Schule besuchen, die Eltern aber ihren Be- rufsarbeiten nachgehen. Nicht bloß Gefahren für Leben und Gesundheit sind die unbeaufsichtigten Kleinen ausgesetzt, sondern ihr Geist kann sich in der Einsamkeit nicht entwickeln, deshalb bleiben sie zurück. Oberlin machte seine Frau auf dieses Uebel aufmerksam, und diese, welche eben so menschenfreundlich dachte, als ihr Gatte, bestellte Aufseherinnen, welche die Kinder von zwei bis sechs Jahren um sich sammelten und dieselben mit Spiel und kleinen Arbeiten beschäftigten. Unter diesen Aufseherinnen befand sich ein junges Bauernmädchen, welches als die eigentliche Begründerin der Bewahranstalteu zu betrachten ist, weil che nach dem bald erfolgten Tode der Pfarrerin die Gedanken derselben

16. Das Vaterland - S. 188

1856 - Darmstadt : Diehl
188 fester Dammweg längs des Bergstromö angelegt «nd eine Brücke ge- baut werden. Die Bauern hielten diesen Vorschlag für ganz unaus- führbar, aber des Pfarrers Worte wirkten so mächtig, daß sie endlich ihren Widerstand aufgaben und die schwere Arbeit begannen, bei wel- cher er ihr Anführer und thätiger Helfer war. Wohlthätige Freunde in Straßburg unterstützten ihn; und im Jahre 1770 war die Brücke über den Bergstrom gebaut und die Verbindung mit Straßburg eröff- net. Sein nächstes Werk war die Anlegung von fahrbaren Straßen zwischen den Ortschaften seines Kirchspiels. Hatte er am Sonntage mit dem Ernst und der Wärme, die seine Seele erfüllten, seine Pfarr- kinder belehrt und erbaut, so sah man ihn unbedenklich am Montage mit der Hacke auf der Schulter an der Spitze von 200 Arbeitern zum Straßenbau hinausziehen. Denn hier galt es ein Beispiel zu geben. Von seinen Einkünften, die sich nur auf 500 Gulden jährlich beliefen, verwendete er noch einen Theil auf die Ausführung seiner Plane. Auch legte Oberlin jetzt einen Vorrath von den nöthigen Werkzeugen an, die bisher mit Zeitverlust von Straßburg hergeholt worden waren und gab den Käufern einen billigen Kredit; ja er gründete mit seinen geringen Mittel eine Leihanstalt, wo Jeder, der pünktliche Rückzah- lung versprach und einhielt, kleine Darlehen zur Anschaffung der dringenden Bedürfnisse erhielt. Mehrere der fähigsten jungen Leute schickte Oberlin nach Straßburg, um dort bei Maurern, Zimmerleuten, Wagnern, Schmieden und Glasern die Lehrjahre auszuhalten und nach ihrer Rückkehr in die Heimath ihre erworbenen Geschicklichkeiten auszuüben und zu verbreiten. Nach einigen Jahren sah man statt der elenden Wohnungen, die zum Theil in die Bergwände gegraben waren, bequeme Häuschen, wobei tiefe Keller angelegt waren, um Kartoffeln und andere Vorräthe vor Frost zu schützen. Auf die Ver- besserung des Ackerbaues richtete Oberlin gleiche Sorgfalt. Er ließ Samenkartoffeln aus fremden Gegenden kommen, um die ausgearteten einheimischen zu ersetzen. Ebenso beförderte er den Flachsbau, indem er Leinsamen von der Ostsee herbeischaffte; den bis dahin unbekannten Kleebau führte er ein, und zum Anbau verschiedener nährenden und arzneilichen Pflanzen gab er Anweisung und Beispiel. Laßt Nichts verloren gehn! war einer seiner Lieblingssprüche. Er gab seinen Pfarrkindern Anleitung, aus Blättern, Binsen, Moos und Tannen- nadeln Dünger zu bereiten und gewährte kleinen Kindern Preise, wenn sie Lumpen und Lederstücke zu demselben Zwecke benutzten. Vor- züglich aber wirkte er durch sein Beispiel. Er verwandelte einen ver- ödeten Garten, der zum Pfarrhause gehörte, in eine Baumschule, einen anderen in eine Obstanlage, und als diese Pflanzungen unter seiner sorgfältigen Pflege gediehen, wurde soviel Nacheiferung erweckt, daß bald alle Häuser von einem Kranze von Obstbäumen und wohl ge- pflegten Gärten umgeben waren. Der glückliche Erfolg dieser Unter- nehmungen machte die Bewohner des Steinthaleö für umfassendere Entwürfe empfänglich. Oberlin veranlaßte die Bauern, Stallfütterung einzuführen und die weniger einträglichen Weiden in Ackerland zu ver- wandeln, wodurch sie selbst in schlechten Jahren hinreichend Getraive erzeugten. So große Schwierigkeiten der steinige Boden entgegensetzte, auch diese Bemühungen hatten glücklichen Erfolg und im 11. Jahre

17. Für die Oberstufe - S. 399

1879 - Stuttgart : Hallberger
399 Jahren sah man statt der elenden Wohnungen, die zum Theil in die Berg- wände gegraben waren, bequeme Häuschen, wobei tiefe Keller angelegt waren, um Kartoffeln und andere Vorräthe vor Frost zu schützen. Auf die Verbesierung des Ackerbaus richtete Oberlin gleiche Sorgfalt. Er ließ Samenkartoffeln aus fremden Gegenden kommen, um die ausgearteten ein- heimischen zu ersetzen. Ebenso beförderte er den Flachsbau, indem er Lein- samen von der Ostsee herbeischaffte; den bis daher unbekannten Kleebau führte er ein, und zum Anbau verschiedener nährender und arzneilicher Pflanzen gab er Anweisung und Beispiel. Laßt nichts verloren gehen, war einer seiner Lieblingssprüche. Er gab seinen Pfarrkindern Anleitung, aus Blättern, Binsen, Moos und Tannennadeln Dünger zu bereiten, und gewährte kleinen Kindern Preise, wenn sie Lumpen und Lederstücke zu dem- selben Zweck benützten. 7. Vorzüglich aber wirkte er durch sein Beispiel. Er verwandelte einen verödeten Garten, der zum Pfarrhaus gehörte, in eine Baumschule, einen andern in eine Obstanlage; und als diese Pflanzungen unter seiner sorg- fältigen Pflege gediehen, wurde so viel Nacheiferung erweckt, daß bald alle Häuser von einem Kranze von Obstbäumen und wohlgepflegten Gärten um- geben waren. Der glückliche Erfolg dieser Unternehmungen machte die Steinthaler empfänglich für umfassendere Entwürfe. Oberlin veranlaßte die Bauern, Stallfütterung einzuführen und die weniger einträglichen Weiden in Ackerland zu verwandeln, wodurch sie selbst in schlechten Jahren hin- reichend Getreide erzeugten. So große Schmierigkeiten der steinige Boden entgegensetzte, auch diese Bemühungen hatten glücklichen Erfolg, und im elften Jahr seines Pfarramtes stiftete er einen Verein für Ackerbau, welcher mit auswärtigen Vereinen der Art in Verbindung trat und in: Stande war, jährlich Preise an fleißige Obstpflanzer zu vertheilen. 8. Auch für die Schulen war Oberlin thätig, so daß sich das Stein- thal auch in diesem Punkte bald im ganzen Elsaß auszeichnete. Die Kinder lernten mit Lust, weil sie sahen, daß nicht nur ihr Lehrer sondern auch ihr Pfarrer und ihre Eltern ihre Freude daran hatten und mit der größten Anstrengung alles zum Unterricht Nöthige herbeischafften. Ganz besonders merkwürdig aber ist, daß im Steinthale durch Oberlin die erste Klein- kinderschule in ganz Europa entstand. Schon frühe hatte er die Nach- theile bemerkt, welche die jüngeren Kinder leiden, während die älteren die Schule besuchen, die Eltern aber ihren Berufsarbeiten nachgehen. Nicht bloß Gefahren für Leben und Gesundheit sind die unbeaufsichtigten Kleinen ausgesetzt, sondern ihr Geist kann sich in der Einsamkeit nicht entwickeln; deßhalb bleiben sie zurück. Oberlin machte seine Frau auf dieses Übel

18. Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen - S. 87

1903 - Wittenberg : Herrosé
Iii. Tages- und Jahreslauf, Fleiß und Frömmigkeit. 87 Anfänglich ging es hart und langsam. Aber sein Sprichwort: „ Was nicht ist, kann werden," gab ihm immer Mut und Hoffnung. Mit der Zeit ging es besser. Er ivurde durch unverdrossenen Fleiss und Gottes Segen noch ein reicher Mann und ernährt jetzt die Kinder des armen Bruders Wonichtsist, der selber nichts zu beifsen und zu nagen hat. Uebel. 76 (83). Wie es Oberlin mit den arbeitsscheuen Settlern machte. Oberlin war Pfarrer zu Steinthal im Elsaß und ist ein Mann gewesen nach dem Herzen Gottes. Er hat eine barmherzige Seele für das arme Volk gehabt und gemeint, ehrliche Schwielen in der Hand und ehrlicher Schweiß im Angesichte seien ein rechter Ehrenschmuck für ein Menschenkind. Und wer davon nichts wissen wollte, sondern lieber fett werden von der sauern Mühe der andern, dem ist er hart an den Leib gegangen. So hatte Gott seinem Kriege wider die Faulheit und Liederlichkeit in seiner Gemeinde zum Siege verholfen. Da sah man wohl arme Leute, aber fleißige und keine Bettler. Desto mehr Bettel- säcke kamen jetzt von draußen nach Steinthal. Wenn nun ein Mensch kam, schwach und krank oder mit greisen Haaren, dem man's ansieht, er kann nicht mehr, oder er kann noch nicht — und streckte seine zitternde Hand aus mit Seufzen, man möchte doch um Gottes willen was hineinlegen, sonst wär's am End' — so einer ging allemal getröstet und beschenkt von Oberlins Haustür hinweg. Wenn aber einer kam in oen kräftigen Jahren, von gesunden Gliedern und mit starken Knochen und klopfte mit dem Bettelftock an die Tür, dann fragte ihn der Oberlin: „Lieber Freund, warum arbeitest du nicht?" Und so der Bettelsack die Antwort gab: „Ich finde nicht Arbeit," wußte Oberlin alsbald Rat und erwiderte: „Herein, mein Lieber, du sollst haben; drin im Hofe liegt ein Häuflein Steine, pack frisch zu und trag' sie weg an den Ort, den ich dir zeigen will! Alsdann sollst du Lohn haben." Aber siehe! am öftesten, wenn er noch nicht fertig war mit dieser Rede, machten die faulen Bettelsäcke kehrt und zogen ab mit verdrieß- lichem Gesichte, weil man sich beim Steintragen bücken muß, und das wird einem sauer. Und sie ließen sich fürder nicht mehr in Steinthal sehen. Rur wenige ließen sich bereit finden, im Schweiße ihres An- gesichts ein Almosen zu verdienen. Run versteh': die Steine in Oberlins Hof sind Probiersteine ge- wesen, darin sich sollte die Arbeitslust oder Arbeitsscheu der Bettler ans Licht stellen. Und sie wurden auch für viele Faulenzer und Bettler von Beruf Steine des Anstoßes und ihrer eigenen Schande, für etliche aber auch Edelsteine; denn ein verdienter Lohn hat einen edlen Wohlgeschmack und reizt das Herz, um weiter zu suchen und zu sinnen, wo und wie sich fürderhin — nicht auf Bettelfahrten, sondern auf ehrlichen Wegen fleißiger Arbeit ein Stücklein Brot ver- dienen lasse.

19. Neuntes Schuljahr - S. 235

1912 - Halle a.S. : Schroedel
235 den fernen Gestaden der Ostsee kommen, wo er unter ähnlichen klima- tischen Verhältnissen so vortrefflich gedieh, und säete ihn hier mit gleichem Erfolge. Bald sah man an Stelle der frühern kahlen und stei- nigen Hänge jetzt freundliche Wiesenflächen, wechselnd mit einträg- lichen Ackerstücken. Auch den Obstbau* führte er ein, und wenn auch Walnuß und Kirsche nicht gedeihen wollten, so sah man doch allmählich an den meisten Hütten einige junge Bäumchen emporwachsen. Das Aussehen der Hütten selbst ward freundlicher, und schon von ferne hörte man das Sausen der Webstühle, das Schnurren der Spinnräder aus dem Steintale. Das waren alles die Verdienste des treuen Pfarrers, dessen segens- reiche Tätigkeit mit jedem Tage sichtbarer vor Augen trat. Wer möchte alle die wohltätigen Einrichtungen aufzählen, mit welchen er den redlichen Arbeiter förderte, dem Notleidenden aufhalf, den Müßig- gänger zum ehrenhaften Broterwerbe nötigte, wie die von ihm ins Leben gerufene Darlehnskasse, die Spar- und Armenkassen, die Anweisung zur Erlernung von Handwerken, die er jungen Leuten seiner Gemeinde in Straßburg erteilen ließ, und des Guten mehr. 7. Bald machte sich das Bedürfnis eines Verkehrs mit der Außen- welt fühlbar. Die einzige Straße, auf welcher ein Fuhrwerk aus dem Steintale nach Schirmeck gelangen und dort die Landstraße nach Straßburg erreichen konnte, war das Flußbett des wilden Hochgebirgs- wassers, der Breusch. Die Bauern sahen die Notwendigkeit einer Fahr- straße wohl ein. Als aber Oberlin ihnen zumutete, auch hierfür selbst Sorge zu tragen, meinten sie, daß ein solches Unternehmen doch über ihre Kräfte hinausginge. Da nahm der Pfarrer eines Morgens Spaten und Pickelhaue zur Hand, ging in Begleitung seines einzigen Dieners hinaus und begann zu arbeiten, und siehe, das Beispiel des Pfarrers wirkte, viele Bauern ergriffen ihr Arbeitszeug, Schaufel, Hacke, Brech- eisen, und folgten ihm. Jeder ward an einem bestimmten Platz ange- stellt; für sich selbst nahm Oberlin die beschwerlichste Arbeit in An- spruch. So ward geschaufelt und gegraben bis gegen Mittag und dann nach einer kurzen Pause wieder weiter bis zum Abend. Am folgenden Tage war das Arbeiterhäuflein schon gewachsen, und bald stellten sich ihrer so viele, daß Oberlin schon neue Werkzeuge aus Straßburg be- schaffen mußte. Nach einigen Monaten zog sich über den sonst unzu- gänglichen Felsboden eine bequeme Fahrstraße; ja selbst eine feste Brücke ward über die Breusch gebaut, von der sich der Name der Liebes- brücke auch auf die später an ihrer Stelle neuerbaute übertragen hat. Nunmehr konnten die Bauern ihre Landeserzeugnisse in andre Gegenden zum Verkauf ausführen, und die Kartoffel des Steintals ward auf dem Straßburger Markte besonders gern gekauft.

20. Teil 3 - S. 535

1907 - Halle a.S. : Schroedel
535 allein an zu graben und zu arbeiten, und als er so einen kleinen, gedeih- lichen Acker an seinem Pfarrhause geschaffen, da wunderten sich die Bauern und weigerten sich nicht mehr, seinem Rate zu folgen. „Aber wo nehmen wir die Ackergeräte her?" fragten sie nun; denn in der Gemeinde gab es weder diese noch Handwerker. Auch dafür schaffte Oberlin Rat; er ließ solche aus Straßburg kommen und lieh sie den Bauern, Die Bezahlung stundete er ihnen so lange, bis sie dieselbe schon aus dem Nutzen, den sie ihnen gebracht hatten, berichtigen konn- ten. Da fernerhin die Samenkartoffeln durch mehrjährige Mißernten untauglich geworden waren, so verschrieb er Saatkartoffeln aus Loth- ringen und Deutschland und verteilte sie. Er ließ auch Flachssamen von den fernen Gestaden der Ostsee kommen, wo er unter ähnlichen klima- tischen Verhältnissen so vortrefflich gedieh, und säete ihn hier mit gleichem Erfolge. Bald sah man an Stelle der frühern kahlen und stei- nigen Hänge jetzt freundliche Wiesenflächen, wechselnd mit einträg- lichen Ackerstücken. Auch den Obstbau führte er ein, und wenn auch Walnuß und Kirsche nicht gedeihen wollten, so sah man doch allmählich an den meisten Hütten einige junge Bäumchen emporwachsen. Das Aussehen der Hütten selbst ward freundlicher, und schon von ferne hörte man das Sausen der Webstühle, das Schnurren der Spinnräder aus dem Steintale: Das waren alles die Verdienste des treuen Pfarrers, dessen segens- reiche Tätigkeit mit jedem Tage sichtbarer vor Augen trat. Wer möchte alle die wohltätigen Einrichtungen auszählen, mit welchen er den Redlichen Arbeiter förderte, dem Notleidenden aufhalf, den Müßig- gänger zum ehrenhaften Broterwerbe nötigte, wie die von ihm ins Leben gerufene Darlehnskasse, die Spar- und Armenkassen, die Anweisung zur Erlernung von Handwerken, die er jungen Leuten seiner Gemeinde in Straßburg erteilen ließ, und des Guten mehr. 7. Bald machte sich das Bedürfnis eines Verkehrs mit der Außen- welt fühlbar. Die einzige Straße, auf welcher ein Fuhrwerk aus dem Steintale nach Schirmeck gelangen und dort die Landstraße nach Straßburg erreichen konnte, war das Flußbett des wilden Hochgebirgs- wassers, der Brensch. Die Bauern sahen die Notwendigkeit einer Fahr- straße wohl ein. Als aber Oberlin ihnen zumutete, auch hierfür selbst Sorge zu tragen, meinten sie, daß ein solches Unternehmen doch über ihre Kräfte hinausginge. Da nahm der Pfarrer eines Morgens Spaten und Pickelhaue zur Hand, ging in Begleitung seines einzigen Dieners hinaus und begann zu arbeiten; und siehe, das Beispiel des Pfarrers wirkte, viele Bauern ergriffen ihr Arbeitszeug, Schaufel, Hacke, Brech- eisen, und folgten ihm. Jeder ward an einem bestimmten Platz ange- stellt; für sich selbst nahm Oberlin die beschwerlichste Arbeit in An-