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1902 -
Langensalza
: Schulbuchh.
- Autor: Seidel, L. E.
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
480
8. Bei eintretenden Sehstörnngen und Augenleiden wende
dich an einen Arzt; ein solcher kann auch nur entscheiden, ob
du eine Brille nötig hast, ob die Augengläser dauernd, ob sie
beim Schreiben oder beim Blick in die Ferne (an die Tafel) ge-
tragen werden sollen, und welche Nummer der Glaser zu
wählen ist.
ix Hrrbstleben.
5\. Laubfärbung und Blattfall.
Während uns der Frühling mit seinem frischen Grün viel
Freude bereitet, bietet uns auch der Herbst manche Schön-
heit. Nicht nur die Früchte sind es, die den Menschen im Herbst
zu gute kommen, auch das Auge findet seine Lust. Die Blätter
der Laubbüume, die beit ganzen Sommer hindurch grün waren,
fangen an, sich in anderen Farben zu zeigen. Das Grün ist
ja dem Augen angenehm, aber aus der einen Farbe entstehen so
viele andern; denn die Blätter aller Bäume verfärben sich nicht
gleichmäßig und nicht zu gleicher Zeit.
Welche Farbe nehmen die Blätter der Birke an? Wie er-
scheint die Buche? Wodurch erfreuen uns die Weinblätter, die
Kirschbäume? Nenne noch andere Bäume und bezeichne die
Farbe, in der sie im Herbst erscheinen! Woher mag dieses kom-
men ?
Jedes lebende Blatt hat in seinen Zellen einen Farbstoff,
das Blattgrün, welches man mit einem wissenschaftlichen Na-
men des Chlorophyll nennt. Dieses Chlorophyll wird durch den
Einfluß des Lichtes fortwährend verändert und zerstört, durch
die Thätigkeit der Blätter wird es auch fortwährend wieder er-
neuert. Wenn nun gegen den Herbst hin die Blätter aufhören,
aus der Luft Wasser und Luft aufzunehmen, wenn ihre Poren
sich so verändern, daß sie nicht atmen, so ist es ihnen auch
unmöglich, das zerstörte Chlorophyll wieder zu ersetzen. Dadurch
entsteht eine Farbenveränderung.
Tritt nun bei einzelnen Pflanzen zu dem zerstörten Chlorophyll
der saure Zellsaft hinzu, so nimmt es eine rote Färbung an,
während es sonst gelblich wird. Daher der Unterschied bei den
einzelnen Pflanzen.
Durch das Aufhören der Lebensthätigkeit der Blätter bei
kühler Witterung ist es nicht mehr nötig, daß die Leitungs-
röhren zwischen Blättern und anderen Pflanzenteilen fort-
1914 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
der Sturmwind in den ausgebreiteten Ästen, Zweigen und Blättern und
möchte die Eiche zu Boden werfen, allein sie widersteht dem Sturme
wohl noch fünfhundert Jahre. Der Mensch aber, der die Eichel in
den Boden legte, ist lange, lange, lange tot; der Vater hat ihn nicht
mehr gekannt und selbst der alte Großvater nicht. Darum ist der Eich-
baum ein Sinnbild der 5traft, Stärke und Ausdauer. — Die Eiche ist
zu allen Zeiten hoch in Ehren gehalten worden; den alten Deutschen
war sie sogar ein heiliger Baum. Wen man recht hoch ehren wollte,
den schmückte man mit einem Eichenkranze.
Warum ist aber die Eiche so nützlich? Weil sie unter allen Bäumen
das festeste Holz liefert, das der Luft und dem Regen lange Zeit
widersteht. Man braucht es darum auch namentlich zu Brückenpfeilern,
Mühlwellen, Eisenbahnschwellen und zum Schiffsbau. Auch zum Bau
unserer Wohnungen ist das Eichenholz sehr wertvoll, und der Tischler
fertigt daraus allerlei dauerhafte und recht hübsch aussehende Gerät-
schaften.
107. Die Gäste der Buche.
Rudolf Baumbach.
1. Mietegäste vier im Haus
Hat die alte Buche.
Tief im Keller wohnt die Maus,
Nagt am Hungertuche.
2. Stolz auf seinen roten Rock
Und gesparten Samen,
Sitzt ein Protz im ersten Stock,
Eichhorn ist sein Namen.
3. Weiter oben hat der Specht
Seine Werkstatt liegen,
Hackt und zimmert kunstgerecht,
Daß die Späne fliegen.
4. Auf dem Wipfel im Geäst
Pfeift ein winzig kleiner
Musikante froh im Nest. —
Miete zahlt nicht einer.
108. Leb' wohl, du schöner Wald!
Hoffmann von Fallersleben.
1. So scheiden wir mit Sang und Klang:
Leb' wohl, du schöner Wald!
Mit deinem kühlen Schatten,
Mit deinen grünen Matten,
Du süßer Aufenthalt!
1912 -
Leipzig
: Wunderlich
- Autor: Bessiger, M. Alfred
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Unterrichtstheorie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
229
Sind so bleich,
Fallen gleich
Von des kalten Windes Weh'n,
Du mußt nackt und bloß dasteh'n.
Bäumchen, nicht so traurig sei!
Kurze Zeit
Währt dein Leid,
Und der Winter geht vorbei;
Bist nicht tot,
Grün und rot
Schmückt dich wieder übers Jahr
Gottes Finger wunderbar.
Hey.
(Freihofers Kinderbuch, 8. Ausl.
Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt.
Es ist ein Bäumlein gestanden im Wald
In gutem und schlechtem Wetter,
Das hat von unten bis oben
Nur Nadeln gehabt, statt Blätter.
Die Nadeln, die haben gestochen,
Das Bäumlein hat gesprochen:
„Alle meine Kameraden
Haben schöne Blätter an,
Und ich habe nur Nadeln,
Niemand rührt mich an.
Dürft' ich wünschen, wie ich wollt',
Wünscht' ich mir Blätter von lauter Gold."
Wie's Nacht ist, schläft das Bäumlein ein,
Und früh ist's wieder aufgewacht,
Da hat es goldene Blätter fein,
Das war eine Pracht!
Das Bäumlein spricht: „Nun bin ich stolz,
Goldene Blätter hat kein Baum im Holz!"
Und wie es Abend ward,
Ging ein Jude durch den Wald
Mit großem Sack und langem Bart.
Der sieht die gold'nen Blätter bald.
Er steckt sie ein, geht eilends fort
Und läßt das leere Bäumlein dort.
1875 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Grube, August W.
- Auflagennummer (WdK): 10
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrer- und Schülerbuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): offen für alle
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dann ward er zu verschiedenen Zeiten unterbrochen und wieder aufgenom-
men und erst zwischen 1496 und 1519 der Hauptmasse nach vollendet —;
die soliden, dicken, aus der Tiefe emporstrebenden Umfassungsmauern er-
regen unsere Bewunderung, das Labyrinth von Treppen und Brustwehren,
von Thürmen und Gewölben versetzt uns ganz in die rauflustige Zeit des
Mittelalters. Die Schloßkapelle enthält, aus rothem Marmor gehauen,
die Statuen der 12 Apostel und die Fahne, womit Maria Theresia bei
Beginn des schleichen Krieges hülfebittend unter die Ungarn trat. Wir
lassen uns dann die drei fürstbischöflichen Zimmer, welche Erzherzog Jo-
Hann in altem, doch immer noch bescheidenem Glänze wieder herstellen ließ,
zeigen und bewundern den schönen Ofen im Rittersaal, an dem jede Kachel
eine plastisch ausgeführte Szene darstellt; dann aber eilen wir in froher
Erwartung auf den Feuerthurm, die höchste Spitze der Festung, und stehen
wie geblendet vor dem wunderherrlichen Panorama, das sich nun vor uns
ausbreitet. Wir sind 400 Fuß über dem Domplatz, dessen Kirche und
Kuppel sammt den Thürmen sich vor uns sehr bescheiden erniedrigt haben.
Der Blick in das Salzachthal hinauf, aus dem zunächst Schloß Hellbrunn
uns entgegenglänzt, dann der Dürrenberg über Hallein, ist und bleibt
auch hier oben der Glanzpunkt; die hellen Kalkwände des wie eine Niesen-
schlänge sich ausstreckenden Tännengebirges (dessen höchste Spitze der
Raucheck 7476'), aus dessen finsteren Schluchten noch Schneemassen schim-
mern, welche der Julisonne Trotz bieten, und gegenüber der hohe Göll
mit seinen grünen Voralpen, aus welchem furchtbar schön die Schroffen
in kühnem Schwung emporstarren — sie sind die gewaltigen Herrscher
des Gemäldes, welche den Blick gefangen nehmen. Dieses nackte bleiche,
grauweiße und grauschwärzliche Kalkgestein — wie wird es lebendig im Licht
der Sonne, das darüber hinspielt, Abends und Morgens seinen Gold-
glänz darüber ergießt und alle Tage immer neue Schönheiten dieser starren
Massen offenbart! Da oben gras't kein Hausthier, keine Sennhütte und
keine Alpwiese ist zu finden, nur die flüchtige leichtfüßige Gemse darf es
wagen, das spärliche Gras aus den Felsspalten zu äsen. Aber das ist's
eben, was die Hochalpen so schön macht, daß sie uns die feste Erdrinde zeigen,
die noch nicht vom Pflug des Ackerbauers zerrissen ist, daß sie uns in ein
Gebiet versetzen, in welchem die Menschenarbeit mit ihren Sorgen und
Aengsten, das Menschenleben mit seinen Täuschungen und Verkehrtheiten
gar nichts gilt. —
Es war spät geworden, als ich vom Schloßberge herabstieg, und ich
verschob den Besuch des Kapuzinerberges auf einen folgenden Tag. Auch
im Genuß des Schönsten gilt es Maaß zu halten. Nicht immer freilich ist
die Gelegenheit günstig, denn das schöne Salzburg ist nicht blos berühmt,
sondern auch berüchtigt — wegen seiner vielen Regentage. Tegernsee,
Salzburg und der Salzberg bei Hall, der letztere ganz vorzüglich, scheinen
Lieblinge des Regengottes zu sein, der am ganzen Nordabfall des Gebirges
eifrig arbeitet. Doch das Wetter blieb schön und so sreuete ich mich nicht
1853 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Haesters, Albert
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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breitet sich die Krone lustig aus, und auch seine Blätter baben eine
angenehme Form. Im Frühlinge sehen wir ihn in seiner ersten Herr-
lichkeit vor uns aufgestellt. Ist er dann nicht einem großen Rosenstocke
zu vergleichen, woran Knospe an Knospe sich schmiegt? Denkt euch den
Baum dagegen, wie er noch zu Anfang des April erschien! Da stand
er kahl, seine Äste wie todte Balken, seine Zweige wie dürre Reiser.
Brachen wir eine Knospe ab, so war sie unansehnlich, wie ein zusam-
mengerolltes Kügelchen von grünem und gelbem Stoffe, woraus nimmer
das zu werden schien, was wir jetzt vor uns sehen. Hat sich aber das
Knöspchen entwickelt, so ist die braune Hülle auch abgefallen; zartere,
grüne Blättchen sind nun die Hülle der Blüthen, welche oft noch schüch-
tern hervorschauen und mildere Lüfte erwarten, um sich ganz zu er-
schließen. Diese in der Enthüllung begriffenen Knospen sind unmu-
thiger, die bereits entfalteten aber herrlicher. Jene, mit dem Grün
der Hoffnung umhüllt, sagen uns: Bald wird's erscheinen, und wir
wünschen und hoffen; — diese sagen uns: Gs ist erschienen, und wir
rufen erfreut: O wie herrlich!
Aber aus der Pracht soll der Segen hervorgehen; darum ver-
schwindet sie nach kurzer Zeit. Seht, schon fallen die Blüthenblättchen
nieder, wenn geflügelte Sänger nur durch ihre geschmückten Festhallen
durchschlüpfen! Bald werden sanfte Lüfte, die uns jetzt den Blüthenduft
zuwehen, die Blüthenblättchen selbst mit fortführen und auf den grünen
Rasen streuen. Eine Zeit lang bleibt uns dann nur der Baum mit
seinen frischen grünen Blättern als Hoffnungszeichen; aber hernach
kommt die Zeit der schönsten Erfüllung. Allmählig färben sich die
aus dem Laube hervorblickenden Äpfel, sie werden größer und schöner;
endlich neigen sich schwerbeladen die Äste und Zweige. Die Blüthen
waren unzählig, und wer übersieht die Fülle der Früchte! Hätten aber
alle Blüthen Früchte gebracht, der Baum hätte seine Last nicht tragen
können und hätte brechen müssen. Wie weise und gut! Und glänzt
die Herbstsonne auf den Äpfeln, und haben sie lange genug getrun-
ken den kühlen Morgenthau, dann strecken wir gern die Hände nach
den erquickenden Gaben aus. Wir sammeln mit Wonne die ange-
nehm duftenden Äpfel, die so kühl durch unsere Hände gehen und uns
sagen: Uns hat Allmacht und Weisheit geboren, und die Liebe
spendet uns.
Hat so der Baum seine Gaben dargereicht, dann verkünden seine
gelben und braunen Blätter uns nach kurzer Zeit sein baldiges Ein-
schlafen. Sie fallen ab und düngen den Boden, aus welchem der
Baum fürs kommende Frühjahr wieder seine Kraft zieht. Ja, der
Apfelbaum ist schön. Er hebt seine Spitze zwar nicht kühn und stolz
empor, gleich der Tanne oder Pappel; aber seine dichte Krone breitet
sich doch über dem Stamme in Anmuth und Würde aus. Er erfreut
uns nicht bloß durch äußere Schönheit, sondern auch durch die Fülle
nützlicher Gaben.
1884 -
Wismar
: Hinstorff
- Autor: Schraep, J.
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch, Lehrbuch
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und das Bad hab ich erst auszustehn, ich muss durchs Wasser
jetzt und dann durchs Feuer gehn; und alles, ivas man mir
nur Hartes angethan, beschließt das Messer und der Zahn.
(Aus Bert heit Lebensbilder 2.)
27. Abendgedanken im Sommer.
Giebt es etwas Schöneres als die lauen Sommerabende, wenn
sie von uns in Nuhe und Herzensfreude genossen werden? Sollte
es Menschen geben, welche ihre Schönheit nicht empfinden und gleich-
gültig dagegen sind?
Jedem gefühlvollen Menschen bringt ein schöner Sommerabend
hohen Genuß, himmlischen Reiz. Die untergehende, eben unsern
Augen entschwundene Sonne sendet uns den letzten Scheidegruß in
dem herrlichen Abendrot, das sein Goldnetz über den fernen Wald
und die Berge spannt. Welche süße Stille herrscht ringsum! Die
Tiere des Feldes und Waldes suchen ihre Ruhestätte und selbst die
Blumen schließen ihre Kelche. Nur hie oder da tönt aus den Kirch-
dörfern oder der nahe gelegenen Stadt die Abendglocke und unter-
bricht ans wohlthuende Weise die friedliche Stille. Eine sanfte Kühle
erfrischt nach heißem Tage den Menschen, und selbst die Blumen
hauchen neugestärkt süßeren Duft. Wie ruht die ganze Natur so
zufrieden, so feierlich!
Welche Gefühle weckt ein solcher Sommerabend in der empfäng-
lichen Menschenbrust! Ungehört, aber dem ganzen innern Menschen
vernehmbar spricht das in sich gekehrte Herz: Ach, möchte auch mein
Lebensabend so heiter und sabbathstill sein, wie dieser Sommerabend!
Möchte dann auch die Gnadensonne mir ihre Grüße senden und mich
schmücken, wie jenes Rot am westlichen Himmel diesen Abend schmückt!
Eine bleibende Heimat haben wir hier nun einmal nicht; wo diese
zu suchen ist, das zeigen mir die aufgehenden, funkelnden Sterne,
die mich zugleich mahnen wollen, daß ein rechtes Christenherz von
einer Sehnsucht nach oben getragen werden soll immerdar.
(Nach Ritsert-Wagner's Stillehre S. 292.)
28. Der Kirschbaum.
Wie prangt der Kirschbaum hoch und schön und neigt die
vollen Äste! Er scheint uns freundlich anzusehn als seine lieben
Gäste.
Wie glänzt und schwanket voll und rund die Kirsch' an allen
Zweigen, als wolle sie zu unserm Mund von selbst herab sich neigen!
Seht ihre Bäckchen, rot und schön, versteckt im Laube blinken,
und wenn die Sommerlüftchen weh'n, vom Baum' uns freundlich
winken.
Wir aber stehn umher im Kreis mit freudevollen Blicken; her-
nieder schwebt das volle Reis, wir jauchzen, Haschen, pflücken!
Wie lieblich, o wie kühl und frisch zerschmilzt die Kirsch' im
1892 -
Leipzig
: Amelang
- Autor: Fix, Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 28
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
208
217. Die Pflanzenwelt im Herbste.
Der Herbst hält seinen Einzug unter dem Geleite der Spätsommer-
blumen und bringt uns helle Tage mit durchsichtiger Atmosphäre, welche
dem Auge nur wenige Hindernisse in den Weg legt und einen fast un-
begrenzten Blick in die Weite gestattet.
Die Ob st bäume, welche in unserm Vaterlande Gehöfte und
Weiler, Dörfer und Städte mit einem grünen Kranze umgeben, die
Straßen entlang stehen und selbst in vereinzelten Gruppen auf Wiesen-
grund und Flur einen Platz finden, bedecken sich mit ihren in allen
Farben prangenden Früchten, welche uns von den Ästen und Zweigen
entgegen lachen. Die Rebe, welche in einzelnen Gegenden Fenster und
Thüren der ländlichen Wohnungen mit ihren lebhaft grünen, schön ge-
lappten Blättern umrankt, in andern die nach Süden gelegenen Ab-
hänge der Berge schmückt, läßt ihre roten und weißen Trauben mit
ihren feucht angehauchten Beeren in den goldenen Strahlen der Herbst-
sonne erglänzen.
Die Wiesen kleiden sich nach der zweiten Ernte noch einmal in
ein lebhaftes Grün, welches an den dunkleren Erlen, sowie an dem Gelb
der Weiden und Pappeln einen herrlichen Hintergrund findet, während
einzelne Gruppen von grasenden Kühen und lustig sich tummelnden
Kinderscharen das herbstliche Bild beleben.
Endlich pflückt der Mensch die Früchte, welche die ersten sonnigen
Wochen des Herbstes gereift haben, von den Bäumen und beraubt diese
ihres schönsten Schmuckes, welchem schon hie und da die Blätter nach-
fallen. Mit festlichem Gepränge, unter lautem Jubel und schallendem
Gesang, schneidet der Winzer die Traube, um ihren Saft auszupressen,
damit er im dunklen Keller sich umwandle in den funkelnden Wein,
welcher das Herz des Menschen erfreut.
An neuen Blüten bringt der Herbst nur wenige. Die Riicken
sandiger Hügel und Berge überkleidet das zarte Rot des gemeinen Heide-
krauts. Stellenweise an Rainen und Wiesenrändern lugen die Blümchen
des Augentrostes hervor, während auf Feldern und Triften einzelne
Arten aus der Schar von Unkräutern noch im Blühen begriffen sind,
von denen namentlich Kreuzkraut und Miere bis in die spätesten Tage
des Jahres ausdauern.
In voller Pracht aber erscheint der herbstliche Wald. Die
Wipfel und Äste seiner Bäume sind in die glänzendsten Farben gekleidet.
Schon in den ersten Tagen des Herbstes leuchten vereinzelt die gelben
Wipfel der Birke aus dem umgebenden Grün des Forstes hervor, zu
denen sich am Saume des Waldes die minder lebhaft gefärbten Spitzen
der Äste und Zweige von Weißbuchen und weiter drüben auf Wiesen
und Feldern einzelne flammendrote Vlätterstreifen der Birnbaumkrone
gesellen. Das graue Grün der Rotbuche geht allmählich in ein feuriges
Braun und Braunrot über, ehe die salb gewordenen Blätter sich von den
Zweigen lösen, um am Boden der Verwesung anheim zu fallen. Selbst
die ernste, stolze Eiche nimmt an dem Wechsel teil und mischt sich in die
bunte Reihe, indem sie, wenn auch nur auf kurze Zeit, ihre Blätter in allen
Abstufungen vom gelblichen Grün bis zum feurigen Gelbrot erglänzen läßt.
1913 -
Frankfurt a.M.
: Diesterweg
- Hrsg.: Stridde, H., Herrmann, Fritz, Schulze, Otto, Plönnigs, A., Hupfeld
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
31
sterben schon im Juni ab. Die Eichenwälder haben mehr Unterwuchs: Lrom-
beere, Himbeere, Stechpalme, Holunder, Zaulbaum, die giftige Tollkirsche,
Schlüsselblume, Karne und Moose.
Herbstfärbung und Laubfall.
Die meisten Laubhölzer werfen im herbst ihre Blätter ab. Dor dem Laub-
fall wandern die wertvollen Baustoffe in die Aste und in den Stamm ab.
während dieser Stoffwanderung schwindet auch das Grün der Blätter. Der
grüne Karbstoff ist zerstört,- eine Neubildung findet nicht mehr statt. Daher
erscheinen die Blätter bei einigen Pflanzen gelb (Birke, Ahorn, Weißbuche,
weiden), bei anderen in herrlichem Not (wilder wein, Nirschbaum, Tssigbaum,
Heidelbeere, Mispel, Eberesche, Noteiche),- Espe, Eiche, Brombeere, Buche zeigen
orange- bis braungelbe, gelbrote bis braunrote Karben!öne,- die Blätter des Hart-
riegels sind blauviolett. Die Notfärbung deutet das Dorhandensein von Säuren
im Zellsaft der Blätter an. Kehlen Säuren ganz, so verfärben sich die Blätter
blau, bei etwas Säure violett. Die Herbstfärbung bildet sich am schönsten
bei trockenem, warmem Wetter aus. Besonders die gemischten Wälder (Nadel-
und Laubhölzer aller Art) zeigen dann einen Reichtum an Karben, wie ihn das
Krühlingskleid der Erde und die tropischen Urwälder kaum aufweisen können.
Zst die Stoffwanderung beendet, dann entsteht am Grunde des Blattstieles eine
Norkschicht. Diese lockert den Zusammenhang zwischen Blatt und Ninde so
sehr, daß ein leichter Windstoß oder auch das eigene Gewicht des Blattes ge-
nügen, das Abfallen zu bewirken. Zugleich verschließt die Norkschicht die Wunde.
Ein Verlust an Stoffen ist mit dem Laubfall immerhin verbunden.
Das tote Gerüst der Blätter geht verloren und muß im Krühjahr wieder auf-
gebaut werden. An den entlaubten Bäumen werden aber auch die Nnospen
besser belichtet und dadurch wird ihre Entwicklung mehr gefördert als an immer-
grünen. Das Abwerfen der breitflächigen Blätter erschwert die Auflagerung
von großen Schneemassen. Die Bäume leiden deshalb nicht unter Schnee-
druck und -bru ch. Diel wichtiger ist der Laubfall im Hinblick auf die wass er-
Versorgung im Winter. Zn der kalten Jahreszeit nehmen die wurzeln
wenig Wasser auf, bei Krost gar keins. wären die Bäume dann noch belaubt,
so würden die Blätter mehr Wasser verdunsten, als nachströmen könnte,- sie
müßten vertrocknen. Dor dieser Gefahr schützt sie das Abfallen des Laubes.
Die kahlen Bäume haben eine kleine Oberfläche, die durch Nork bzw. Borke und
derbe Nnospenschuppen für Wasser wenig durchlässig gemacht ist. Die Ver-
dunstung ist deshalb während des winters auf ein ganz geringes Maß be-
schränkt. Trotzdem ist der Winter für die Laubhölzer nicht eine Zeit voll-
ständiger Nuhe. Die wurzeln entfalten in dem gut durchlüfteten Boden ein
lebhaftes Wachstum. Nur durch den Krost wird diese Wurzeltätigkeit unter-
brochen.
Gänsefichgewächse.
Die Runkelrübe.
Ihre Stammform wächst wild an den Rüsten des Mittelmeeres und
hat eine holzige Wurzel. Durch fortgesetzte Pflege und Auslese ist die Nult Ur-
form entstanden mit dicker, fleischiger, saftiger Wurzel. Die Wurzel ist
Speicherorgan,- erst im zweiten Zahre wächst ein hoher Stengel mit Blüten
und Krüchten hervor; die Kortpflanzung geschieht durch Samen. Die pflanzen,
1914 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
202
auf langen Stielen hatten, eine ganze Menge. Viele Blumen standen
immer dicht nebeneinander wie fertige kleine Sträuße. Ich steckte mir
einen an, Vater wollte keinen. Der Stengel war aber zäh, man mußte
ihn mit dem Messer abschneiden.
„Sie riechen so schön!" rief ich erfreut. Ich pflückte eine Menge
blühender Weißdornzweige. Als ich sie eine halbe Stunde getragen
hatte, ließen sie schon die Köpfe hängen. Zu Hause, im Wasser, er-
holten sie sich wieder, aber der schöne Geruch war verschwunden. —
„O Mutter, wärest du mit gewesen heut morgen und hättest die
hübsche Hecke gesehen, und wie da die weißen Blüten zwischen dem
saftigen Grün und Rot der Blätter standen, und wie sie im Sonnen-
schein dufteten, und wie die Bienen um sie herumflogen — es hätte
dir auch gefallen!" rief ich, als wir heimkamen.
Mutter seufzte.
„Ja, wenn ich nicht immer für euch flicken müßte, dann könnte
ich auch mal mitgehen." —
Gestern ist nun Mwtter auch mitgegangen. Es war solch ein schöner
Oktobertag. Wir kamen wieder zu der Hecke. „Siehst du, da ist die
Hecke!" sagte ich. Sie sah aber doch ganz anders aus. Zwar hatte
sie noch viele, viele Blätter, aber sie waren braun und blank und hart
wie Leder. „Ich sehe keine Blumen mehr!" rief ich traurig. „Aber
ich sehe Mehlbeeren, rote Mehlbeeren in Hülle und Fülle!" sagte Mutter.
Und wir aßen davon und nahmen noch viele mit nach Hause für unsere
größte Vlumenvase. Sie gaben einen schönen Herbststrauß, die braunen
Blätter mit den roten Beeren.
206. Hans und die Spatzen.
Rudolf Ldwenstein.
1. „Ach, Vater, sprich, wie fang' ich's an,
Daß ich die Spatzen fangen kann?
Die Spatzen!"
2. Der Vater spricht: „So streu', mein Hans,
Hübsch Salz den Spatzen auf den Schwanz!
Den Spatzen!"
3. Drauf nimmt er eine Hand voll Salz
Und lauert mit gestrecktem Hals
Auf Spatzen.
1853 -
Oppenheim a.Rh. [u.a.]
: Kern
- Autor: ,
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Regionen (OPAC): Hessen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
28
57. Der Spätherbst.
Die Luft hat ihre balsamischen Gerüche und ihre Wärme ver-
loren, ihre Heiterkeit ist in Nebel und feuchte Wolken entwichen; die
Schwalbe ist verschwunden, und die Melodie der Vögel verstummt.
Die Gärten zeigen nur welkende Kräuter, entfärbte Reste abge-
fallener Blumen, beraubte Fruchtbäume. Die Lilienbeete, um welche
sonst bunte Schmetterlinge schwebten, werden von einsamen Raben be-
sucht, die für ihre Nahrung umherspüren. Geleert von ihren Schätzen
und öde liegen die Felder da; ermattet ist das Grüne der Hügel und
dicke Luft umdampft die Stirne der Berge.
Melancholisch erhebt der Wald seine gelben Gipfel, wirft feine
Blätter, die so oft die schlagende Nachtigall verbargen und uns am
Mittage kühlten, in den schmutzigen Staub herab und läßt sie ein
Spiel der Winde werden. Wie rührend ist dieser Anblick der ent-
blößten Natur! Wie unvermerkt zerfließt ein fühlendes Herz in stille
Wehmuth, wenn wir an den Stellen, wo tausend Schönheiten reizten,
sie abfallen, welken, verwesen, und eine öde Unfruchtbarkeit sich aus-
breiten sehen! Ein Bild weckt das andere, und wir erblicken in dem,
was wir in den Veränderungen der Natur wahrnehmen, uns selbst
und das, was wir zu erwarten haben.
Welche Güter dürfen wir darum sehnlicher begehren, als die,
welche den Verwüstungen der Zeit entgehen und mit der Unsterblichkeit
unsers Geistes fortdauern? ' ' Gockels Stilistik«
58. Der Sonnenuntergang.
Von Osten her erschien die majestätische Sonne, verbreitend Leben
rind Wonne rings umher. Immer höher stieg sie, immer senkrechter
fielen ihre Strahlen. Jetzt hat sie ihre Bahn am Himmel bald vol-
lendet; tief im Westen steht sie schon, ganz schräg ihre Strahlen zur
Erde werfend. Die drückende Hitze des Tages ist verschwunden.
Weniger blendend ist der Sonne glänzende Scheibe, die allmälig mehr
und mehr im röthlichen Farbenspiel sich zeigt und größer dem Auge
erscheint bei ihrem Untergänge, als zu den andern Tagszeiten, da sie
belebende Wärme über die Erde ausgoß. Endlich rückt ein Theil ihrer
Scheibe unter unsern Gesichtskreis, und unser ganzer Horizont ist mit
rothem Lichte gefärbt. Leichte Wolken umgeben die Königin des Tages
und schillern tu den mannigfaltigsten Farben. Endlich ist sie ganz
unserem Auge entschwunden; aber hell erleuchtet ist das Gewölbe in
der Nähe der eben verschwundenen Sonne. Doch auch diese Helle
verschwindet nach und nach und — die Dämmerung beginnt.
Da ruht der thätige Arbeiter, der des Tages Last und Hitze ge-
tragen; er freut sich des vollbrachten Tagewerks und genießt die er-
frischende Kühle des Abends.
Heim aus den Fluren zieht der Heerdeu frohe Schaar, die ge-
wohnten Ställe füllend, gefolgt von dem sorglichen Hirten.
Der Städter genießt im Freien die reine und erquickende Luft
und kehrt fröhlich und erquickt in den Kreis der Seinigen zurück.
1901 -
Kiel
: Lipsius & Tischer
- Autor: Lund, Heinrich, Suhr, Wilhelm
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
V. Aus dem Naturleben.
283
Schirm und Schutz, ihr freundlicher Ernährer. Mit seinem starken Körper
wehrt er am Meere dem Vordringen des verzehrenden Dünensandes; mit seinen
kräftigen Gliedern stemmt er sich im Hochgebirge dem zerstörenden Bergrutsch
entgegen und fängt mit tausend Armen die Lawinen auf, um sie mitten in
ihrem verheerenden Laufe zu hemmen, zu bannen. Mit seinen Fingern zieht
er den tränkenden Schatz der eilenden Wolke herab, sammelt ihren Inhalt und
sendet ihn durch hundert Quellen und Bäche zur Labung der Lande hinaus.
Und unsre herrlichen Ströme, der Stolz unsers Vaterlandes, preisen vielleicht,
im Wogenschwall des Meeres sich verlierend, noch den heimatlichen Wald, wo
sie als kleine Bergquellen jene Kraft sammelten, mit der sie, groß geworden,
durch die Lande rauschen: Segen bringend, Schiffe tragend und die Schönheit
der Landschaft und das Leben des Volkes in ihren Fluten spiegelnd.
Unsre Vorfahren wußten, was sie au ihren Wäldern hatten, unter deren
Schatten sie wohnten. In heiligen Hainen empfanden sie die Nähe ihrer wohl-
thätigen Gottheit, die sie im Säuseln des Laubes und in dem Toben einer
Sturmnacht vernahmen. Immer noch waltet dort die schirmende, erhaltende
Naturkraft mit ihrem schöpferischen Segen am sichtbarsten. Als eine Schutz-
mauer des Landes steht der Bergwald, daß die zerstörende Wut der Stürme
sich an ihm breche. Aber die trocknen, versengenden Winde durchtränkt er mit
seinem feuchten Atem. Und in den vorübersausenden Luftstrom haucht er aus
seinen frischen Gründen, aus seinen Millionen grüner Blätter und Nadeln
heilsamen, stärkenden Lebensstosf, der draußen so manches unfruchtbare Gefilde
erfrischt, die Dünste der Ebene verdrängt, luftreinigend und segenträufend über
die Häusermasse der Stadt wogt und die bleichen Wangen ihrer Bewohner
erquickend anweht. So wirkt der Bergwald noch in weite Ferne. Wehe aber
dem Volke, das seine Wälder nicht ehrt! Wehe dem Lande, das sich seiner
Forste beraubt! Der Fluch der Verödung ruht auf ihm.
Noch grünen und rauschen in Deutschland die Forste, in der Ebene und
auf den Höhen, — man hat gelernt, sie zu ehren und zu schützen. Stolz sieht
das Vaterland auf seine herrlichen Bergwälder, die unsre Gebirge schmücken,
— und selbst wo unser Auge sich uicht an ihrer Frische zu weiden vermag,
singen wir noch begeistert:
„Wer hat dich, du schöner Wald,
aufgebaut so hoch da droben?
Wohl den Meister will ich loben."
Wohl gedenken wir dabei der erhabenen Ruhe, der feierlichen Stille auf
der grünen Höhe, wo wir einmal zwischen Eichen und Tannen hoch am Felsen-
rande hinwanderten, wo weithin vor unsern trunkenen Augen das Waldgebirge
stch breitete, Rücken an Rücken, Kuppe an Kuppe, ein grünes, wogendes Meer.
Oben grasen einsam die Rehe, — dort, wo der Sauerklee, die Kreuzblume oder der
Waldmeister am duftigsten blühen, — aus der Bergwiese, die unter dem Strahle
der Morgensonne am lieblichsten erglüht, und auf die die Sterne am freund-
lichsten blicken, wenn die Vögel in den Zweigen schlummern und träumend
1910 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Autor: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
249
immer dicht nebeneinander wie fertige kleine Sträuße. Ich steckte mir
einen an, Vater wollte keinen. Der Stengel war aber zäh, man mußte
ihn mit dem Messer abschneiden.
,,Sie riechen so schön!" rief ich erfreut. Ich pflückte eine Menge
blühender Weißdornzweige. Als ich sie eine halbe Stunde getragen
hatte, ließen sie schon die Köpfe hängen. Zu Hause, im Wasser, er-
holten sie sich wieder, aber der schöne Geruch war verschwunden. —
„O Mutter, wärest du mit gewesen heut morgen und hättest die
hübsche Hecke gesehen, und wie da die weißen Blüten zwischen dem
saftigen Grün und Rot der Blätter standen, und wie sie im Sonnen-
schein dufteten, und wie die Bienen um sie herumflogen — es hätte
dir auch gefallen!" rief ich, als wir heimkamen.
Mutter seufzte.
,,Ia, wenn ich nicht immer für euch flicken müßte, dann könnte
ich auch mal mitgehen." —
Gestern ist nun Mutter auch mitgegangen. Es war solch ein schöner
Oktobertag. Wir kamen wieder zu der Hecke. „Siehst du, da ist die
Hecke!" sagte ich. Sie sah aber doch ganz anders aus. Zwar hatte
sie noch viele, viele Blätter, aber sie waren braun und blank und hart
wie Leder. „Ich sehe keine Blumen mehr!" rief ich traurig. „Aber
ich sehe Mehlbeeren, rote Mehlbeeren in Hülle und Fülle!" sagte Mutter.
Und wir aßen davon und nahmen noch viele mit nach Hause für unsere
größte Blumenvase. Sie gaben einen schönen Herbststrauß, die braunen
Blätter mit den roten Beeren.
24y. Hans und die Spatzen.
Rudolf Löwenstein.
1. „Ach, Vater, sprich, wie fang' ich's an,
Daß ich die Spaßen fangen kann?
Die Spatzen!"
2. Der Vater spricht: „So streu', mein Hans,
Hübsch Salz den Spatzen auf den Schwanz!
Den Spatzen!"
3. Drauf nimmt er eine Hand voll Salz
Und lauert mit gestrecktem Hals
Auf Spatzen.
1910 -
Frankfurt am Main
: Diesterweg
- Autor: Breidenstein, Heinrich
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
mal setzte er sich hin. Dann sah ich, wie seine hübschen, gelben Flügel
sich nach oben zusammenklappten und leise zitterten, aber wenn ich die
Hand ausstreckte — schnell war er wieder weg!
Fritz wollte nach dem Schmetterling werfen. Er warf seinen Hut
nach ihm. Plötzlich lag Fritz im Graben und sein Hut auch. Wir lachten
und schrien: „Bist du naß?"
Fritz lachte auch. ,,Nein, es ist ja beinahe kein Wasser im Graben;
aber ich habe etwas gesunden, etwas Wunderschönes! ftommt schnell
her!"
W-r sprangen alle drei zu Fritz in den Graben.
„Ach, eine Primel! eine gelbe Primel ist es! und schon ganz auf-
geblüht!" sagte Otto verwundert. Die Primel war sehr hübsch. Ein
ganz gerader, kurzer, wolliger Stengel kam aus dem feuchten Boden.
Unten um den Stengel waren flach ausgebreitet hellgrüne, etwas läng-
liche Blätter mit vielen Adern. Oben am Stengel standen drei hell-
gelbe Blumen, und viele knospen waren noch daneben.
Wir fanden noch zwei Primeln an dem Graben, aber sie waren
noch nicht aufgeblüht.
Neben dem Graben war eine kleine, sonnige Wiese ohne Bäume.
Das Gras war noch braun. Es roch sehr gut und glänzte in der Sonne.
Wir lagerten uns und verzehrten unsere Butterbrote. Dabei fanden wir
noch etwas. Es waren dünne, graue Zweige mit dicken, hellgrauen,
wolligen knospen. Seidenweich waren sie und so hübsch. Es waren
Weidenkätzchen. Wir mutzten die Zweige mit dem Messer abschneiden,
zum Abbrechen waren sie zu zäh.
Unsere Hände waren ganz rot und blau vor Ställe, unsere Stiefel
waren ziemlich schmutzig, und unsere Beine ziemlich müde, als wir nach
Hause kamen.
Aber ich glaube, es war der schönste Spaziergang, den ich ge-
macht habe. Und als ich meine Botanisierdose aufmachte und Efeu-
zweige, silbergraue Weidenkätzchen, grüne Moospflänzchen, rosa und
weitze Osterblumen, grüngelbe Haselnutzkätzchen und gelbe Primeln zum
Vorschein kamen, da freuten sich alle zusammen und wunderten sich,
datz so ganz unbemerkt, während in der Stadt noch alles winterlich
kahl und leer aussah, im Walde schon wieder der liebe Frühling ein-
gezogen war.
1875 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Grube, August Wilhelm
- Auflagennummer (WdK): 14
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrer- und Schülerbuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): offen für alle
416
umweht, wenngleich sie auch dort wenig erquickenden Schatten finden.
Die Herrlichkeit der Sommernächte ist dagegen unbeschreiblich, besonders
wenn der Vollmond vom reinen, beinahe schwarzblauen Himmel hernieder-
strahlt, mit einer Pracht, von der uns unsere kältesten Winternächte eine
Vorstellung geben können. Auch eilt dann Alles hinaus, und selbst ange-
sehene Familien sieht man in den Straßen vor den Hausthüren sitzen, um
der trefflichen Kühlung der wunderschönen Nacht zu genießen.
So wie der Abend des Tages, so ist auch der Abend des Jahres,
der Herbst, die schöne Jahreszeit. Mild und segensreich herrscht er vom
October an bis spät in den December; ost braucht man erst im Februar
Kaminseuer anzuzünden. Die kalte Regenzeit, die hier zu Lande Winter
heißt, dauert etwa drei Wochen. Auch während derselben bleibt die Lust
mild, und selten merkt man Morgens srüh ein wenig Reif oder dünnes
Eis; ein paar Stunden Schnee sind die größte Seltenheit. Der wunder-
schöne Frühling schließt sich so eng an den Winter, daß man kaum seinen
Anfang, wohl aber sein Fortschreiten bemerkt; er wäre der Herrlichstein
der Welt, wenn nicht der schneidend kalte, Alles austrocknende M i st r e l
gerade in dieser Zeit am heftigsten wehete.
Die hohe pittoreske Schönheit des Landes um Marseille entzückte uns
jeden Tag auf's Neue. Obgleich es der Gegend ganz an ländlichem Reize
frischer Wiesen und schattender, großer Bäume fehlt, so wurden wir es
doch nicht müde, uns der prächtigen Felsen, des Meeres, der wunderbaren
Pflanzenwelt zu erfreuen; die Marseiller hingegen konnten gar nicht be-
greifen, was uns an dem nackten Gestein entzückte. Ihr Ideal von Schönheit
der Natur ist gerade Das, was ihnen als das Seltenste erscheint. Wo
sie nur ein frisches, grünes Plätzchen, von ein paar großen Platanen oder
Ulmen beschattet, und eine kühle Quelle wissen, da wallfahrten sie hin,
betrachten es als ein Wunder, freuen sich darüber ohne Ende, und lachten
über uns, die wir in der Begeisterung für ihre große Natur uns fast zu
Asche verbrennen ließen.
„Schloß Borelly und Eygalades müssen Sie sehen, wenn Sie unsere
Gegend in ihrer höchsten Schönheit kennen lernen wollen," war das ewige
Lied unserer Marseiller Freunde; auch ruhten sie nicht, bis sie uns hin-
gebracht hatten. Beide Orte sind in nicht sehr weiter Entfernung von
der Stadt; wir kamen zuerst nach Eygalades und fanden zu unserm Er-
staunen eine ganz deutsche Gegend. Eine kleine grüne Wiese, durch welche
sich ein lustiges Bächlein windet, ein kleines Weizenfeld, dessen Aehren
aber schon jetzt, im Anfänge des Monat Mai, so groß waren, daß wir es
kaum dafür erkannten, und einige herrliche Platanenbäume von ausgezeich-
neter Größe und Schönheit, daneben ein recht hübsches Landhaus, um das
wir uns aber weiter nicht bekümmerten.
Im Schlosse Borelly fanden wir es ungefähr eben so; das Gebäude
ist viel weitläufiger und in größerm, vornehmerm Styl erbaut, nach Art
aller französischen Schlösser auf dem Lande. Es enthält sogar eine der
1890 -
Langensalza
: Schulbuchh.
- Autor: Seidel, L. E.
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 1 – Primarstufe, Klassen 1 – 4/6
144
aus, als an trüben Tagen. Die Sonne geht gold-glänzend am Himmel
auf, und einen solchen Glanz nennen wir am Morgen Morgenglanz.
Im Walde giebt es auch Hasen, Hirsche, Rehe, Eichhörnchen, und
in fremden Ländern Wölfe, Bären und Löwen. Ein schönes Tier ist
der Hirsch. Hier ist derselbe abgebildet. (Bild!) Was trägt er auf
dem Kopfe? Sprecht: Der Hirsch trägt auf dem Kopfe ein schönes
Geweih. Neben dem Hirsch steht ein anderes hübsches Tierchen.
Nenne den Namen dieses Waldtieres! Sprecht: Das Reh ist kleiner
als der Hirsch. Welche Farbe haben beide Tiere? Wo leben Hirsche
und Rehe? Was thun die Hirsche und Rehe nach unserem Gedichte?
„Und Hirsch und Rehe springen
So lustig wie zum Tanz!"
Ferner heißt es:
„Bon icdcm Zweig und Reise,
Hör' nur, wie's lieblich schallt!
Sic singen laut und leise:
Kommt in den grünen Wald!<"
Wie schallt es im Walde? Lieblich. Woher schallt es lieblich?
Von Zweig und Reise. Reis — Ast. Was ist mit dem lieblichen
Schall gemeint? Der Gesang der Vögel. Wie singen die Vögel im
Walde? Laut und leise. Nenne Vögel, welche laut, und einige, welche
leise singen! Dieser herrliche Gesang klingt ebenfalls wie eine Ein-
ladung; es ist als ob die Vögel sagen wollten:
„Kommt in den grünen Wald!"
Und wie schön ist's im Walde, wenn die Bäume wieder grün sind,
wenn aus Busch und Gras freundliche Blumen winken, wenn der
Kuckuck ruft und tausend andere Vögel fröhlich ihre Lieder singen!
Wie Säulen stehen sie da. die schlanken Stämme der Buchen! Alle
sind schön rund, die saubere Rinde ist glatt und silberweiß. Unten
am Boden zwischen dem Laube kriecht der Epheu hin. Und anders-
wo die lieblichen weißen Blümchen! Das sind lieblich duftende Mai-
glöckchen. Noch viele andere Blumen wachsen im Walde, weiße und
rote, gelbe und blaue, so daß du dir bald ein buntes Sträußchen
binden kannst.
Hinaus, hinaus zum grünen Wald,
Wo alles singt und klingt,
Wo froh der Vögel Lied erschallt,
Daß cs zum Himmel dringt!
Dort singet hell die Nachtigall,
Der Distelfink stimmt ein,
Die Drossel schlägt mit lautem Schall
Das muß ein Jubel sein!
1856 -
Darmstadt
: Diehl
- Autor: Curtman, Wilhelm Jakob Georg
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
— 122 _______
88 Die Frühlingsblumen.
Endlich ist der Winter mit seinem starren Frost und Schttcc gc-
wichen, die Sonne besiegt die Kälte und ihre Strahlen dringen erwär-
mend in den Boden ein. Noch sind zwar die Bäume nicht belaubt, aber
die Knospen schwellen auf, und hier und da brechen schon Blüthen her-
vor. Aus der Erde dringen grüne Grasspitzen und hinter dem Schutze
der Hecke zeigen sich auch schon die Schneeglöckchen in voller Blüthe,
als die ersten Verkündiger des Frühlings. Zu einer anderen Zeit wür-
den ihre einfachen Blüthen mit ihrem unangenehmen Gerüche nicht soviel
Aufmerksamkeit erregen, aber jetzt nach so langer Entbehrung betrachten
wir sie mit dem größesten Wohlgefallen. Auch einige Veilchen wagen
sich schon mit ihren bescheidenen dunkelblauen Blümchen aus den herz-
förmigen Blättern hervor, und werden ihren Kelch bald weiter öffnen
und ihren Duft in dem ganzen Umkreise verbreiten. Noch aber ist es
nicht Zeit, ganze Sträußchen zu pflücken, und in Töpfchen in die Stube
zu stellen oder gar Kränze daraus zu winden. Wie gering jetzt noch
die Ansprüche an den Blumenflor sind, sieht man daraus, daß der frische
Rasen mit seinen unbedeutenden Gänseblümchen schön gefunden wird,
und wie nicht blos Kinder, sondern auch Erwachsene dieselben als Zei-
chen einer schöneren Jahreszeit begrüßen. In wenigen Tagen werden
auch die gelben Schlüsselblumen ihren Kelch öffnen, die blassen
Knospen sieht man schon deutlich aus dem Grase der Wiesen hervor-
ragen, und die Bienen werden nicht säumen auf ihren ersten Ausflügen
die Süßigkeit dieser Blüthen zu benutzen.
In den Gärten hat die Kunst schon manches Schöne hervorgelockt,
was ohne menschliche Pflege gewiß noch nicht zu sehen wäre. Welch
herrlicher Flor von Aurikeln und Primeln! braun, röthlich, gelb,
einfarbig oder mit Einfassungen und Alles wie mit Sammet überzogen.
Am niedlichsten sieht der Staub aus, mit welchem diese Blumen gleich-
sam bepudert sind, und wodurch die Hauptfarbe so niedlich durchleuchtet.
Die Stöcke sind niedrig am Boden, man meint, sie scheuten sich ckn der Höhe
von dem Froste getroffen zu werden. An Blättern und Stengeln sieht man,
daß Aurikel rind Primel irichts Anderes sind als veredelte Schlüsselblumen.
Noch reizender sind die reichen Blüthentrauben der Hyazinthen. Der
ganze Stengel ist mit Blumen überdeckt und diese Blumen sind so zier-
lich gestaltet, so prachtvoll gefärbt, daß man nach den fast schilfartigen
Blättern nicht fragt und auch den Mangel des Duftes nicht sehr beach-
tet. Hinter den Fensterscheiben des Zimmers hat man schon im Januar
die herrlichsten Hyazinthen gesehen, denn in Töpfen treiben die Zwiebeln,
sobald nur einige Sonnenstrahlen die Ofenwärme unterstützen.
Auch den Tulpen und Narzissen sieht man an, haß sie bald
ihre Blüthen öffnen werden, dann wird der ganze Garten ein großer
Blüthenflor sein, denn zu dieser Zeit sind auch die Obstbäume mit ihrem
Prachtkleide bedeckt und die Bienen wissen nicht, wohin sich zuerst wen-
den. Und geht man in den grünenden Wald, so begegnet uns das
schneeweiße Maiglöckchen oder die Maiblume, welche durch ihre in
einer gebogenen Reihe hängenden Glöckchen das Auge, wie durch ihren
Duft den Geruch ergötzt. Auch das große hellgrüne Blatt bildet eine
schöne Hülle um diese Zierde unserer Wälder. Nicht alle Kinder, welche
1857 -
Köln
: DuMont-Schauberg
- Autor: Grommes, H. W.
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 26
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Elementarschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Katholische Elementarschule
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
273
Nützliches, Wohlthätiges und Unentbehrliches, was zur Nah-
rung, zur Bekleidung und zum Obdach, überhaupt zur Erhaltung
der lebenden Geschöpfe gehört, finden wir in der ganzen Na-
tur. Das Wasser löscht unseren Durst; für uns wachsen allerlei
Früchte, um uns zu sättigen; wir finden Materialien zu unserer
Bekleidung und zum Bau unserer Wohnungen. Eine allmächtige
Hand reicht uns alles dar, was wir bedürfen.
Aber auch Schönes, Grosses und Herrliches hat Gott ge-
schaffen, was wir mit staunendem Entzücken betrachten, was
unsere Bewunderung erregt und unsere Herzen mit Freude er-
füllt. Der Glanz des Sternenhimmels, die Morgen- und Abend-
röthe, die verschiedensten Gestalten und Farben der Wolken,
das schöne Grün der Wiesen und der Blätter an den Bäumen■
die Blüthen und Blumen zeigen uns eine Schönheit und Pracht,
die uns rührt und bewegt und unsere Seele zu Gott in dank-
barer Anbetung erhebt, der Sein grosses Schöpfungswerk so
herrlich und unnachahmlich geschmückt hat. Der mit Vernunft
begabte Mensch ist es auf der Erde allein, der dieses Schöne,
Erhabene und Göttliche empfinden und denken kann. — Zu
diesen Schönheiten in der Natur, die wir zu gewissen Zeiten
tvahrnehmen, rechne ich auch den vielfarbigen Regenbogen. Man
muss staunen, wenn man bedenkt, dass er durch Regentropfen
entsteht, die aus den Wolken zur Erde niederfallen, in denen
sich die Lichtstrahlen brechen, welche ihm diese verschiedenen
Farben geben. Immer freut ihr euch, wenn ihr den grossen
glänzenden Bogen über euch in der Luft ausgespannt erblickt,
der mit seinen beiden Enden die Erde berührt. Vergesset es nie,
dass er das Zeichen des Bundes ist, welchen Gott nach der
Sündßuth mit Noe geschlossen hat.
Wenn ihr darauf gemerkt habet, so erscheint euch der Re-
genbogen nur dann, wenn euch die Sonne im Rücken steht und
in den Regen vor euch ihre Strahlen fallen lässt. Immer also
der Sonne gegenüber erscheint der Regenbogen, des Abends in
Osten, des Morgens in Westen, in Norden nur im Winter, wenn
die Sonne niedrig steht. Er zeigt desto hellere Farben, je dunkler
die dahinter stehende Wolke ist. Es sind nicht die Dünste der
Wolken, sondern wirkliche Tropfen, die ihn bilden. Die Haupt-
farben des Regenbogens sind: Violett, Indigoblau, Hellblau, Grün,
Hellgelb, Orangegelb, Roth, ausserdem aber noch alle Farben,
die durch den Uebergang von einer zur anderen entstehen.
Bisweilen zieht sich um den Haupt-Regenbogen in gleich wei-
ter Entfernung von ihm, ein Neben-Regenbogen, dessen Farben
12*
1886 -
Berlin
: Stubenrauch
- Autor: Wetzel, Friedrich, Richter, Carl, Menzel, J., Menges, Heinrich
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
181
hineingeworfen, so wäre die Spalte offen geblieben und ihnen
viel Reichtum und Ehre zugekommen, aber so war es vorbei.
Doch blieb ihnen auf ihrer Lampe das Öl des Berggeistes,
das nicht abnahm und darum noch immer ein grosser Vorteil
war. Aber nach Jahren, als sie einmal am Samstag mit ihren
guten Freunden im Wirtshause sich lustig machten, erzählten sie
die ganze Geschichte, und Montag morgens, als sie wieder an
die Arbeit gingen, war kein Öl mehr auf der Lampe, und sie
mussten nun jedesmal wieder wie die andern aufschütten.
109. Steinkohlen und Braunkohlen.
1. Der Winter ist gekommen. Die Blumen sind verblüht.
Der Wald ist öde, und die Fluren sind leer. Kaum ist das
Kind aus der Schule gekommen, so geht auch schon die Sonne
zu Bett. Es düstert im Stübchen. Der kalte Wind wirft Schnee-
flocken an die Fenster. Eisblumen blühen auf den Scheiben.
Das ist die Zeit, in der die Kinder sich um den Ofen sammeln
und die Großmutter, die im Lehnstuhle sitzt, um hübsche Geschichten
bitten. Neben dem Ofen steht ein Kasten voll Steinkohlen, ans
dem von Zeit zu Zeit eine Schaufel voll in die Glut geworfen
wird. Die Kohlen zischen und knistern; sie werden rot und sprühen;
die hellen Flammen schlagen aus ihnen hervor; sie dampfen und
lassen zuletzt helle Asche zurück.
2. Die Steinkohlen sind schwarz wie die Nacht, hart wie
Stein und glänzend. Sie haben gar manches erlebt, diese Stein-
kohlen! Vor alten, alten Zeiten, ehe noch ein Mensch auf Erden
lebte, waren sie nicht so schwarz wie jetzt. Sie waren im Ge-
genteil schön grün und braun und bildeten gar hübsche Bäume
und allerlei Pflanzen. Die einen streckten einen langen, starken
Stamm empor. Oben trug er eine schöne Krone von grünen
Blättern, so zart geteilt wie prächtige Federn, gerade wie sie die
Farnkräuter heutzutage besitzen. In schönen Bogen wölbten sich
diese nach allen Seiten. Tausende solcher Farnbäume standen
dicht bei einander und bildeten große Wälder. Zwischen ihnen
sproßten Schachtelhalme so hoch empor, wie unsere Apfelbäume.
Ihre Stengel streckten sich wie Säulen. Sie bestanden aus lauter
in einander gefügten Stücken und waren so dick, wie ein Mann
im Körper ist. Blätter trugen sie nicht. Rund um diese Wälder
breitete sich das Meer aus, unendlich weit. Als Waldinseln
schauten sie daraus empor. In den Fluten spiegelten sich die
hohlen Stämme und die grünen Blätter. Die Fische spielten
um die Farninseln, und Krokodile ruhten an den Wurzeln der
gewaltigen Bäume aus.
1886 -
Münster i.W.
: Aschendorff
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 13
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
340
das schöne Grün der Wiesen und Blätter an den Bäumen,
die Blüten und Blumen zeigen uns eine Schönheit und Pracht,
die uns rührt und bewegt und unsere Seele zu Gott in
dankbarer Anbetung erhebt, welcher sein großes Schöpfungs-
merk so herrlich und unnachahmlich geschmückt hat. Der mit
Vernunft begabte Mensch ist es aus der Erde allein, der die-
ses Schöne, Erhabene und Göttliche empfinden und denken
kann.
Zu diesen Schönheiten in der Natur rechne ich auch den
vielfarbigen Regenbogen. Man muß staunen, wenn man be-
denkt, daß er durch Regentropfen entsteht, die aus den Wolken
zur Erde niederfallen, und in denen sich die Lichtstrahlen bre-
chen. Immer freut ihr euch, wenn ihr den großen, glänzen-
den Bogen über euch in der Luft ausgespannt erblickt, der
mit seinen beiden Enden die Erde berührt. Vergeht es nie,
daß er das Zeichen des Bundes ist, welchen Gott nach der
Sündflut mit Noe geschlossen hat.
Es erscheint euch der Regenbogen, wie ihr vielleicht schon
bemerkt habt, nur dann, wenn euch die Sonne im Rücken
steht und in den Regen vor euch ihre Strahlen fallen läßt.
Immer also der Sonne gegenüber erscheint der Regenbogen;
des Abends in: Osten, des Morgens im Westen, im Norden
nur int Winter, wenn die Sonne niedrig steht. Er zeigt desto
hellere Farben, je dunkler die dahinter stehende Wolke ist. Es
sind nicht die Dünste der Wolken, sondern wirkliche Tropfen,
die ihn bilden. Die Hauptfarben des Regenbogens sind:
violett, indigoblau, hellblau, grün, hellgelb, orangegelb, rot,
außerdem aber noch alle Farben, die durch den Übergang von
einer zur andern entstehen.
Bisweilen zieht sich um den Hauptregenbogen, in gleich
weiter Entfernung von ihm, ein Nebenregenbogen, dessen Far-
den von jenem in verkehrter Richtung liegen; seltener entsteht
auch ein dritter Regenbogen, dessen Farben wieder so auf
einander folgen, wie wir sie in dem Hauptregenbogen fahen.
Der Nebenregenbogen zeigt uns mattere Farben, und bei dem
dritten sind sie am schwächsten.
Wenn nicht an allen Stellen eine Wolke regnet, so er-
blickt man nur da Stücke von einem Regenbogen, wo Regen-
tropfen niederfallen, und diesen nennt man Regengalle.
Bei großen Wasserfällen, wo viele Dünste die Luft erfül-
len, sieht man, wenn man ebenfalls die Sonne im Rücken
bat, vor sich die schönsten Regenbogen, die das erhabene
Schauspiel der Natur, wie bei dem Niagara-Fall, noch mehr
verschönern.
Wenn die Sonnenstrahlen von einer ruhigen, stillen Was-
1885 -
Leipzig [u.a.]
: Klinkhardt
- Autor: Jütting, Wübbe Ulrich, Weber, Hugo
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
188
gesne ihrer Götter mochten auf Bergesgipfeln und Felsenhöhen und an
Flußnfern wohnen; aber der allgemeine Gottesdienst des Volkes hatte feinen
Sitz im grünen Hain, und nirgends hätte er auch einen würdigeren Platz
finden können. Denn tritt nur hinein in die erhabene Stille eines Eichen-
waldes; sei es in der Frühe des Morgens, wenn die hohen Laubkronen im
ersten Sonnenstrahle glänzen, oder am heißen Mittage, wenn auf dem
schwellenden Moose in der grünen Dämmerung wechselnde Lichtringe spielen,
oder am Abend, wenn die gewaltigen Zweige von einem milden Goldschim-
mer überzogen sind: ist es dir nicht auch, als spräche eine Stimme in dir
und zu dir: „Die Stätte, darauf du wandelst, ist eine heilige Stätte!" und
als flüsterten die Blätter, von sanft wehender Luft bewegt, geheimnisvolle
Worte einer höheren Offenbarung? —In dem heiligen Dunkel der deutschen
Eichenwälder saßen einst die Priesterinnen unserer Väter und lauschten dem
prophetischen Rauschen der Blätter, um der harrenden Menge den Ansspruch
der Götter zu verkünden. Hier barg man auch die geweihten Fahnen und
holte sie mit Ehrfurcht hervor, wenn der Schlachtruf in den Gauen wieder-
hallte und die Tapfern aufrief zum Streit. Und wer dann mutig gefochten
und den Sieg errungen hatte, den krönte ein Kranz von Eichenlaub, und
diese Blätterkrone galt mehr als eine goldene Fürstenkrone. Desgleichen,
wenn die alten Deutschen über Krieg oder Frieden beraten wollten, so
versammelten sie sich nicht zwischen den vier engen Wänden eines Hauses,
sondern sie kamen zusammen in einem größeren Saale, dessen Boden ein
grüner Teppich von Gras und Waldblumen und dessen Säulen die hohen
Eichbäume waren.
Jetzt ist dieses alte, tapfere und starke Geschlecht deutscher Männer
aus den Wäldern geschwunden; aber noch heute, wie vor einem Jahrtausend,
hebt mit kräftigem Wüchse die Eiche ihr stolzes Haupt in die Luft, und
herrliche Eichwälder sind noch immer unsers schönen Vaterlandes schönste Zier.
Grube.
126. Die Buche.
Neben der Siche gebührt der Buche der preis unter unseren
Waldbäumen. Sie liebt sanft gehobene Flächen und tritt gern von
den Höhen des Gebirges auf die sonnigen Hügelzüge am Fuße herab.
Durch ganz Thüringen, in den Harzthälern, aus Rügen, in den hol-
steinischen Marschen herrscht dieser Baum; aber in unvergleichlicher
Fracht des Wachstums blickt er über die Buchten von Kopenhagen,
wie überhaupt der Norden das Buchenland ist.
Unter allen Bäumen ist die Buche der geselligste, sie schlägt ihre
Wurzeln nicht tief ins Erdreich, sie muß sie mit ihren Schwesterbäumen
kreuzen. So mit verschlungenen Wurzeln und Wipfeln trotzt ein Buchen-
wald den Stürmen und dem Sonnenbrand. Allein, ohne andern Schutz
erliegt die Buche bald der Witterung. Zn Zugendkrast leicht und doch
stolz, wie aus Stahl steigt der runde Schaft hinauf. Glatt und dicht
umschließt ihn die silbergraue Rinde. Fast meint man daran die Härte
des Holzes zu erkennen, das in der knappen Bekleidung gleichsam nackt