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1. Lehrbuch der Geographie alter und neuer Zeit - S. 218

1855 - Mainz : Kunze
216 Mittel-Europa. deutsche Volk wäre ihnen mit Leib und Seele zugefallen. Das geschah leider nicht. Den Werth der großen Neuerung verkennend, wandten sie wie mit Ab- scheu sich von ihr weg, und stemmten sich, als wäre nur das Abgelebte des Mittelalters ihre eigentliche Lebens- und Regierungssphäre, dem Neuen, das sich Bahn machte, mit Verordnungen und mit Gewalt, zuweilen in grausamer Art, entgegen*). Schon längst keine Mehrer des Reichs nach Außen, verschinähten sie auch, Mehrer des Reichs nach Innen, Mehrer der geistigen und politischen Nationalentwicklung, zu sein; wobei zugleich ihr eignes gutes östreichisches Volk in etue Richtung gerieth, die von den Fortschritten der Bildung im größten Theile des übrigen Deutschlands sich beträchtlich entfernen mußte. Sie stifteten gleichsam einen Sonderbund gegen sich selbst und rissen dadurch breit und tief einen Spalt in die deutsche Nation, der schwer zu schließen war und die vorher noch mögliche Herstellung alter Einheit fast unmöglich gemacht hat. Erst Maria Theresia's Sohn Joseph Ii. (der Lothringer) sah die Fehler der Vorgänger ein und dachte darauf, die nothwendige Aussöhnung mit dem deutschen Geiste anzubahnen. Rasch zu Werk gehend schritt er über jenen unseligen Sonderbund hinaus und öffnete seine Erbstaaten der Bildung und Toleranz des 18. Jahrhunderts. Was dies gewirkt, trotz wiederholter Hemmungen, das ist in vielen Dingen sichtbar ge- worden, vor allen in unserer neuesten deutschen Literatur; auch Oestreicher, meist Wiener, traten endlich ein, und gewiß nicht unrühmlich, wie die Namen darthun: Sonnenfels, Blumaner, Schröckh, Alxinger, Collin, Hormahr, Hammer, die Erz- herzoge Karl u. Johann, Grillparzer, Frau Pichler, Kurz, Chmel, Zedlitz, Duller, Burg, Auersperg, Prokesch, Schwarzenberg, Stifter, Schuselka u. a. m. Auch die Erschütterung des Jahrs 1848, ein außerordentliches Ereigniß in der Geschichte Wiens und des Kaiserstaates, ist eine Folge davon und wird, was Joseph ge- wünscht, früher oder später befördern helfen. Aber noch Eins ist zu beachten. Wien und Berlin, die Hauptorte der zwei mächtigsten Staaten Deutschlands, sind beide in Marken erwachsen, die ausdrück- lich nur zum Schutze gegen Osten angelegt wurden. Dies ist eine höchst wichtige Bestimmung, die fast vergessen zu sein scheint. Die heidnischen Völker, mit denen mau vor 8 u. 9 Jahrhunderten zu thun gehabt, drohen freilich nicht mehr, aber ist die russische planmäßig vordringende Macht nicht viel furchtbarer und gefährlicher? Wer den Westen fürchtet, täuscht sich; Deutschlands verwundbarste Seite ist im Osten. — *) Den Lehrern sei überlassen, dies im Text nur Angedeutete zu erklären, weiter auszuführen, auch gegentheilige Ansichten daniit zu vergleichen. Das Neue hat natürlich auch eine Schattenseite, wie das Alte seine Lichtseite. Beide Seiten richtig zu erkennen, verlangt allerdings eine gewisse Reife des Urtheils. Soviel kann jedoch die Jugend, der dies Lehrbuch bestimmt ist, schon früher einsehen, daß blindes Hängen am Hergebrachten, und Kampf gegen das Neue aus bloßer Geistesträgheit, überall schädliche Folgen hat, und um so mehr, je größer der Gegenstand und je größer der Umfang seines Bereichs ist, vorzüglich auf politi- schem Gebiete, wo das Wohl des Vaterlandes dabei auf dem Spiele steht.

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1. Theodor Schachts Lehrbuch der Geographie alter und neuer Zeit - S. 257

1874 - Mainz : Kunze
Gebiet der Donau. 257 immer noch war das Wort Kaiser von bedeutsamem Klang, und die Macht wäre ihnen von selbst erwachsen. Sie hätten fortan nicht Magyaren, Slaven und Italiener, Un- terthanen im Ausland bedurft, um ihren hohen Titel auf eine entsprechende Macht zu stützen; das deutsche Volk wäre ihueu mit Leib und Seele zugefallen. Das geschah lei- der nicht. Den Werth der großen Neuerung verkennend, wandten sie sich von ihr weg und stemmten sich, als wäre nur das Abgelebte des Mittelalters ihre eigentliche Lebens- und Regierungssphäre, dem Neuen, das sich Bahn brach, zuweilen in grau- samer Art entgegen; in dem eigenen, zu wenigstens drei Viertheilen protestantischen Lande ward mit allen Mitteln jesuitischer Moral und Gewaltthat eine schmähliche Ge- genreformation durchgeführt. Schon längst keine Mehrer des Reichs nach Außen, ver- schmähten sie es auch, Mehrer des Reichs nach Innen, Mehrer der geistigen und poli- tischen Nationalentwickluug zu sein; wobei zugleich ihr eignes gutes österreichisches Volk in eine Richtung gerieth, die von den Fortschritten der Bildung im größten Theile des übrigeu Deutschlands sich beträchtlich entfernen mußte. Sie stifteten gleichsam einen Sonderbund gegen sich selbst und rissen dadurch breit und tief einen Spalt in die deutsche Nation, der schwer zu schließen war und die vorher noch mögliche Herstellung alter Einheit fast unmöglich gemacht hat. Erst Maria Theresias Sohn Joseph Ii. (der Lothringer) sah die Fehler der Vorgänger ein und dachte darauf, die notwendige Aus- söhnung mit dem deutschen Geiste anzubahnen. Rasch, oft zu rasch zu Werke gehend, schritt er über jeueu uuseligen Sonderbund hinaus und öffnete seine Erbstaaten der Bildung und Toleranz des 18. Jahrhunderts. Was dies gewirkt, trotz wiederholter Hemmungen, das ist in vielen Dingen sichtbar geworden, vor allem in unserer neuesten deutscheu Literatur, in welche endlich auch Österreicher, meist Wiener, und zwar mit Namen von bestem Klange eintreten. Aber noch Eins ist zu beachten. Wien und Berlin sind beide in Marken erwachsen, die ausdrücklich nur zum Schutze gegen Osten angelegt wurden — eine höchst wichtige Bestimmung und ein bedeutsamer Mahnruf, die auch in Zukunft nie vergessen werden dürfen. Von Wien führen Straße und Eisenbahn über Neustadt und über den Semmering nach der Provinz Steiermark; daselbst liegt Bruck an der Mur und unweit davon Leoben, durch deu Präliminarfrieden von 1797 bekannt. Den Fluß hinunter kommt man nach Graz (oder G r ä tz), Hauptstadt von Steiermark mit 80,000 E , in herrlicher Ge- gend, Universität, Wohnort des kenntnisreichen, biedern Erzherzogs Johann, einstigen Reichs- Verwesers in Frankfurt; beim Volke in Tirol und Steiermark war er sehr beliebt, und Graz verdankt ihm neben vielem andern das Johanueum, eine wissenschaftliche Anstalt mit reichen Sammlungen. Außerdem können sich die Grazer noch mancher ausge- zeichnete? Landsleute rühmen: der berühmte Schauspieler Brockmann wuchs unter ihnen auf, und der gelehrte Orientalist I. von Hammer, Geschichtschreiber des Türkenreichs; der Minnesänger Ulrich von Liechtenstein und Ottokar Horneck, Verfasser der großen Reim- chronik, des ersten Geschichtswerkes in unserer Muttersprache, waren gleichfalls Steiermürker. Der Erzherzog hatte noch einen Lieblingssitz, den Brand Hof, nicht weit von Mariazell; das bescheidene Gebäude ähnelt einem altdeutschen Gehöfte, enthält aber schöne Kunstsachen und Alterthümer. — Die Wieu-Triester Eisenbahn folgt der Mur bis dahin, wo diese der Drau Schacht, Lehrb. d. Geographie 8. Aufl. 17

2. Preußisch-deutsche Geschichte vom Jahrhundert Friedrichs des Großen bis zur Gegenwart - S. 289

1907 - Leipzig : Brandstetter
289 mangelnden Vaterlandsliebe ist das Aufgeben des gemeinsamen deutschen Vater- landes; es gibt nach dem Wiener Kongreß, eigentlich schon seit der Auflösung des Deutschen Kaiserreiches 1806, nicht mehr Deutsche, sondern nur rwch Preußen, Österreicher, Bayern usw. Das gemeinsame Band, das sich bisher um die deutschen Stämme geschlungen, das Deutsche Kaisertum fehlt; das National- bewußtsein des deutschen Volkes wird nicht gehoben, sondern eher unterdrückt, und die glorreichen Taten der Befreiungskriege sind für die Entwicklung des deutschen Nationallebens umsonst getan worden. Nach dieser Seite sind die Beschlüsse des Wiener Kongresses tief beklagenswert; denn sie führen eine weitere Zerstückelung Deutschlands im Innern herbei, die sich in eigenem Militär-, Post-, Telegraphenwesen, Münz-, Maß- und Gewichtssystem zeigt. (Weiter ausführen!) Wenn schon Neid, Zwietracht, Selbstsucht die Verhandlungen des Kongresses erschwert, so wird der Neid durch die Neu- gestaltung Deutschlands nicht beseitigt, sondern eher vergrößert: denn zwei Großmächte, Österreich und Preußen, seit lange erbitterte Gegner, sind Glieder des Deutschen Bundes, gleich an Rang und Macht, und doch wird Preußen Österreich, das den Vorsitz führt, nachgestellt. Aus dieser Stellung der beiden Großmächte zueinander und innerhalb des Deutschen Bundes mußten später notwendig Verwicklungen entstehen. Der Wiener Kongreß hat also keine be- friedigende Gestaltung Deutschlands gebracht, das zwar von seinen Unter- drückern befreit, aber bei seiner Vielgestalt, wie früher schon, nach außen noch immer ohnmächtig ist. 2. Welches sind die Folgen des Kongresses für Österreich? Österreich, durch seinen abgerundeten Staatenbesitz groß und mächtig ge- worden, steht ehrfurchtgebietend unter den europäischen Mächten. Es besitzt viele Länder, die nicht zu Deutschland gehören, z. B. Ungarn, Siebenbürgen, Galizien, Kroatien, Lombardei, Venetien usw. Es richtet seine Aufmerk- samkeit, wie schon seit Jahrhunderten, mehr auf die Wohlfahrt seiner Stamm- länder, als aus die Interessen der übrigen deutschen Bundesstaaten, wird da- durch den deutschen Interessen mehr und mehr entfremdet, betrachtet Deutsch- land geradezu als Ausland, was, da es im Bundestage den Vorsitz führt, unerquickliche Verhältnisse im Gefolge haben muß. 3. Welches sind die Folgen für Preußen? Dagegen ist Preußen durch die Lage seines Gebietes voll und ganz auf Deutschland angewiesen; seine Interessen sind auch die Deutschlands; seine Südgrenze geht quer durch das ganze Deutschland, während seine bedrohte Ost- und Westgrenze zugleich diejenige Deutschlands ist. Schützt es sich, so schützt es auch Deutschland; gerät Deutschland in Gefahr, im Osten oder Westen, so wird Preußen zunächst von dieser Gefahr bedroht. Darum steht Preußen auf Deutschlands Wacht im Osten und im Westen; es kann nicht daran denken, Kornrumpf, Handbuch rc. Iii. lg

3. Teil 3 - S. 267

1893 - Leipzig : Brandstetter
— 267 — deutschen Volkes wird nicht gehoben, sondern eher unterdrückt, und die glorreichen Thaten der Befreiungskriege sind für die Entwickelung des deutschen Nationallebens umsonst gethan. Nach dieser Seite sind die Beschlüsse des Wiener Kongresses tief beklagenswert; denn sie führen eine weitere Zerstückelung Deutschlands im Inneren herbei, die sich in eigenem Militär-, Post-, Telegraphenwesen, Münz-, Maß- und Gewichtssystem zeigt. (Weiter ausführen!) Wenn schon Neid, Zwietracht, Selbstsucht die Verhandlungen des Kongresses erschwert, so wird der Neid durch die Neugestaltung Deutschlands nicht beseitigt, sondern eher vergrößert: denn zwei Großmächte. Österreich und Preußen, seit lange erbitterte Gegner, sind Glieder des deutschen Bundes, gleich an Rang und Macht, und doch wird Preußen Österreich, das den Vorsitz führt, nachgestellt. Aus dieser Stellung der beiden Großmächte zueinander und innerhalb des deutschen Bundes mußten später notwendig Verwickelungen entstehen. Der Wiener Kongreß hat also keine befriedigende Gestaltung Deutschlands gebracht, das zwar von seinen Unterdrückern befreit, aber bei seiner Vielgestalt, wie früher schon, nach Außen noch immer ohnmächtig ist. 2. Welches sind die Folgen des Kongresses für Österreich? Österreich, durch seinen abgerundeten Staatenbesitz groß und mächtig geworden, steht ehrfurchtgebietend unter den europäischen Mächten. Es besitzt viele Länder, die nicht zu Deutschland gehören, z. B. Ungarn, Siebenbürgen, Galizien, Kroatien, Lombardei, Venetien u. s. w. Es richtet seine Aufmerksamkeit, wie schon seit Jahrhunderten, mehr auf die Wohlfahrt seiner Stammländer, als auf die Interessen der übrigen deutschen Bundesstaaten, wird dadurch den deutschen Interessen mehr und mehr entfremdet, betrachtet Deutschland geradezu als Ausland, was, da es im Bundestage den Vorsitz führt, unerquickliche Verhältnisse im Gefolge haben muß. 3. Welches sind die Folgen für Preußen? Dagegen ist Preußen durch die Lage seines Gebietes voll und ganz auf Deutschland angewiesen; seine Interessen sind auch die Deutschlands; seine Südgrenze geht quer durch das ganze Deutschland, während seine bedrohte Ost-und Westgrenze zugleich diejenige Deutschlands ist. Schützt es sich, so schützt es auch Deutschland; gerät Deutschland in Gefahr, im Osten oder Westen, so wird Preußen zunächst von dieser Gefahr bedroht. Darum steht Preußen auf Deutschlands Wacht im Osten und im Westen; es kann nicht daran denken, in selbstsüchtigem Interesse sein Geschick von dem des gemeinsamen Vaterlandes zu trennen, was es auch thatsächlich seit den Tagen des großen Kurfürsten nicht gethan. Dazu kommt die getrennte Lage seiner Provinzen, da es ja aus einer Ost- und Westhälfte besteht. Will es seine westlichen Provinzen schützen, so muß es auch die dazwischen liegenden Länder schützen, muß also aus den schütz ganz Norddeutschlands bedacht sein. Daraus folgt, daß Preußen, nicht

4. Handbüchlein der Weltgeschichte für Schulen und Familien - S. 280

1877 - Calw : Verl. der Vereinsbuchh.
280 Neue Geschichte. leon sein Reich auszubreiten gewußt, und um das zu verstehen, müssen wir in der Zeit zurückgehen. 10. Das Werden Deutschlands und Italiens. § 107. Die Februarrevolution 1848 erschütterte ganz Mitteleuropa; die Schweiz ausgenommen, welche nach Ueberwindung eines Sonderbunds der katholischen Kantone 1847 sich eben jetzt bequem zu einem Bundesstaat umwandelte. Die Völker erwachten weithin, die deutschen Fürsten zagten und gaben fast überall, ohne die Aufstände zu erwarten, den freisinnigen Forderungen nach. Man nannte das die Märzerrungenschaften. Es gieng aber dabei ganz pöbelhaft zu, so daß die Liberalen merkten, opponiren sei leichter als regieren, und bald rathlos wurden. In Baden wollten Viele gleich eine deutsche Republik. Dem vorzubeugen, beschloßen die Ordnungsliebenden , durch eine Nationalversammlung in Frankfurt ein deutsches Reich gründen zu laffeu. In Wien wurde am 13. März Metternich durch eilten Studentenaufstand vertrieben und ganz Oestreich verfiel einem heillosen Durcheinander; denn was die Deutschen forderten, wollten auch die Ungarn haben, und was diesen beliebte, war den Slaven nicht angenehm. Die Mailänder empörten sich am 18. März und General Radetzky mußte nach Mantua zurückweichen, weil nun der König von Sardinien herbeieilte, Italien vom Fremdenjoch zu befreien. Ganz Italien wogte durch einander und schrie: „Mord den Deutschen, konnte aber der östreichischen Armee in ihrem Festungsviereck wenig anhaben; vielmehr gelang es dieser durch den Sieg bei Custozza (Juli) die Lombardei wieder zu erobern. Nach schweren Kämpfen wurde (Aug. 49) endlich auch Venedig wieder überwältigt. In dem aufgestandenen Wien aber stellte Windischgrätz vereint mit dem Kroaten Jellachich die alte Hofregieruug her, 31. Okt., an deren Spitze nun ein neuer Kaiser Franz Joseph trat. In Preußen regierte damals der edle Friedrich

5. Die Geschichte der letzten 50 Jahre - S. 9

1867 - Köln : DuMont-Schauberg
2. Die Lage Europa's im Anfänge der neuesten Zeit. 9 nicht verkannt werden kann, daß Montgelas' Verwaltung in Baiern höchst willkürlich und gewaltthätig gewesen ist, so ist doch auch an- dererseits gewiß, daß es Baiern hauptsächlich seiner kräftigen und umsichtigen Leitung zu danken hat, daß es nächst Preußen der mäch- tigste Staat Deutschlands geworden, und zugleich aus dem Zustande der Rohheit und Finsterniß hervorgetreten ist, in dem es sich noch befand, als Maximilian Joseph 1799 zur Regierung gelangte. Württemberg hatte in König Friedrich einen Fürsten, der durch die Stärke seines Charakters und Willens eher geeignet war, einen großen Staat zu beherrschen, als einen kleinen. Da er dennoch kein Vasall, sondern ein geachteter und wo möglich gefürchteter Bun- desgenosse Napoleon's sein wollte, und demgemäß eine unverhältniß- mäßige Kriegsmacht ausstellte, so mußte dadurch nothwendig eine unerschwingliche Abgabenlast und ein unleidlicher Druck entstehen, der den König bei seinem Volke um so mehr verhaßt machte, je rück- sichtsloser und gewaltthätiger sich sein Regiment in Bezug auf die innere Verwaltung zeigte. Denn kaum hatte er in Folge der Rhein- bundsacte die unumschränkte Machtvollkommenheit erhalten, als er die alte württembergische Verfassung, durch welche der Fürst vielfach beschränkt war, vernichtete. In seinem Volke ward jetzt das einmüthige Verlangen laut, von dem tyrannischen Drucke, unter dem es geschmachtet hatte, befreit und dagegen gesichert zu werden. König Friedrich schien Anfangs diesen Geist nicht beachten zu wollen; als er aber erkannte, daß jener sich weder beschwichtigen, noch unterdrücken lasse, so verlieh er seinem Volke aus eigener königlicher Machtvollkommen- heit eine neue Verfassung, die inzwischen die einmal entstandene Gäh- rung nicht stillte, vielmehr vermehrte, weil die Wortführer des Volkes die neue Verfassung schlechthin nicht anerkennen wollten, sondern mit Beharrlichkeit die unbedingte Wiederherstellung der alten verlangten. Allein da König Friedrich mit gleicher Starrheit dies Verlangen zu- rückwies, so entstand ein Hader, dessen Ende Friedrich nicht mehr erlebte. (Das Nähere s. Nr. 3, b.) Sachsen ward seit der Schlacht bei Leipzig im Namen der Ver- bündeten Anfangs von Rußland, dann von Preußen verwaltet, und sah der endlichen Bestimmung seines Schicksals durch den Wiener Congreß mit Sehnsucht entgegen. Man mußte nach allen theils ganz, theils halb officiellen Aeußerungen erwarten,' daß dies Land mit Preußen werde vereinigt werden. Obgleich das sächsische Volk im Ganzen gewiß nur die Rückkehr seines tugendhaften und weisen Königs wünschte, so würde es sich doch in die Vereinigung mit Preußen, als in eine Nothwendigkeit gefügt haben, wenn sie nur ganz, und nicht halb erfolgt wäre. Allein die Theilung Sachsens brachte einen Riß in Deutschland hervor, der erst durch die Macht der alles heilenden Zeit vernarben konnte. Hannover kehrte, vergrößert durch Hildesheim und Ostfries- land, und zu einem Königreiche erhoben, an das Haus Hannover

6. Die Geschichte der letzten 50 Jahre (1816 - 1866) ; in abgerundeten Gemälden - S. 9

1867 - Köln : DuMont-Schauberg
2. Die Lage Europa's im Anfange der neuesten Zeit. 9 nicht verkannt werden kann, daß Montgelas' Verwaltung in Barern höchst willkürlich und gewaltthätig gewesen ist, so ist doch auch an- dererseits gewiß, daß es Baiern hauptsächlich seiner kräftigen und umsichtigen Leitung zu danken hat, daß es nächst Preußen der mäch- tigste Staat Deutschlands geworden, und zugleich aus dem Zustande der Rohheit und Finsterniß hervorgetreten ist, in dem es sich noch befand, als Maximilian Joseph 1799 zur Regierung gelangte. Württemberg hatte in König Friedrich einen Fürsten, der durch die Stärke seines Charakters und Willens eher geeignet war, einen großen Staat zu beherrschen, als einen kleinen. Da er dennoch kein Vasall, sondern ein geachteter und wo möglich gefürchteter Bun- desgenosse Napoleon's sein wollte, und demgemäß eine unverhältniß- mäßige Kriegsmacht aufstellte, so mußte dadurch nothwendig eine unerschwingliche Abgabenlast und ein unleidlicher Druck entstehen, der den König bei seinem Volke um so mehr verhaßt machte, je rück- sichtsloser und gewaltthätiger sich sein Regiment in Bezug auf die innere Verwaltung zeigte. Denn kaum hatte er in Folge der Rhein- bundsacte die unumschränkte Machtvollkommenheit erhalten, als er die alte Württembergische Verfassung, durch welche der Fürst vielfach beschränkt war, vernichtete. In seinem Volke ward jetzt das einmüthige Verlangen laut, von dem tyrannischen Drucke, unter dem es geschmachtet hatte, befreit und dagegen gesichert zu werden. König Friedrich schien Anfangs diesen Geist nicht beachten zu wollen; als er aber erkannte, daß jener sich weder beschwichtigen, noch unterdrücken lasse, so verlieh er seinem Volke aus eigener königlicher Machtvollkommen- heit eine neue Verfassung, die inzwischen die einmal entstandene Gäh- rung nicht stillte, vielmehr vermehrte, weil die Wortführer des Volkes die neue Verfassung schlechthin nicht anerkennen wollten, sondern mit Beharrlichkeit die unbedingte Wiederherstellung der alten verlangten. Allein da König Friedrich mit gleicher Starrheit dies Verlangen zu- rückwies, so entstand ein Hader, dessen Ende Friedrich nicht mehr erlebte. (Das Nähere s. Nr. 3, b.) Sa chsen ward seit der Schlacht bei Leipzig im Namen der Ver- bündeten Anfangs von Rußland, dann von Preußen verwaltet, und sah der endlichen Bestimmung seines Schicksals durch den Wiener Congreß mit Sehnsucht entgegen. Man mußte nach allen theils ganz, theils halb officiellen Aeußerungen erwarten, daß dies Land mit Preußen werde vereinigt werden. Obgleich das sächsische Volk im Ganzen gewiß nur die Rückkehr seines tugendhaften und weisen Königs wünschte, so würde es sich doch in die Vereinigung mit Preußen, als in eine Nothwendigkeit gefügt haben, wenn sie nur ganz, und nicht halb erfolgt wäre. Allein die Theilung Sachsens brachte einen Riß in Deutschland hervor, der erst durch die Macht der alles heilenden Zeit vernarben konnte. Hannover kehrte, vergrößert durch Hildesheim und Ostfries- land, und zu einem Königreiche erhoben, an das Haus Hannover

7. Geschichte des deutschen Volkes und Landes - S. 140

1869 - Hannover : Hahn
Iii. Periode. Von den Zeiten des westfälischen Friedens bis zur Auf- lösung des Reichs in Folge des Luneviller Friedens. 1648 bis 1801. Die Zeiten des fortschreitenden politischen Ver- falls der Nation und der beginnenden geistigen Wieder- geburt des deutschen Volkes. §. 69. Deutschlands Stellung im 18. Jahrhundert. 1) Seit dem westfälischen Frieden, durch den die politische Zersetzung Deutschlands und die Zwietracht in seinem Innern gesetzlich geworden waren, schreitet das alte Reich deutscher Nation mehr und mehr seiner Auflösung entgegen. Zwar schleppte es sein Scheinwesen noch über ein Jahrhundert fort; was aber unter dem Namen „Kaiser und Reich" in Wirk- lichkeit bestand, entbehrte alles dessen, was zu einem lebendigen einheitlichen Staatsganzen unbedingt erforderlich ist. 2) Das öffentliche Leben der Nation war in den selbstständig gewordenen Gliedern zersplittert, die vom politischen Egoismus so sehr befangen waren, daß die Meisten nur das wollten und anstrebten, was jeweils ihrem Vortheil zusagte. So sehr war das Bewußtsein nationaler Pflicht und Ehre verdunkelt, daß selbst die ersten geistlichen Fürsten des Reichs, die rheinischen Kurfürsten nebst Hessen-Cassel und Andern mit Schweden ein Sonderbünd- niß eingehen konnten (1658), um dieser fremden Macht die erwor- benen Besitzungen auf deutschem Boden für die Zukunft zu sichern. Als dann auch Frankreich anfing, mit Gewalt oder durch Machinationen ein Stück nach dem andern von Deutschland abzureißen, ließen sich immer wieder deutsche Reichsfürsten bereit finden, zu dem schlimmsten Feinde Deutschlands zu halten, wenn dieser Portheile oder Vergrößerung auf Kosten anderer Mitstände in Aussicht stellte. So mußte endlich die durch gemeinsame Schuld lange ange- häufte Sündfluth über das verlassene Deutschland Hereinbrechen, die in ihren Fluchen mit den Trümmern des alten Reichs auch die Mehrzahl seiner Glieder begraben hat.

8. Geschichtliches Lesebuch - S. 100

1898 - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht
100 Vii. v. Treitschke, Anfänge der Eisenbahnen in Deutschland. sogleich als ein toter Buchstabe. Die Güter brachten mehr ein als die Personen, der Lokalverkehr mehr als der große, die dritte Wagenklasse mehr als die beiden ersten zusammen; und wie verwundert hatte man noch vor kurzem dem wackeren Friedrich Harkort zugehört, als er voraussagte, der kleine Mann würde die Eisenbahnkassen füllen wie den Steuersäckel, schon um Arbeitslohn zu gewinnen das Fußwandern aufgeben. Die Gewerbsstraßen trennten sich nicht ab von den Kriegsstraßen, wie Aster fürchtete, sondern sie zwangen den Krieg ihren Bahnen zu folgen. Auch der Pferdebestand nahm nicht ab, wie jedermann glaubte; sondern die Deutschen erfuhren, daß in einem fleißigen Volke jedes befriedigte Bedürfnis neue Bedürfnisse in unendlicher Folge weckt: die Nebenstraßen beschäftigten fortan mehr Pferde als früher die Hauptstraßen. Nun, da die Macht des Raumes überwunden ward, begann die Welt auch erst den Wert der Zeit zu schätzen, ja zu überschätzen. Ein hastiges, atemloses Treiben nahm überhand, eine fieberische Begehrlichkeit nach dem Neuen und Unbekannten, ein Drang nach Genuß und Gewinn, der von dem überspannten Idealismus des älteren Geschlechts unheimlich abstach. Die Geselligkeit verödete. Je mehr die Zahl der Briefe zunahm, um so dürftiger wurde ihr Inhalt, und seit die Zeitungen sich mehrten, schrieb der gebildete Mann fast nur noch Geschäftsbriefe. Der anschwellende Verkehr wirbelte alle Stände dermaßen durch einander, daß der Kastendünkel sich kaum mehr halten konnte. Die Gesellschaft demokratisierte sich, die Umgangssprache ward kürzer, geschäftlicher, aber auch grob und ungemütlich. Der Durchschnittsmensch empfing eine Masse neuer Eindrücke und Kenntnisse, doch je mehr sie sich drängten, um so weniger hafteten sie. Das neue Geschlecht krankte an einer vielseitigen, oberflächlichen Bildung^ an Übersättigung, Zerstreutheit, Anmaßung. Die großen Städte wuchsen unaufhaltsam, manche der kleinen sanken, eine krampfhafte Lust an den großstädtischen Genüssen verbreitete sich weithin im Volke, und mit der Macht der Massen-Kapitalien stieg auch das Massen-Elend. Für das zerrissene Deutschland war der Segen dieser neuen Verhältnisse doch ungleich größer als ihre Nachteile. Der schreiende Widerspruch geistiger Größe und wirtschaftlicher Armseligkeit konnte nicht fortdauern ohne den Charakter des Volkes zu gefährden. Die werdende politische Macht des neuen Deutschlands bedurfte des Wohlstandes und der kecken Unternehmungslust, das verhockte und verstockte Treiben

9. Geschichtliches Lesebuch - S. 100

1903 - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht
100 Vii. v. Treitschke, Anfänge der Eisenbahnen in Deutschland. sogleich als ein toter Buchstabe. Die Güter brachten mehr ein als die Personen, der Lokalverkehr mehr als der große, die dritte Wagenklasse mehr als die beiden ersten zusammen; und wie verwundert hatte man noch vor kurzem dem wackeren Friedrich Harkort zugehört, als er voraussagte, der kleine Mann würde die Eisenbahnkassen füllen wie den Steuersäckel, schon um Arbeitslohn zu gewinnen das Fußwandern aufgeben. Die Gewerbsstraßen trennten sich nicht ab von den Kriegsstraßen, wie Aster fürchtete, sondern sie zwangen den Krieg ihren Bahnen zu folgen. Auch der Pferdebestand nahm nicht ab, wie jedermann glaubte; sondern die Deutschen erfuhren, daß in einem fleißigen Volke jedes befriedigte Bedürfnis neue Bedürfnisse in unendlicher Folge weckt: die Nebenstraßen beschäftigten fortan mehr Pferde als früher die Hauptstraßen. Nun, da die Macht des Raumes überwunden ward, begann die Welt auch erst den Wert der Zeit zu schätzen, ja zu überschätzen. Ein hastiges, atemloses Treiben nahm überhand, eine sieberische Begehrlichkeit nach dem Neuen und Unbekannten, ein Drang nach Genuß und Gewinn, der von dem überspannten Idealismus des älteren Geschlechts unheimlich abstach. Die Geselligkeit verödete. Je mehr die Zahl der Briefe zunahm, um so dürftiger wurde ihr Inhalt, und seit die Zeitungen sich mehrten, schrieb der gebildete Mann fast nur noch Geschäftsbriefe. Der anschwellende Verkehr wirbelte alle Stände dermaßen durch einander, daß der Kastendünkel sich kaum mehr halten konnte. Die Gesellschaft demokratisierte sich, die Umgangssprache ward kürzer, geschäftlicher, aber auch grob und ungemütlich. Der Durchschnittsmensch empfing eine Masse neuer Eindrücke und Kenntnisse, doch je mehr sie sich drängten, um so weniger hafteten sie. Das neue Geschlecht krankte an einer vielseitigen, oberflächlichen Bildung, an Übersättigung, Zerstreutheit, Anmaßung. Die großen Städte wuchsen unaufhaltsam, manche der kleinen sanken, eine krampfhafte Lust an den großstädtischen Genüssen verbreitete sich weithin im Volke, und mit der Macht der Massen-Kapitalien stieg auch das Massen-Elend. Für das zerrissene Deutschland war der Segen dieser neuen Verhältnisse doch ungleich größer als ihre Nachteile. Der schreiende Widerspruch geistiger Größe und wirtschaftlicher Armseligkeit konnte nicht fortdauern ohne den Charakter des Volkes zu gefährden. Die werdende politische Macht des neuen Deutschlands bedurfte des Wohlstandes und der kecken Unternehmungslust, das verhockte und verstockte Treiben

10. Geschichte des deutschen Volkes - S. 318

1867 - Berlin : Vahlen
318 Deutsche Dichtung und Wissenschaft. § 529—530. 11. Deutsche Dichtung und Wissenschaft. § 529. Obwohl, wie oben (§ 513.) gezeigt, in allen Theilen Deutschlands ein neues, geistig frisches Leben begonnen hatte und mancher aufgeklärte, wohl- wollende Fürst seinen Unterthanen, die durch einen langen Frieden beglückt wurden, Bildung und Gedeihen zu stiften bereit war, erschienen doch die gröbsten Mißbräuche oder Rückschritte neben den freudigsten Entwicklungen. So war Oestreich, nach den kurzen übereilten Versuchen Josephs, aus die alten Bahnen zurückverfallen und von Deutschland in seinen politischen Interessen und geistigem Leben abgeschlossener als je. So schien auch Preußen nach kurzem, glanzvollem Aufleuchten wieder in seinen Verfall getreten: kurz— die deutsche Nation schien kaum besser berathen, als zur Zeit der Angriffe Ludwigs Xiv., jetzt, wo aber- mals eine große Probezeit zu bestehen war. Und dennoch war es ganz anders geworden in dem deutschen Volk; dennoch konnte man jetzt wieder, und vielleicht mehr als je zuvor, von einer deutschen Nation reden. Wohl waren es die Glanzthaten Prinz Eugens, des großen Kurfürsten und vor Allem Friedrichs des Großen geìpesen, die diese Wirkung hervorgebracht: aber ihnen an die Seite traten jetzt die Thaten der deutschen Geisteshelden, welche dem deutschen Volke ein neues Bewußtsein seiner Zusammengehörigkeit wie seines Adels unter den Nationen der Welt erschufen. Der deutsche Geist, im Protestantismus zu neuer Innigkeit des Gefühls und zu neuer Kraft des Denkens erwacht, hatte in der Ermattung des 17. Jahrhunderts gleichsam über seinen verborgenen Schätzen träumend ausgeruht; jetzt im 18., als eine große protestantische Macht in Nord- deutschland erblühte, unter dem Nachhall der Thaten Friedrichs, erhob er sich von neuem. Aber obwohl zunächst nur von Preußen dem deutschen National- gefühl diese Anregung kam — dennoch nahmen an dieser neuen deutschen Geistes- entwicklung alle deutschen Stämme Theil, ja es quoll in den kleinen Staaten im Süden und Westen des Vaterlandes eine noch reichere Ader deutschen Geistes- lebens als in Preußen selbst; es nahm selbst die Schweiz, dieses in politischer Hinsicht von Deutschland getrennte Glied, an dieser Gesammtentwicklung den leb- haftesten Antheil. § 530. Von hier ging schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Dichter und Gelehrter aus, der gleichsam die alte Verbindung der Schweiz mit Deutschland neu befestigte. Haller (geb. 1708, gest. 1777), der Dichter der „Alpen", der nach Göttingen berufen, lange Zeit eine Zierde dieser blühen- den Universität war, welche Deutschland der Vorliebe des hannoverisch-englischen Königshauses für das deutsche Stammland verdankte sgegründet 1734). Hallers Zeitgenosse war Hagedorn in Hamburg (geb. 1708, gest. 1754), der zuerst die schwerfällige deutsche Poesie wieder Anmuth lehrte. So regte sich im äußer- sten Norden wie im äußersten Süden die deutsche Poesie zuerst wieder. In Leipzig, der alten Stadt des obersächsisch meissenschen Stammes, dem Luther einst die Bildung eines neuen Hochdeutsch entlehnt hatte (§ 423.), gab seit 1730 Gottsched (1700 —1766) Regeln der Poesie, freilich steif, einseitig und an- maßlich genug, doch läuterte er, besonders durch den Hinweis auf die besseren französischen Dichter, den Geschmack in Deutschland. Gerade als Friedrich der Große den Thron bestieg und die schlesischen Kriege begannen, ließen sich Schweizer Kunstfreunde und Dichter (Bodmer, Breitinger) mit Gottsched. in einen heftigen Schriftenkampf ein, der zur besseren Erkenntniß des Wesens der Poesie führte. Durch und trotz Gottsched ward Leipzig der Sammelplatz der bedeu- tendsten Kräfte dieses Jahrzehnts; von hier aus wirkte Gellert 1715—1769,

11. Lektüre zur Geschichte des 19. Jahrhunderts - S. 60

1910 - Leipzig : Wunderlich
60 Heinrich v. Treitschke. schon um Arbeitslohn zu gewinnen, das Fußwandern aufgeben. Die Gewerbsstraßen trennten sich nicht ab von den Kriegsstraßen, wie Aster fürchtete, sondern sie zwangen den Krieg, ihren Bahnen zu folgen. Auch der Pferdebestand nahm nicht ab, wie jedermann glaubte; sondern die Deutschen erfuhren, daß in einem fleißigen Volke jedes befriedigte Bedürfnis neue Bedürfnisse in unendlicher Folge weckt: die Neben- straßen beschäftigten fortan mehr Pferde als früher die Hauptstraßen. Nun da die Macht des Raumes überwunden ward, begann die Welt auch erst den Wert der Zeit zu schätzen, ja zu überschätzen. Ein hastiges, atemloses Treiben nahm überhand, eine fieberische Begehrlich- keit nach dem Neuen und Unbekannten, ein Drang nach Genuß und Gewinn, der von dem überspannten Idealismus des älteren Geschlechts unheimlich abstach. Die Geselligkeit verödete. Je mehr die Zahl der Briefe zunahm, um so dürftiger wurde ihr Inhalt, und seit die Zeitungen sich mehrten, schrieb der gebildete Mann fast nur noch Geschäftsbriefe. Der anschwellende Verkehr wirbelte alle Stände dermaßen durcheinander, daß der Kastendünkel sich kaum mehr halten konnte. Die Gesellschaft demokratisierte sich, die Umgangssprache ward kürzer, geschäftlicher, aber auch grob und ungemütlich. Der Durchschnittsmensch empfing eine Masse neuer Eindrücke und Kenntnisse, doch je mehr sie sich drängten, um so weniger hafteten sie. Das neue Geschlecht krankte an einer viel- fettigen, oberflächlichen Bildung, an Übersättigung, Zerstreutheit, An- maßung. Die großen Städte wuchsen unaufhaltsam, manche der kleinen sanken, eine krampfhafte Lust an den großstädtischen Genüssen ver- breitete sich weithin im Volke, und mit der Macht der Massen-Kapitalien stieg auch das Massen-Elend. Für das zerrissene Deutschland war der Segen dieser neuen Ver- Hältnisse doch ungleich größer als ihre Nachteile. Der schreiende Wider- spruch geistiger Größe und wirtschaftlicher Armseligkeit konnte nicht fort- dauern, ohne den Charakter des Volkes zu gefährden. Die werdende politische Macht des neuen Deutschlands bedurfte des Wohlstandes und der kecken Unternehmungslust, das verhockte und verstockte Treiben der Kleinstädter einer kräftigen Aufrüttelung. Der unwürdige polizeiliche Druck, der auf dem deutschen Leben lag, konnte weder durch Kammer- reden, noch durch Zeitungsartikel überwunden werden, sondern nur durch die physische Macht eines aller Überwachung spottenden, gewaltigen Verkehres. Seit man das engere Vaterland in drei Stunden durchfuhr, kam auch dem schlichten Manne die ganze verlogene Niedertracht der Kleinstaaterei zum Bewußtsein, und er begann zu ahnen, was es heiße, eine große Nation zu sein. Die Grenzen der Stämme und der Staaten verloren ihre trennende Macht, zahllose nachbarliche Vorurteile schliffen sich ab, und die Deutschen erlangten allmählich, was ihnen vor allem fehlte, das Glück, einander kennen zu lernen. Darum nannte der deutsch- ungarische Poet Karl Beck, in dem Feuilletonstile der Zeit, die Eisenbahn-

12. Lehrbuch der Geographie alter und neuer Zeit - S. 551

1855 - Mainz : Kunze
Deutscher Bund — Geschichte. 549 Gebrauch machen. Dies war dem 18. Jahrhundert aufbehalten, in dessen Be- ginne schon der deutsche Name durch einzelne vorzügliche Kopse (Leibnitz und Wolf als Philosophen, Mosbeim als Theolog, Maskow als Beleuchter altdeutscher Geschichte, und selbst durch außerordentliche Tonkünstler wie Händel und Seb. Bach) zu neuen Ehren kam. Sehr viel trug Preußens König Friedrich ll. (1740 — 1786) dazu bei. Was er, obwohl die französische Literatur vorziehend, dennoch blos durch sein Dasein fisr die deutsche gethan hat, ist nie genug zu schätzen. In ihm besaß der Deutsche zum erstenmal seit Jahrhunderten wieder einen von aller Welt gefeierten einheimischen Monarchen. Des Königs eigne Achtung vor der Freiheit des Denkens regte die Deuker auf, seine Heldenthaten weckten das Baterlaudsgesühl und beflügelten Ideen und Sprache. Mit kritischer Untersuchung verband sich neue dichterische Lust, und rasch öffnete sich die jetzige deutsche Literatur, worin Kleist, Gleim, Gellert, Klopstock, Wiukelmanu u. a. voran gingen. In Sachsen und Preußen, überhaupt im größten Theile Nord- deutschlands, in Wirtemberg u. s. w., in mehreren freien Städten nud Universi- täten, zeigte sich der neue Umschwung der Gedanken und Ansichten, und wirkte so kräftig, daß anch die andre Hälfte des Reichs davon ergriffen wurde, und die geistige Aufklärung es war, die endlich die so lange entzweiten Brüder Eines Volkes, Einer Sprache, wieder mit einander befreundete. Der Friede von 1768—1792 war das begünstigende milde Wetter, worin der Baum de? Lebens aufschoß. Als 1773 der Jesuiterorden aufgehoben wurde als Kaiser Joseph ein Tolerauzedict gab, als anch geistliche Fürsten, z. B. die Freiherrn von Ertbal «der eine als Bischof von Würzbnrg, der andre als Erzbischof von Mainz) ihre Universitäten verbesserten, da konnte das Licht neuer Forschungen selbst nach Altbaiern und Oestreich dringen. Ueberau wirkten die Begriffe von Duldung und Humanität, während die Fülle der unsrer Nation innewohnenden Geisteskräfte sich immer mehr entfaltete. Welche Namen: Lessing, Wieland, Kant, Göthe, Joh. Müller, Bürger und Poß, Heeren, Schiller, Wolf und andre welche allzumal die klassische Periode der deutschen Literatur bezeichnen" Nur Eins fehlte noch Der morsche abgelebte Reichskörper hätte sich ver- jüngen , unser Volk in leine alte politische Würde als eine der Hauptmächte Eu- ropas wieder eintreten sollen. Dahin aber trübte sich eher die Aussicht, als daß sie heller geworden wäre. Ans Friedrich und Joseph folgten minder erleuchtete Häupter, und obenein war Deutschland mit seiner geistige» Bildung noch so viel- fach beschäftigt, daß mau der großen politischen Mängel nur beiläufig gedachte. Erst unerwartete europäische Ereignisse mußten darauf einwirken, und thaten es in einer Weise, die den trübseligen Zustand des deutschen Reichs von neuem und in seiner ganzen Blöße herausstellten. Die große französische Revolution lvou 1786 ff ) gab die Veranlassung. Alle Throne schienen von ihr bedroht, weshalb sofort die Herrscher sich zu ihrer Bekämpfung aufmachten; doch den Hoffnungen auf Sieg folgte Unglück auf Unglück. Aus dem französischen Volke ging eine Kraft hervor, denen königliche und kaiserliche Heere nicht gewachsen waren. Was au Frankreich gränzte, ward erschüttert. Das deutsche Reich ge- rieth an den Rand des Abgrunds; ein Stück davon nach dem andern ging ver-

13. Bürgerkunde - S. 274

1909 - Karlsruhe : Braun
274 Das Wirtschaftsleben Auf der sog. Stufe der geschlossenen H a u s w i r L - s ch a s t (Eigenproduktion, tauschlose Wirtschaft) erzeugte jede Haus- wirtschaft im wesentlichen selbst durch die eigenen Familienmitglieder oder durch Sklaven, Hörige oder Leibeigene die Güter, welcher sie bedurfte (Nahrungsmittel, Kleidung, Waffen usw.). Dies war die Wirtschaftsform des alten Griechenland und des römischen Reichs in den frühesten Zeitpecioden, sowie der germanischen und romanischen Völker im frühen Mittelalter. Es folgte die sog. Stufe der S t a d t w i r t s ch a f t, für welche die deutschen Städte des Mittelalters das beste Beispiel liefern. Aus dem hörigen Fronarbeiter der ersten Epoche wurde der freie Bauer und der freie Handwerker. So entstanden die einzelnen Be- rufsstände. Aus den geschlossenen Hauswirtschaften des Adels, der Kirchenfürsten und der Klöster entwickelten sich die Einzelwirtschaften der Städte, gekennzeichnet dadurch, daß jede Stadt und ihre wirt- schaftlich dazu gehörige Umgebung ein in sich im wesentlichen abge- schlossenes Produktions- und Absatzgebiet bildete. Hier gab es noch keinen Zwischenhandel; der Konsument mußte die Ware unmittelbar vom Produzenten erwerben, und nur der einheimische Handwerker hatte das Recht, auf dem einheimischen Markte seine Waren zu ver- kaufen. Der Handwerkerstand war in sog. „Zünften" organisiert, welche über den Gewerbebetrieb ihrer Mitglieder strenge Aufsicht übten. Einen über das Stadtgebiet hinausgreifenden Handel gab es damals fast nur auf den Jahrmärkten und Messen und nur für Waren, welche in der Stadt nicht erzeugt werden konnten, wie Ge- würze und Südfrüchte, Pelze, feine Tuchwaren u. dgl. Der Anbruch der dritten Wirtschaftsepoche, der Stufe un- serer heutigen Volkswirtschaft, hängt in Deutschland zu- sammen mit dem Erstarken der landesfürstlichen Macht gegenüber den bisher unabhängigen Städten und dem Landadel. Die Landes- fürsten strebten darnach, ihr Territorium auch wirtschaftlich als Ein- heit zu gestalten; sie setzten an Stelle der einzelnen städtischen Mün- zen ihre Landesmünzen, erließen Landesordnungen, welche das Markt-, Gewerbe- und Handelsrecht einheitlich regelten, und schufen auf diese Weise größere, einheitliche Wirtschaftsgebiete an Stelle der bisherigen zahlreichen kleinen. Die Vereinigung der deutschen Staa- ten im Deutschen Zollverein (im Jahre 1831 u. folg.) und die Grün- dung des neuen Deutschen Reiches gaben endlich dem deutschen Volke das, was die westeuropäischen Staaten schon seit Jahrhunderten besaßen, ein einheitliches Wirtschaftsgebiet, eine nationale Volks- wirtschaft. Aber die neuzeitliche Volkswirtschaft macht nicht Halt an den Staatsgrenzen. Kein Staat kann sich mehr wirtschaftlich von dem

14. Bürgerkunde - S. 282

1909 - Karlsruhe : Braun
282 Das Wirtschaftsleben wirtschaft im wesentlichen selbst durch die eigenen Familienmitglieder oder durch Sklaven, Hörige oder Leibeigene die Güter, welcher sie bedurfte (Nahrungsmittel, Kleidung, Waffen usw.). Dies war die Wirtschaftsform des alten Griechenland und des römischen Reichs in den frühesten Zeitperioden, sowie der germanischen und romani- schen Völker im frühen Mittelalter. 899 Es folgte die sog. S t u f e d e r S t a d t w i r t s ch a f t, für welche die deutschen Städte des Mittelalters das beste Beispiel liefern. Aus dem hörigen Fronarbeiter der ersten Epoche wurde der freie Bauer und der freie Handwerker. So entstanden die einzelnen Be- rufsstände. Aus den geschlossenen Hauswirtschaften des Adels, der Kirchenfürsten und der Klöster entwickelten sich die Einzelwirtschaften der Städte, gekennzeichnet dadurch, daß jede Stadt und ihre wirt- schaftlich dazu gehörige Umgebung ein in sich im wesentlichen abge- schlossenes Produktions- und Absatzgebiet bildete. Hier gab es noch' keinen Zwischenhandel; der Konsument mußte die Ware unmittelbar vom Produzenten erwerben, und nur der einheimische Handwerker hatte das Recht, aus dem einheimischen Markte seine Waren zu ver- kaufen. Der Handwerkerstand war in sog. „Zünften" organisiert, welche über den Gewerbebetrieb ihrer Mitglieder strenge Aussicht übten. Einen über das Stadtgebiet hinausgreifenden Handel gab es damals fast nur aus den Jahrmärkten und Messen und nur für Waren, welche in der Stadt nicht erzeugt werden konnten, wie Ge- würze und Südfrüchte, Pelze, seine Tuchwaren u. dgl. 900 Der Anbruch der dritten Wirtschaftsepoche, der Stufe un- serer heutigen Volkswirtschaft, hängt in Deutschland zu- sammen mit dem Erstarken der landessürstlichen Macht gegenüber den bisher unabhängigen Städten und dem Landadel. Die Landes- sürsten strebten darnach, ihr Territorium auch wirtschaftlich als Ein- heit zu gestalten; sie setzten an Stelle der einzelnen städtischen Mün- zen ihre Landesmünzen, erließen Landesordnungen, welche das Markt-, Gewerbe- und Handelsrecht einheitlich regelten, und schufen auf diese Weise größere, einheitliche Wirtschaftsgebiete an Stelle der bisherigen zahlreichen kleinen. Die Vereinigung der deutschen Staa- ten im Deutschen Zollverein (im Jahre 1831 u. folg.) und die Grün- dung des neuen Deutschen Reiches gaben endlich dem deutschen Volke das, was die westeuropäischen Staaten schon seit Jahrhunderten be- saßen, ein einheitliches Wirtschaftsgebiet, eine nationale Volks- wirtschaft. qcm Aber die neuzeitliche Volkswirtschaft macht nicht Halt an den Staatsgrenzen. Kein Staat kann sich mehr wirtschaftlich von dem andern absperren, ohne in Unkultur zu versinken. Unsere ver- vollkommneten Verkehrsmittel dienen heutzutage dem unaufhörlichen.

15. Kurze Darstellung der deutschen Geschichte für Volksschulen - S. 31

1822 - Elberfeld : Büschler
Die Völkerwanderung. ______________31 Sachsen waren kühne"seefahrer und plünderten die römi- schen Küstenländer oft auf ihren Raubzügen ans. 4) Außer diesen asten hatten von früher Zeit her ganz im Osten von Deutschland, an der Oder und Weichsel, dw (Gothischen Völkerschaften gewohnt, den Römern weniger, als die andern, bekannt. Diese vereinigten sich ebenfalls in einen großen Bund, wanderten nach Mittag zu nrld ver- drängten die Römer im dritten und vierten Jahrhundert nach Ehr. Geb. aus den Ländern am schwarzen Meere und am Donaustrome, da wo setzt die Moldau, Wallaches und Ungarn sind. Ihr großer König im vierten Jahrhundert, der über hundert Jahre alt wurde und zwei Menschenalter regierte, hieß Hermanrich. Sie-theilten sich in die Ost- gothen und Westgothen. 14. Die Völkerwanderung. Die eben genannten Deutschen Völkervereine waren mit den Römern fast beständig im Kriege, aber nur um einzelne Landstriche, oder um Bente. Das römische Reich umzustür- zen kam ihnen nicht in den Sinn; dazu waren sie auch zu schwach; denn dasselbe war noch sehr groß und stark, und würde nimmermehr untergegangen seyn, wenn es nicht selbst an seinem Verderben gearbeitet hatte. Aber cs ging je län- ger je trauriger darin zu. Es waren lauter blutige Par- theiungen. Bald war der Eine Kaiser, bald der Andere. Die Soldaten ermordeten den Einen, weil er ihnen nicht allen Willen ließ, und setzten ihren Licblingsanfübrcr zum Kaiser; bald kamen andere und machten es mit diesem wie- der so. Oft waren auch mehrere Herren des Reiches auf einmahl da, der eine in Italien, der andere in Gallien, der dritte in Griechenland und Asien, u. s. w. und dann zogen sie gegen einander und Römer gegen Römer mordeten sich Mlt der größten Erbitterung. In Zeit von 120 Jahren, dom Jahre 180'bis 300 nach Chr. Geb., waren 30 Kaiser un rom. Reiche, wovon 27 ermordet, 3 im Kriege umge- kommen und nur 0 auf ihrem Bette gestorben sind. Wäre es ordentlich zugegangen, so würden in der Zeit 5 bis 0 regiert haben. traurig sah es in den abhängigen Provinzen des Rek- s* r U!!c ö- im jetzigen Frankreich, Spanien, Portugal, England, aus. Da süßen Statthalter, die einzig in das ^-and gekommen waren, um es, so viel wie irgend möglich, "uszusangen und sich selbst zu bereichern. Die römischen Unterthanen waren höchst elende Menschen und hatten gewiß ai a' ^>r ^ut sur ihre übermüthigen Herren zu ver- »^tzen. Daher gingen diese Provinzen auch verloren, sobald

16. Bürgerkunde - S. 310

1909 - Karlsruhe : Braun
310 Das Wirtschaftsleben 944 Auf der sog. Stufe der geschloffenen Hauswirt- schaft (Eigenproduktion, taufchlofe Wirtschaft) erzeugte jede Haus- wirtschaft im wesentlichen selbst durch die eigenen Familienmitglieder oder durch Sklaven, Hörige oder Leibeigene die Güter, deren sie bedurfte (Nahrungsmittel, Kleidung, Waffen usw.). Dies war die Wirtschaftsform des alten Griechenland und des römischen Reichs in den frühesten Zeitperioden, sowie der germanischen und romanischen Völker im frühen Mittelalter. 945 Es folgte die sog. Stufe der Stadtwirtschaft, für die die deutschen Städte des Mittelalters das beste Beispiel liefern. Aus dem hörigen Fronarbeiter der ersten Epoche wurde der freie Bauer und der freie Handwerker. So entstanden die einzelnen Be- rufsstände. Aus den geschlossenen Hauswirtschaften des Adels, der Kirchenfürsten und der Klöster entwickelten sich die Einzelwirtschaften der Städte, gekennzeichnet dadurch, daß jede Stadt und ihre wirt- schaftlich dazu gehörige Umgebung ein in sich im wesentlichen abge- schlossenes Produktions- und Absatzgebiet bildete. Hier gab es noch keinen Zwischenhandel; der Konsument mußte die Ware unmittelbar vom Produzenten erwerben, und nur der einheimische Handwerker hatte das Recht, aus dem einheimischen Markte seine Waren zu ver- kaufen. Der Handwerkerstand war in sog. „Zünften" organisiert, die iiber den Gewerbebetrieb ihrer Mitglieder strenge Aufsicht übten. Einen über das Stadtgebiet hinausgreifenden Handel gab es damals fast nur aus deu Jahrmärkten und Messen und nur für Waren, die in der Stadt nicht erzeugt werden konnten, wie Ge- würze und Südfrüchte, Pelze, seine Tuchwaren u. dgl. 946 Der Anbruch der dritten Wirtschaftsepoche, der Stufe itrt = serer heutigen Volkswirtschaft, hängt in Deutschland zu- sammen mit dem Erstarken der landesfürstlichen Macht gegenüber den bisher unabhängigen Städten und dem Landadel. Die Landes- fürsten strebten darnach, ihr Territorium auch wirtschaftlich als Ein- heit zu gestalten; sie setzten an Stelle der einzelnen städtischen Mün- zen ihre Landesmünzen, erließen Landesordnungen, die das Markt-, Gewerbe- und Handelsrecht einheitlich regelten, und schufen auf diese Weise größere, einheitliche Wirtschaftsgebiete an Stelle der bisherigen zahlreichen kleinen. Die Vereinigung der deutschen Staa- ten im Deutschen Zollverein (im Jahre 1831 u. folg.) und die Grün- dung des neuen Deutschen Reiches gaben endlich dem deutschen Volke das, was die westeuropäischen Staaten schon seit Jahrhunderten besaßen, ein einheitliches Wirtschaftsgebiet, eine nationale Volks- wirtschaft. 947 Aber die neuzeitliche Volkswirtschaft macht nicht Halt an den Staatsgrenzen. Kein Staat kann sich mehr wirtschaftlich von dem

17. Bd. 3 - S. 148

1824 - Frankfurt a. M. Leipzig : Hinrichs
448 Siebenter Zeitraum. nachtheilige Wendung, deren Folgen selbst durch- Laudons Eroberung von Belgrad (8 Oct. 1789), und durch Coburgs und Souwarows Sieg bei Marti njestie (22 Sept. 1789) nicht ganz ausgeglichen wurden; als Joseph 2, der von dem Feldzuge in Ungarn krank zurückgekehrt war, in den Jahren der männlichen Reife starb (20 Febr. 1790), und das so vielfach beunruhigte Reich seinem Bruder Leopold 2, dem bisherigen Großherzoge von Toskana, hinterließ. — Josephs großer, rastlos thätiger Geist wurde zu früh von seiner Pflanzung abgerufen, um durch eine gleich lange Regierung, wie die Regierung Friedrichs 2, dessen Vorbild ihm vorschwebte, die Welt mit seinen wohlthätigen Ent- würfen auszusöhnen, und, nach dem allmahligen Absterben des altern Geschlechts, ein jüngeres, wahrend seiner Re- gierung heraufgewachsenes, zur hohem Reife der Aufklärung und Bildung zu führen. 460. Preußen. Albrecht, erster Herzog. Albrecht Friedrich. Von Deutschlands Geschichte kann man sich nicht tren- nen, ohne auf die Entwickelung, Vergrößerung und Kulti- virung Preußens hingeleitet zu werden, das theils nach dem Laude, auf welchem die königliche Würde haftet, ehemals selbst in genauen Verhältnissen zu Deutschland stand, theils nach der großen Mehrzahl der Provinzen, welche zu demselben gehören, nächst Oestreich, die zweite Macht in der Reihe der teutschen Staaten seit Friedrichs 2 Regierungs- antritte bildete, eine Macht, die seit der Mitte des achtzehn- ten Jahrhunderts selbst zu einem großen Einstusse auf das gesammte europäische Staatensystem gelangte, und, bei ihrer Opposition gegen das Nebergewicht Oestreichs in Teutschland, den teutschen Norden beinahe ein halbes Jahrhundert hindurch an ihr Interesse gefesselt hatte. Das Land an der Ostsee,«das nach seinen frühern Be- wohnern slavischer Abkunft, den Porussen, den Namen

18. Mittlere und neue Geschichte - S. 245

1877 - Leipzig : Senf
U. Zeitalter der unumschränkten Fürstengewalt. 245 sehen, seine Mutter, äußerst eifersüchtig aus ihre Macht, ließ ihm keinen Einfluß auf die Negierung ihrer Erbläuder, erst nach ihrem Tvde 1780 übernahm er dieselbe. Der Versuch Josephs, als deutscher Kaiser in die erstarrte Neichsverfassuug einen frischen Geist zu bringen, mißlang; die Revision des Kammergerichts von Wetzlar machte nur den traurigeu Verfall der Reichsjustiz Allen offenbar, ohne wesentliche Verbesserungen herbeizuführen. Seine Versuche aber, der kaiserlichen Macht größern Einfluß zu verschaffe« (z. B. mit dem den Kaisern gehörenden Rechte, einzelnen geistlichen Reichsstäudeu Panisbriefe für begünstigte Personen zuzusenden) scheiterte ganz an dem Widerstreben Preußens und dem Mißtrauen der andern Reichsstände. Seit 1780 Fürst der österreichischen Erbländer, suchte Joseph hier schnell den neuen Zeitgeist in die Regierung der sehr verschiedenartigen Minder einzuführen. «Seine Mutter hatte langsam, aber verständig reformirt. Joseph hatte die edelsten Absichten, aber er beachtete die in der Natur und Geschichte seiner Völker liegenden Hindernisse zu weuig, er wollte einen Staat aus den verschiedenartigen Ländern machen und sie durch die edelste Staatsweisheit beglücken, aber die geistige Vorbildung der Bewohner seiner Länder war erst im Auskeimen und die vielfache Verletzung der durchs Alter lieb gewordenen Vor urtheile erregte zuerst Mißvergnügen und später offnen Aufruhr. Aber nicht zufriedeu mit der Rolle eines Gesetzgebers und - esormators von Oesterreich dürstete sein unruhiger Geist auch nach den Lorbeeren des Krieges und beiden Ausgabe,: zugleich wäre auch die Kraft eines Friedrich nicht gewachsen gewesen. Berühmt und von segensreicher Wirkung war sein Toleranzedikt, durch das endlich die Protestanten, namentlich in Böhmen, wieder die freie Ausübung ihrer Religion erhielten, die Aufhebung von zahlreichen Klöstern folgte und umsonst war die Reise von Papst Pins Vi. nach Wien, um den Kaiser auf andere Gesinnungen zu bringen, 1782. Selbst in die geistlichen Fürsten drang damals der Gedanke, eine freiere Stellung gegen Rom anzunehmen, die vier deutschen Erzbischöfe (außer deu drei geistlichen Kurfürsten der Erzbischof von Salzburg) schlossen 1786 die Gnnser Punktationen, die eine freiere Stellung der deutschen Kirche gegen Rom beabsichtigten, doch blieb dieser Versuch ohne Folgen. Von allen Schöpfungen des edlen Joseph überlebte ihn fast nur das Toleranzedikt; viele Erlasse hatte er zurücknehme» müssen, als er, schon seit 1788 körperlich zerrüttet durch die Beschwerden des unglücklichen Feldzuges im Banat, im Kriege mit der Pforte und deu empörten österreichischen Niederlanden, von den mißvergnügten Ungarn mit einem Ansstaude bedroht, den geistigen und körperlichen Schmerzen 1790 erlag.

19. Lehrbuch der vergleichenden Erdbeschreibung - S. 230

1879 - Freiburg im Breisgau [u.a.] : Herder
230 Deutschland. Handel und geistige Bildung. Verfassung. §. 60. bedeutendes Feld darbieten. Auf diese Weise ist auch die Ebene vielfach der Sitz technischer Production gewordeu. — Der große Reichthum von Erzeug- uissen sowohl der Urproduction als des Gewerbsleißes bietet den Stoff zu eiuem sehr ausgedehnten und lebhaften Handel, dessen Bedeutsamkeit auch durch die centrale Lage des Landes, dessen Berührung mit dem Meere, den Besitz so vieler schiffbaren Ströme, das sich immer dichter verzweigende Eisen- bahnnetz (fast 4000 M.), die Beseitigung der inneren Zollschranken in Folge des fortwährend erweiterten deutschen Zollvereins in hohem Grade gefördert wird. Dieser Verein umfaßt jetzt ganz Deutschland (mit Ausnahme der Freihasengebiete von Bremen mit Bremerhafen, und von Hamburg mit Altona, fowie einiger kleineren badischen, oldenburgischen und preußischeu Ge- bietstheile, 71/2 Ihm. *), dazu Luxemburg. Für den auswärtigen Haudel sind die (mittelbaren) Nordseehäfen Hamburg und Bremen die wichtigsten, in zweiter Reihe die Ostseehäfen: Lückeck, Wismar, Rostock, Stettin, Danzig, Königsberg, Memel. Die deutsche Handelsmarine (4800 Seeschisse) steht an der Zahl der Schiffe der fran- zösifchen, englischen und nordamerikanischen, an Tragfähigkeit (1 Mill. Tonnen) nur den beiden letzteren nach. Der Binnenhandel war ehemals Haupt- sächlich an die großen Messen zu Leipzig, Frankfurt am Main, Braun- schweig u. f. w. geknüpft, ist aber in Folge der vermehrten und beschleunigten Communicationsmittel jetzt weder an einen bestimmten Raum gebunden, noch auf eine gewisse Zeit beschränkt; nur die Leipziger Messe und die periodischen Wollmärkte in Breslau, Berlin u. f. w. haben noch eine größere Wichtigkeit behauptet. In Bezug auf allgemeine Verbreitung geistiger Witdung vermittelst zahlreicher, tresslich eingerichteter höherer, mittlerer und Elementar- Schnlen steht Deutschland keinem Lande nach. Fast kein Dorf entbehrt mehr einer Volksschule, und neben den ans höhere wissenschaftliche Studien vorbereitenden Gymnasien und Lyceen sind für die Ausbildung zu com- merciellen und gewerblichen Zwecken Real- und Gewerbeschulen, polytechnische Schulen und Akademien entstanden. Kein anderes Land hat (allerdings in Folge der früheren staatlichen Zersplitterung) eine so bedeutende Anzahl vollständiger Universitäten; Deutschland zählte deren früher 38, jetzt hat das deutsche Reich noch 20 (Königsberg, Berlin, Breslau, Halle, Greifs- wald, Kiel, Göttingen, Marburg, Bonn, München, Erlangen, Würzburg, Leipzig, Tübingen, Heidelberg, Freiburg, Gießen, Rostock, Jena, Straßburg — jedoch nur 3, Breslau, Bonn und Tübingen, mit theologischen Facultäten beider Konfessionen). Die Hauptstädte und die Universitätsstädte bieten in ihren öffentlichen Bibliotheken, wissenschaftlichen Sammlungen und Instituten, gelehrten Gesellschaften u. f. w. sehr reichhaltige Mittel zur Förderung ge- lehrter Bildung. Neben den Wissenschaften erfreuen sich auch die schönen Künste einer sorgsamen Pflege, und Deutschland dars, wie auf feine Ge- lehrten, so auch auf feine Meister in der Kunst (besonders der Malerei und der Musik) mit gerechtem Stolze Hinblicken. Verfassung. Nach der 1806 erfolgten Auflösung des „heiligen römischen Reiches deutscher Nation" (welches im Jahre 1786 nicht weniger als 289 Reichs- stände zählte) und nach einer kurzen Zeit der Fremdherrschaft erhielt Deutschland (1815) eine ueue Verfassung als deutscher Buud, der *) S. Petermanu's Mitteilungen, 1869, Tafel 14.

20. Lesebuch für staatsbürgerliche Bildung - S. 10

1913 - München : Lindauer
Lo Unser deutsches Vaterland. kultur der Menschheit vorkommt. Es sei gestattet, dies mit ein paar Strichen auszuführen. Wie Deutschland in geographischer Beziehung das Land der Mitte ist, so ist es auch in kultureller Hinsicht die Mitte Europas. Die Rolle des Vermittlers zwischen Westen und Osten, zwischen Süden und Norden, die ihm von der Natur zugeteilt ist, die es in Hinsicht auf den wirtschaftlichen und persönlichen Verkehr jetzt in beständig steigendem Maße übt, diese Rolle hat es in Absicht auf die Vermittlung der geistigen Güter seit Jahrhunderten gespielt. Es hat Fremdes aufgenommen und in sich verarbeitet und es hat Empfangenes und aus dem Eigenen Erzeugtes weitergegeben wie kein anderes mitlebendes Volk. Kein großes Volk ist jemals fremden Kultureinflüsfen so aufgeschlossen gewesen wie das deutsche. Wie das Land selbst fast nach allen Seiten mit offenen Grenzen daliegt, so hat sich das Volk stets in erstaunlichem Maße für fremde Geisteskultur aufnahme- fähig und willig erwiesen, hin und wieder bis zur Gefahr des Selbstverlustes. Die Dinge sind aller Welt bekannt, doch erinnere ich an ein paar Punkte. Gegen Italien ist Deutschland durch Naturgrenzen am meisten abgeschlossen; durch geschichtliche Beziehungen ist es mit ihm am längsten und zeitweilig am engsten verbunden. Im Mittelalter schienen Kirche und Kaisertum bestimmt, beide Länder in ein Reich zu vereinigen. Noch in der Renaissance wirkte diese Einheitstendenz nach: in keinem Lande ist diese mächtige und eigenste Bewegung des italienischen Geistes bereitwilliger aufgenommen worden und tiefer einge- drungen als in Deutschland. Auch das Römische Recht, das mit der Renaissance- bildung seinen Einzug hielt, hat sich nirgends so wie in Deutschland als geltendes Recht eingelebt: ein Zeugnis der politischen Schwäche, aber zugleich ein Zeugnis der Geltung gelehrter Erkenntnis. Im 17. Jahrhundert beginnt die französische Bildung ihre siegceiche Lauf- bahn. Das ganze 17. und 18. Jahrhundert hindurch sind ihr in Deutschland alle Pforten weit aufgetan. Französische Sprache und Literatur erlangen in der deutschen Gesellschaft eine fast unbedingte Herrschaft. Sind auch für uns schmerz- liche Erinnerungen damit verbunden, so wollen wir doch das gute alte Wort des Hesiod nicht vergessen, daß freilich die Palme dem gebührt, der selber jegliches sieht und schafft, daß aber auch der zu loben ist, der von dem Überlegenen zu lernen weiß: nur der taugt nichts, der selbst nichts weiß und auch nichts lernen will. Wie bildungsfreudig das Deutsche damals von dem vorangeeilten Nach- barvolk lernte, dafür sind zwei in ewigem Jugendglanz leuchtende Gestalten des 18. Jahrhunderts uns Zeugen: Friedrich der Große und Goethe. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts beginnt daneben englischer Einfluß einzuströmen. War die höfische Welt vorzugsweise das Organ gewesen, womit das deutsche Volk die Einflüsse der französischen und italienischen Bildung und Kunst aufgenommen hatte, so war es das neue erstarkende Bürgertum, das zuerst den Wert der Literatur und Philosophie des stammverwandten englischen Volkes empfand, Wieland und Lessing, Kant und Herder an der Spitze. Gleichzeitig